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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hausindustrie
trennen die Wanderlager von dem Hausierbetrieb.
Hessen erhebt nur von den Wanderlagern eine be-
sondere Steuer. Der Steuersatz ist in Preußen in
der Regel 48 M. jährlich, kann aber bis auf 6 M.
"^mFßjgt und bis auf 144 M. erhöht werden. In
S achsen ist die Regel 50 M., der Mindestsatz 2 M.,
der höchste Satz 300 M. Hessen erhebt je nach der
Ortsgröße von den Wanderlagern 40, 30 und
^0 M. Baden zieht als H. für je 30 Tage und
weniger 3-10 M. von dem Gewerbtreibenden
ein, wozu noch Zuschläge für das Hilfspersonal
treten. Die Wanderlager zahlen für einen Betrieb
von 7 Tagen die Hälfte, bei längerm Betriebe den
vollen Satz der Gewerbesteuer (s.d.). Württem-
berg erhebt ebenfalls die Sätze der allgemeinen Ge-
lverbesteuer und hat zu dem Zwecke für die Wander-
lager und Hausierbetriebe je eine Klassentafel auf-
gestellt, in welcher die Abstufungen des steuerbaren
Betrags mit Rücksicht auf die Hilfsarbeiter (3 Klas-
sen) und die Warenwerte, bez. den Betrag des
Betriebskapitals (12 Klassen) aufgestellt werden.
Bayern unterscheidet 18 Gewerbebetriebe im Uni-
herziehen und die Wanderlager; für jede Gruppe
ist ein fester Satz aufgestellt, zu dem eine nach der
Zahl der Gehilsen, dem Betriebsumfang u. s. w.
bemessene bewegliche Abgabe hinzutritt.
Hausindustrie, diejenige gewerbliche Thätig-
keit, welche zu Hanse nicht auf Bestellung von Kun-
den am Orte und für den örtlichen Absatz, sondern
regelmäßig für ein Gefchäft oder für den Export,
überhaupt für den Absatz im Großen betrieben wird.
Das Unterscheidende der H. vom Handwerk (s. d.)
liegt hauptsächlich in der Art des Absatzes, von
der Fabrik (s. d.) in dem Ort der Beschäftigung der
Arbeiter. Mit dem Handwerk hat die H. die geringe
Ausdehnung, die unbedeutende Verwendung von
Hilfspersonen, mit der Fabrik die Großartigkeit des
Vertriebes der fertigen Produkte gemeinsam. Das
charakteristische Moment der H. ist die Gestaltung
der Absatzverhältnisse. Gerade durch sie wird die
große ökonomische Abbängigkeit des Hausindustriel-
len, seine meist gedrückte Lage hervorgerufen. Nickt
nur der Kaufmann oder Fabrikant verlangt für den
von ihm übernommenen Absatz der Erzeugnisse
eine Vergütung, sondern in nicht wenigen Fällen
stellt sich zwischen Unternehmer und Arbeiter eine
Zwischenperson, der sog. Faktor oder Fercher ein,
der den Lohn des Hausindustriellen seinerseits dnrch
die Vergütung, die er fordert, kürzt. Am krassesten
treten diese Nbelstände im Sweating-System (s. d.)
auf. Iil Ruhland wird die H. von Bauern betrieben,
die gleichzeitig der Landwirtschaft und einem Ge-
werbe obliegen. Der Unterschied gegen das städtische
Handwerk liegt hier nach der Seite der Vereinigung
init dem Ackerbau, gegen das Landbandwerk in der
Art des Absatzes. Zu trennen sind von der H. die
Begriffe Hausfleiß (s. d.) und Hausgewerbe (s. d.).
Entstanden ist die H. auf dreifache Weife. Der
hauptsächlichst eingeschlagene Wog läßt eine Um-
bildung des handwerksmäßigen Betriebes in den
hausindustriellen erkennen. Auf dem Entwicklungs-
gange vom Handwerk zur Großindustrie stellt sich
als Zwischenstufe die H. ein, teilweise nur dazu be-
stimmt, den llbergang zur Fabrikunternehmung zu
erleichtern, teilweise dazu ausersehen, eine selbstän-
dige Form zu bilden, welche die Berechtigung ihrer
Existenz in sich trägt. Zweitens kommt es vor, daß
sich aus einer ursprünglichen Nebenbeschäftigung
des Ackerbauers eine H. entwickelt. Der Bauer be-
treibt, weil das ihm zur Verfügung stehende Land
seine Arbeitskraft nicht voll beschäftigt oder in der
nicht durch Feldarbeit in Anspruch genommenen
Zeit, ein Gewerbe, mit dessen Ertrag er )eme schma-
len Einnahmen vergrößern will. Hierbei lernt er
allmählich sich den Wünschen eines Abnehmers an-
zubequemen, arbeitet nach dessen Mustern, formt
den ihm übergebenen Robstoff, kurz, er wird eben
zum hausindustriellen Lohnarbeiter. Drittens end-
lich findet man, daß der Fabritbetrieb sich in eine
Reihe von Hausbetrieben auflöst. Der Unternehmer
sindet es vorteilhafter, eine Reihe von Arbeitern in
ihren Behausungen statt in seinem geschlossenen
Etablissement gegen Lohn zu beschäftigen. Diese
Umbildung hat man sich in der Weise vollzogen zu
denken, daß keine oder wenig neue Fabriten ent-
stehen und die Ausdehnung des betreffenden In-
dustriezweigs eben in hausindustrieller Weise vor sich
geht. Auch das Arbeitsverhältnis zeigt verschiedene
Formen. Entweder liefert der Unternehmer den
Arbeitern das Rohmaterial, bestimmt die Art und
,>orm der Produkte und zahlt für die fertige Arbeit
einen verabredeten Stücklohn; oder er liefert oder
leiht die Werkzeuge, namentlich wenn sie teuer sind
lWebstühle, Nähmaschinen), und der Arbeiter kann
dann dieselben durch allmähliche Abzahlung zu
dauernden: Eigentum erwerben; seltener liefert der
hansindustrielle Ardeiter auch den Rohstoff (Stroh-
flechterei). Der Unistand, daß der Unternehmer dem
Hausindustriellen in der Regel Vorschuß oder Vor-
lage gewährt, hat zu der Bezeichnung desselben
als Verleger geführt; ebenso wird das ganze
Arbeitsverhältnis oftmals auch als Verlags-
system bezeichnet.
Lange Zeit hat man der ungünstigen Lage der
Hausindnstriellen nur wenig Aufmerksamkeit ge-
schenkt und erst seit 1879 sind verschiedene vortreff-
liche Schilderungen einzelner deutscher H. veröffent-
licht. Außerdem hat man nur noch in Ruhland für
die Erforschung der H. sehr viel gethan, während
über die belgischen, französischen, österreichischen,
schweizerischen und englischen H. wenig bekannt ist!
Die besten deutschen Arbeiten sind die von Thun
über die H. am Niederrhein (l879), von Sax über
Thüringen (188^-80), von Bein über das sächs.
Vogtland (1684), von Schanz über Franken (1884),
von Morgenstern über die Metallschlägerei in Fürth
(1890). Neuerdings, seit 1889, erwirbt sich der
Verein für Soeialpolitik das große Verdienst, eine
Sammlung von Schilderungen deutscher H. zu ver-
anstalten, von welcher schon 5 Hefte erschienen sind.
Eine Zählung aller Hausindustriellen im ganzen
Reich ist 1882 mit der Verufszählung vorgenommen
worden, indem bei der an jede Person zurichtenden
/irage nach der Stellung im Berufe erforscht wurde,
ob die betreffende Persönlichkeit in der eigenen
Wohnung für ein fremdes Geschäft, d. h. zu Haufe
für fremde Rechnung arbeite. Außerdem wurde
gleichsam zur Kontrolle den Arbeitgebern die Frage
vorgelegt, ob und wieviel Personen sie in H. be-
schäftigen. Im ganzen betrug im Jahresdurchschnitt
die Zahl aller Hausindustriellen 476080, nach den
Angaben der Arbeitgeber 544 980. Von denselben
sind 44 Proz. weiblichen Geschlechts, während in
der gesamten Industrie unter l00 Gewerbthätigen
^0 weiblichen Geschlechts sind. Auf 1000 Ein-
wohner werden durchschnittlich 10,5 Haus industrielle
gerechnet; doch giebt es auch Distrikte, wo 30-80
vorkommen. Über die geogr. Verbreitung der H. im