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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handfeuerwaffen

Von großem Einfluß auf die Entwicklung des Mehrladers war das 1879 patentierte System des Amerikaners Lee. (Vgl. Tafel: Handfeuerwaffen II, Fig. 5.) Die Grundzüge der Konstruktion sind folgende: der Boden des Verschlußgehäuses G ist von einem Längsausschnitt durchbrochen, der die Patrone aus dem im Bedarfsfälle an die Waffe gesteckten Magazin in die Patroneneinlage leitet. Das Magazin bildet einen kastenförmigen Stahlblechbehälter, der zur Aufnahme von 5 Patronen eingerichtet ist, die in schräger Lage so aufeinander ruhen, daß die Krempen der obern auf den Pulverräumen der untern liegen. Eine Wförmige Feder drückt die Patronen beständig aufwärts. Um die oberste Patrone und damit die andern in dem von der Waffe getrennten Magazin zu erhalten, ist an der Magazinvorderwand eine halbkugelartige Ausbiegung angebracht, in die die Geschoßspitze der vordersten Patrone einspringt. Bei dem Einstecken des Magazins in die geschlossene Waffe trifft die vorstehende Krempe auf den Verschlußkolben, der sie herunterdrückt. Hierbei tritt die Geschoßspitze aus der Ausbiegung. Bei dem Vorschieben des Schlosses trifft die Stirnfläche des Verschlußkolbens Kl gegen den Boden der Patrone und schiebt letztere zwischen den Magazinrändern in den Lauf. Der Ausschnitt in der Patroneneinlage muß zum Schießen mit Einzelladen geschlossen werden. Diesen Abschluß bewirkt eine Plattfeder, die beim Einstecken des Magazins zur Seite geschoben wird. Da ein leeres Magazin mit der Feder 99 g wiegt, kann die Ausrüstung des Schützen nur mit wenigen Magazinen erfolgen. An dem Verschlüsse sind einige wichtige Neuerungen angebracht. So ist bei der Schußabgabe der Widerstand des Verschlusses ein direkter, da der Rückstoß durch Vermittelung des Grifffußes und der diesem gegenüberliegenden Warze an zwei Stellen im Verschlußgehäuse G aufgefangen wird.

Als geistreiche Weiterbildung des Systems Lee ist die Konstruktion des Ingenieurs Mannlicher anzusehen, die bei dem österr. Gewehr M/86 und 88 angewendet ist. (Vgl. Tafel: Handfeuerwaffen II, Fig. 3 u. 4.) An Stelle des abnehmbaren Magazins tritt ein mit dem Abzugsbügel aus einem Stück hergestelltes Gehäuse, in dem der Hebel H in ähnlicher Weise wie bei Lee angeordnet ist. Der Patronenzubringer hat vier Teile: Hebel H und Platte P mit je einer Feder. Die Ωförmige Feder F des Hebels hat das Bestreben, den Hebel vorn nieder- und dadurch hinten hochzudrücken. Je 5 Patronen werden im sog. Rahmen R zusammengehalten und mit diesem in die Waffe eingeladen. Der Rahmen, wohl der originellste Teil des Systems, ist ein durch eingepreßte Rippen versteiftes Blechkästchen, das zu beiden Seiten und rückwärts geschlossen ist. Oben und unten wird der Rahmen durch die etwas nach innen umgebogenen Seitenwände nur so weit geschlossen, daß ein Herausfallen der Patrone verhindert wird. Zum Laden des Gewehrs wird das Magazin mit den Geschoßspitzen vorwärts in die Patroneneinlage gebracht. Ein Druck auf das rückwärtige Rahmenende führt die Nase unter den Haken des Hebels H. Die oberste Patrone ragt so weit aufwärts, daß ihr Vodenrand sich vor dem untern Teil des Verschlußkopfs befindet. Beim Vorschieben des Verschlusses geht die vorderste Patrone in das Patronenlager. So gelangen die 5 Patronen nacheinander in den Lauf. Beim Laden der fünften Patrone fällt der Rahmen durch die untere Öffnung des Magazingehäuses.

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Da ein leerer Rahmen M/88 nur 19 g wiegt, war es möglich, die ganze Infanteriemunition in solchen verpackt mitzuführen, wodurch erhöhte Feuergeschwindigkeit erzielt wurde. Das Laden einzelner Patronen ist bei dem System Mannlicher wohl möglich, indessen bei der österr. Infanterie nicht reglementarisch. Mannlicher hat einen Geradzugverschluß, d. h. einen solchen, der nur in gerader Linie beweglich ist. Die angeordnete Verriegelung des Schlosses hat den Nachteil, daß der Rückstoß in einseitiger Weise aufgefangen wird. Auf diesen Umstand mag die bedeutende Höhenstreuung des österr. Gewehrs zurückzuführen sein.

Zu Anfang der achtziger Jahre waren verschiedentlich Vorschläge aufgetaucht, das Kaliber des Infanteriegewehrs zu vermindern, um eine ballistisch wirksamere Waffe sowie eine leichtere Munition zu bekommen. Die bisherigen Gewehre von 10,4 bis 11,43 mm verfeuerten Geschosse aus Weich- oder Hartblei von 20 bis 31 g Gewicht mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 400 bis 440 m. Wollte man eine erheblich flachere Flugbahn erreichen, die die unausbleiblichen Fehler im Entfernungsschätzen weniger fühlbar macht, so mußte man versuchen, dem Geschoß eine möglichst große Geschwindigkeit zu erteilen. Im Kaliber 11 mm stellte sich wenigstens für das gewöhnliche Schwarzpulver die Geschwindigkeit von 450 m schon als die Grenze des Erreichbaren heraus, da im Hinblick auf den Rückstoß an eine Vermehrung der Ladung nicht zu denken war, ganz abgesehen davon, daß eine größere Ladung nicht vollständig verbrannte und daher nicht zur vollen Ausnutzung gelangen konnte. Für Repetiergewehre kam in Betracht, daß eine starke Pulverladung die Patrone zu groß und so schwer machte, daß die Konstruktion der Mehrladevorrichtung erschwert wurde. Durch Annahme eines kleinen Kalibers von etwa 7,5 bis 8 mm erreichte man dagegen mehrfache Vorteile: das um etwa 40 Proz. erleichterte Geschoß überwand infolge seiner geringen Querschnittfläche den Luftwiderstand um so leichter, zudem die Querschnittsbelastung (s. d.) hoch gehalten werden konnte. Bei den in allen Staaten durchgeführten Schießversuchen zeigte sich indessen bald, daß das bisherige Schwarzpulver, selbst in zusammengepreßter Form, für das kleine Kaliber nicht paßte. Der Gasdruck war bedenklich hoch und gefährdete die Haltbarkeit der Waffe. Nur mit einem neuen, besondern Treibmittel konnte die Einführung des kleinkalibrigen Gewehrs erfolgen. Diese neuen Präparate, deren Herstellung man nun mit Erfolg näher trat, zeichneten sich noch dadurch vorteilhaft vor dem Schwarzpulver aus, daß sie wenig Rauch entwickelten.

Der erste Großstaat, der für die Bewaffnung seiner Infanterie das kleine Kaliber annahm, war Frankreich, dessen System Lebel (benannt nach seinem Miterfinder, dem frühern Direktor der Normalschießschule zu Chalons) ein Kaliber von 8 mm besitzt. (Vgl. Tafel: Handfeuerwaffen III, Fig. 1 u. 2.) Die Mehrladevorrichtung ist ähnlich der des deutschen Gewehrs 71.84, der Lauf hat 4 Züge mit einer Umdrehung auf 24 cm. Die höchste Einteilung des Visiers entspricht einer Entfernung von 2000 m. Das Schloß zeigt die für Treffgenauigkeit günstige Eigentümlichkeit, daß der Rückstoß zweiseitig und zwar an der Stirnfläche des Verschlußkopfes durch zwei dort angebrachte Warzen aufgefangen wird. Die namentlich durch die Verminderung des Geschoßgewichts eingetretene Erleichterung der Patrone