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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hessen (Großherzogtum; Verfassung und Verwaltung)
fernsprecheinrichtung betrug 6 mit 179 km
Linien und 796 km Leitungen, die Zahl der Fern-
sprech-Vermittelungsanstalten 6, der Sprechstellen
756, der Teilnehmer 678. Die Einnahme betrug
4681311 M. (darunter Porto- und Telegraphen-
gebühren 4309522 M.), die Ausgabe 3772145 M.
Verfassung und Verwaltung. Das Großherzog-
tum ist eine unteilbare konstitutionelle Monarchie.
Staatsgrundgesetz ist die Verfassungsurkunde vom
17. Dez. 1820, seitdem geändert durch Einzelgesetze
und das Reichsrecht. Staatsoberhaupt ist der Groh-
herzog. Die Regierung ist im großherzogl. Hause
nach Erstgeburt und Linealfolge erblich, vermöge
Abstammung aus ebenbürtiger Ehe; in Ermange-
lung eines zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht
die Erbfolge auf das weibliche Geschlecht über, nach
dem Übergange gilt wieder der Vorzug des Manns-
stammes. Der Herrscher führt den Titel Großherzog
vonH. und bei Rhein mit dem Prädikat "Königliche
Hoheit". Die Civilliste des Großherzogs, welche
gleich den übrigen Bedürfnissen des Hofs vorzugs-
weise auf den Ertrag von zwei Dritteilen sämtlicher
Domänen, als schuldenfreies unveräußerliches Fa-
milieneigentum des Regentenhauses, angewiesen ist,
beträgt 1265500 M. jährlich. Den Landständen
liegt die Beratung und Feststellung des Staatsbud-
gets für jede (dreijährige) Finanzperiode, die Be-
willigung von Steuern und Abgaben, die Mitwir-
kung und Zustimmung bei Aufnahme von Staats-
schulden ob, sie haben das Recht der Kontrolle über
Tilgung und Verzinsung durch Kommissare, Kon-
trolle des Domänenbestandes, Entgegennahme der
Rechenschaft über Verausgabung der bewilligten
Steuern, das Recht, Initiativanträge zu stellen, und
das Interpellationsrecht. Die Einberufung der
Landstände hat mindestens alle 3 Jahre zu geschehen.
Diese, wie Vertagung, Schluß und Auflösung der
Zweiten Kammer ist Recht des Landesherrn. Eine
willkürliche Vereinigung ist gesetzwidrig und straf-
bar. Die Erste Kammer ist zusammengesetzt aus
den großjährigen Prinzen des großherzogl. Hauses,
den Häuptern der standesherrlichen Familien, dem
Senior der Familie der Freiherren von Riedesel, dem
kath.Landesbisch of, einem prot.Geistlichen (Prälaten)
und dem Kanzler der Landesuniversität, 2 Abgeord-
neten des grundbesitzenden Adels und (höchstens)
12 vom Großherzog auf Lebenszeit ernannten aus-
gezeichneten Staatsbürgern. Die Zweite Kammer,
auf sechs Jahre gewählt, besteht aus 10 Abgeordneten
der 8 Städte mit eigenem Wahlrecht (Darmstadt und
Mainz je 2, Gießen, Offenbach, Friedberg, Alsfeld,
Worms und Bingen je 1) und aus 40 von den an-
dern Städten und den Landgemeinden gewählten
Abgeordneten. Die Wahl ist indirekt. Zur Wahl-
berechtigung sowohl als zur Wählbarkeit ist ein
Alter von mindestens 25 Jahren erforderlich.
An derSpitze derV erw a ltun g steht das Staats-
ministerium (Ministerium des Innern und der
Justiz sowie der Finanzen). Der Staatsminister
ist Präsident des Staatsministeriums und zugleich
Minister des grohherzogl. Hauses und des Äußern.
Zum Geschäftskreis des Staatsministeriums ge-
hören die Leitung der Beziehungen zum Reich, die
Entscheidung in allen wichtigen Fragen des Staats-
dienstes, die Vorbereitung der Gesetze und Verord-
nungen, das Oberaufsichtsrecht über die Kirchen,
die wichtigern Entschließungen über Preß- und
Vereinswesen, die Verhandlungen über Anlagen
von Eisenbahnen u. a. Das Ministerium des In-
nern und der Justiz zerfällt in die Sektionen für
die innere Verwaltung (die eigentliche Regierung)
und für die Justizverwaltung. In der ersten Sek-
tion bestehen die Abteilungen für Schulangelegen-
heiten und für Öffentliche Gesundheitspflege, bei
dem Ministerium der Finanzen diejenigen für Bau-
wesen, Forst- und Kameralverwaltung, für Steuer-
wefen und für Eisenbahnwesen. Verwaltungsstrei-
tigkeiten entscheidet der Verwaltungsgerichtshof.
Das Grohherzogtum zerfällt in drei Provinzen:
Provinzen

Wohngebäude
Haushaltungen
Einwohner
E.Pro
Starkenburg . . Oberhessen . . . Rheinhessen . .
3019,25 3287,83 1374,76
54 266 46174 43 413
89 782 56 211 66 574
419 642 265 912 307 329
139,0 81,0 224,0
Großherzogtum > 7681,84 ! 143 853 > 212 567 I 992 883 ! 129,0
An der Spitze jeder Provinz steht eine Provinzial-
direktion, an der Spitze eines jeden der 18 Kreise
ein Kreisamt. Die Kreisämter sind die Organe der
Staatsregierung. Unter ihnen stehen die Bürger-
meister als Vorsteher der Gemeinden. In den größern
Städten ist die Handhabung der Ortspolizei beson-
dern großherzogl. Beamten (Polizeiamt, Polizei-
verwaltung) übertragen. Hn den andern Gemein-
den übt der Bürgermeister die Ortspolizei aus. Die
innere Verwaltung und die Vertretung der Kreise
und Provinzen ist durch Gesetz vom 12. Juni 1874
geregelt. Jeder Kreis sowie eine jede Provinz ist mit
Korporationsrechten ausgestattet und bildet einen
Verband zur Selbstverwaltung ihrer Angelegen-
heiten. Für jeden Kreis besteht zur Vertretung des
Kreisverbands und für Kreisangelegenheiten unter
dem Vorsitz des Krelsrats ein mit wirtschaftlichen
Funktionen ausgestatteter Kreistag, dessen Mit-
glieder zu einem Dritteil aus den Höchstbesteuerten,
zu zwei Dritteilen von den Bevollmächtigten der
Gemeindevorstände auf 6 Jahre gewählt werden,
von welchen aber nach 3 Jahren die Hälfte aus-
fcheidet. Zum Zweck der Verwaltung und der Be-
forgung von Geschäften der allgemeinen Landes-
verwaltung ist ein Kreisausfchuß bestellt, der aus
dem Kreisrat und 6 vom Kreistag gewählten Mit-
gliedern besteht und zugleich als Verwaltungsgericht
unterster Instanz thätig ist. In ähnlicher Welse be-
sorgt ein Provinzialtag und ein Provinzialausschuh
unter dem Vorsitz des Provinzialdirektors die Ver-
waltung der Angelegenheiten der Provinz. - Im
Bundesrat führt H. 3 Stimmen. H. zerfällt in die
9 Reichstagswahlkreise 1) Gießen-Grünberg
(Abgeordneter Köhler, Antisemit), 2) Friedberg-
Büdingen (Graf Oriola, nationalliberal), 3) Als-
feld-Lauterbach-Schotten (Bindewald, Antisemit),
4) Darmstadt-Groß-Gerau (Osann, nationalliberal),
5) Offenbach-Dieburg (Ulrich, Socialdemokrat),
6) Bensheim-Erbach (Hirschel, Antisemit), 7) Worms
(Freiherr Heyl, nationalliberal), 8) Bingen-Alzey
(Schmidt, freisinnige Volkspartei), 9) Mainz-Op-
penheim (Ioest, Socialdemokrat).
AnOrden bestehen der Ludwigsordcn (s. d.), der
Löwenorden (s. d.) und der Philippsorden (s. d.);
ferner das Militä'rsanitäts- und das Militärver-
dienstkreuz, beide 1870 gestiftet. Das Wappen
zeigt einen von Silber und Rot quergestreiften ge-
krönten Löwen mit einem Schwert in der rechten
Pranke in blauem Feld; der Schild wird von der
Königskrone bedeckt und von zwei Löwen gehalten.
Die Landesfarben sind Rot und Weiß.