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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Harnsperre; Harnsteine

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Harnsperre - Harnsteine

des Gefäßes absetzt und hinsichtlich seiner chem. und morpholog. Zusammensetzung für den Arzt betreffs der Beurteilung vieler Krankheiten von großer Bedeutung ist. Die H. bestehen entweder aus organisierten Körpern, wie Schleim, Eiter, Blutkörperchen, Faserstoffcylindern, Samenfäden, Epithelzellen der Harnwegeschleimhaut, Hefen- und Schimmelpilzen, Bakterien u. dgl., oder aus unorganisierten Stoffen, welche im Harn gelöst waren oder sich durch Zersetzungsvorgänge in demselben gebildet haben, wie Harnsäure, Harnsäure Salze, phosphorsaure Ammoniak-Magnesia, oxalsaurer Kalk u. a. So scheidet sich häufig aus sauer reagierendem Harn, namentlich wenn er sehr konzentriert ist (bei Fieber, nach starkem Schwitzen, größern Anstrengungen) oder rasch erkaltet, ein reichliches ziegelrotes oder bräunliches Sediment, sog. Uratsediment (das sog. Sedimentum lateritium der ältern Ärzte), aus, welches aus amorphem harnsaurem Natron besteht und durch Erwärmen des betreffenden Harns sich auflöst und wieder verschwindet. Bei Gicht, Magenkatarrh und andern Krankheitszuständen setzt sich oft ein ziegelrotes krystallinisches Sediment aus reiner Harnsäure ab, in andern Fällen ein Niederschlag aus oxalsaurem Kalk u. dgl. Wenn dagegen der Harn alkalisch reagiert, so setzt sich gewöhnlich ein weißes Sediment, sog. Phosphatsediment, ab, dessen Krystalle bei mikroskopischer Betrachtung Ähnlichkeit mit Sargdeckeln haben und aus phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia bestehen. Früher pflegte man jeden sedimentierenden Harn als einen "kritischen" Harn zu bezeichnen, weil man annahm, daß durch das H. der Krankheitsstoff, die sog. Materia peccans, aus dem Körper entfernt werde; doch haben neuere Untersuchungen das Irrige und Haltlose dieser Anschauung dargethan. - Vgl. Salkowski und Leube, Die Lehre vom Harn (Berl. 1882).

Harnsperre, gleichbedeutend mit Blasenlähmung, s. Harnblase (S. 826 a).

Harnsteine (Calculi urinarii), eigenartige steinharte Konkremente von verschiedenartiger Form, Größe und Zusammensetzung, welche sich in den Harnwegen, insbesondere dem Nierenbecken und in der Harnblase bilden und mehr oder minder schwere Krankheitserscheinungen, die sog. Steinkrankheit (Lithiasis), hervorrufen können. Sie bestehen gewöhnlich aus normalen Harnbestandteilen, die sich unter pathol. Bedingungen um einen kleinen Kern, um ein Klümpchen Schleim, Blut, Eiter oder einen zufällig in die Harnwege geratenen Fremdkörper herum abscheiden und durch weitere allmähliche schichtenweise Auflagerung schließlich ein bald mehr, bald weniger umfangreiches Konkrement bilden. Form, Größe, Bestandteile und Zahl der H. sind sehr verschieden. Die meisten H. sind rundlich oder eiförmig, manche durch gegenseitige Reibung facettiert, andere höckerig, warzig oder maulbeerförmig; ihre Größe schwankt zwischen der eines Sandkorns (sog. Harngries, arena urinaria) und der eines Hühnereies, ja selbst einer Faust; bisweilen ist nur ein Stein, bisweilen eine große Anzahl vorhanden. Ebenso finden sich hinsichtlich der Konsistenz der H. die größten Verschiedenheiten; während manche sehr weich sind und leicht zerbröckeln, sind andere außerordentlich hart und schwer zu zertrümmern. Ihrer Textur nach bestehen die H. entweder aus einer einzigen gleichartigen Masse oder aus verschiedenen Substanzen, welche schichtenweise, mehr oder weniger konzentrisch umeinander gelagert sind; so finden sich sehr häufig auf einem aus harnsauren Salzen bestehenden Konkrement phosphorsaure Salze abgelagert und umgekehrt. Öfters enthalten die H. einen deutlich unterscheidbaren Kern, in andern Fällen eine kleine Höhlung, wenn die ursprünglich den Kern bildenden Substanzen (Blutgerinnsel, Schleimklümpchen u. s. w.) eingetrocknet und so verschwunden sind.

Hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung unterscheidet man die folgenden Formen von H.: 1) Uratsteine aus Harnsäure und harnsauren Salzen, rundliche, glatte und harte, auf dem Durchschnitt meist deutlich geschichtete Steine von rein weißer oder rotbrauner bis gelbbrauner Färbung. Die Harnsäure, ein sehr schwer löslicher Körper, welcher durch die Alkalien in Lösung erhalten wird, scheidet sich innerhalb der Harnwege leicht ab, wenn der Harn, wie bei der Gicht, zu viel Säure enthält oder zu konzentriert ist. 2) Phosphatsteine bestehen aus phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia und phosphorsaurem Kalk, sind rundlich oder oval, glatt, kreideähnlich leicht und zerreiblich, von weißer Färbung und kommen nächst den vorigen am meisten vor. Sie bilden sich am häufigsten bei alkalischer Reaktion des Harns, namentlich bei chronischem Nierenbecken- und Blasenkatarrh. 3) Oxalatsteine, aus oxalsaurem Kalk, sind außerordentlich hart und schwer, dunkelgrau oder schwärzlich gefärbt und haben meist eine höckerige, selbst stachlige Oberfläche, weshalb man sie auch Maulbeersteine nennt; kleinere Oxalatsteine sind meist glatt und von hellerer Färbung (sog. Hanfsamensteine). Seltener bestehen H. aus Cystin, Xanthin oder kohlensaurem Kalk. Häufig kommen Mischformen vor, indem die verschiedenen Schichten eines Harnsteins durch verschiedene Substanzen gebildet werden; so besteht nicht selten der Kern aus harnsauren Salzen, um welche sich Phosphate als konzentrische Schichten herumlegen.

Über die Ursachen der Steinbildung ist nicht viel Sicheres bekannt. Im allgemeinen läßt sich nur so viel sagen, daß besonders das frühe Kindesalter sowie das höhere Lebensalter zur Konkrementbildung disponiert, daß Männer häufiger an H. leiden als Frauen und daß in manchen Familien eine auffallende erbliche Anlage zur Steinkrankheit besteht. In manchen Gegenden, namentlich in England, in den Niederlanden, am Rhein, in Rußland, Ungarn und Ägypten, wird die Krankheit ungleich häufiger wie in andern beobachtet, was wahrscheinlich auf klimatische Verhältnisse, auf die Verschiedenheit des Trinkwassers und auf Eigentümlichkeiten der Nahrungsweise zurückzuführen ist; so soll eine stickstoffreiche Nahrung, namentlich der übermäßige Genuß von Fleisch und Käse zur Bildung von Phosphat- und Uratsteinen Veranlassung geben, während eine ausschließliche pflanzliche Kost Steine aus kohlensaurem Kalk und der übermäßige Genuß von Sauerampfer Steine aus oxalsaurem Kalk erzeugt. Endlich können alle jene Krankheiten der Harnwege, welche mit Harnstauung und Harnzersetzung verbunden sind, die Entstehung von H. zur Folge haben.

Die Beschwerden, welche H. verursachen können, sind je nach ihrem Sitze verschieden. Die Steinbildung kann schon im Nierenbecken erfolgen, oder sie findet erst in der Harnblase statt, und hiernach pflegt man Nierensteine und Blasensteine zu unterscheiden. Die Nierensteine (Calculi renales)