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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hygieine

Gesundheit mechanisch einwirken und deshalb besondere Schutz- und Vorsichtsmaßregeln erheischen. (S. Staubinhalationskrankheiten.) Die Überwachung dieses Teils der öffentlichen H. ist in Deutschland und den meisten andern Kulturstaaten durch die Einrichtung der Fabrik- und Gewerbe-Inspektoren (s. Fabrikinspektor) gewährleistet.

Eine ziemlich schwierige Frage erwächst für die öffentliche H. aus den Gefahren, welche der allgemeinen Gesundheit durch Kurpfuscherei, Quacksalberei und Geheimmittel drohen. Während Bestimmungen zum Schutze gegen dergleichen Schädlichkeiten in Amerika wie in England von jeher fehlten, ging man in Deutschland noch bis in die neuere Zeit von der Ansicht aus, daß man einesteils das Publikum vor Benachteiligung an seiner Gesundheit durch Kurpfuscher schützen müsse, andernteils das ständische Recht der staatlich anerkannten und vorschriftsmäßig gebildeten Ärzte und Apotheker vor unberechtigten Eingriffen zu wahren habe. Beide Rücksichten sind nun im Deutschen Reiche mit Einführung der neuen Gewerbeordnung hinfällig geworden, welche die ärztliche Praxis völlig freigiebt. Während weiterhin früher die Sanitätspolizei vielfältig gegen Unmäßigkeit maßregelnd einschritt, trat in neuerer Zeit an die Stelle dieser unpraktischen Bestrebungen die Idee, eine gesundheitliche Erziehung ins Leben zu rufen, welche die gesundheitliche Wohlfahrt fördernde Grundsätze im Volke verbreitet. Diese Erziehung soll schon mit der Schule beginnen. Das eigentlich pädagogische Princip der leiblichen Erziehung wurde in Deutschland schon seit längerer Zeit zum größten Vorteil der jüngern Generation im Turnunterricht obligatorisch. Eine andere Reihe von Einrichtungen gehört insofern in das Gebiet der öffentlichen H., als es sich bei ihnen darum handelt, verlorene Gesundheit wieder zu ersetzen.

Die Veranstaltungen, die das gesamte Heil- und Krankenwesen im Staate betreffen, sind sehr umfassend. Für diesen Zweck dienen vor allem ein tüchtig gebildetes Heilpersonal und gut eingerichtete Krankenanstalten. Zunächst sind Ärzte heranzubilden, wobei man erst in neuerer Zeit in Deutschland das von Rust eingeführte System verlassen hat, Ärzte zweiter Klasse oder sog. Medicochirurgen mit halber Bildung und mit einem beschränkten Recht zur Praxis zu schaffen. Jetzt giebt es nur eine Klasse von Ärzten, die durch eine staatliche Approbation nach überstandener Prüfung das Recht erlangt haben, sich "Arzt" zu nennen. Für die unbemittelten Kranken werden seitens der Gemeinde besondere Armenärzte bestellt, während den arbeitenden Klassen seit dem Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 im Erkrankungsfalle zahlreiche Kassenärzte zur Verfügung stehen (s. Krankenversicherung). Ferner sorgt der Staat im Interesse der öffentlichen H. für materielle Heilmittel, indem er Apotheken und Apotheker mit Rechten und Privilegien versieht, aber auch nur an solche Apotheker Konzession erteilt, welche die vorschriftsmäßige Prüfung bestanden haben. Eine gesetzliche Arzneitaxe, ein Verzeichnis und Vorschriften über Bereitungsweise der zu haltenden Arzneien (d. h. eine Pharmakopöe), Bestimmungen über Einrichtung der Apotheke und regelmäßige Visitationen verhüten in Deutschland jene Ausschreitungen des Apothekergewerbes, welche in England und Amerika nicht geringe Nachteile für das Publikum mit sich bringen. 1872 wurde eine allgemeine Pharmakopöe im Deutschen Reiche gesetzlich eingeführt, von welcher 1890 eine dritte Ausgabe als "Arzneibuch für das Deutsche Reich" erschien. Die Ausbildung von Krankenwärtern und Heildienern trat mit Beseitigung des alten Bader- und Chirurgengewerbes in ein neues Stadium. Das Hebammenwesen ist in Deutschland weit besser als in andern Staaten geordnet, indem bei uns überall eigene Hebammenschulen errichtet sind und die Regierung nach den Bestimmungen der neuen Gewerbeordnung für die Ausübung der Hebammenkunst eine besondere, durch das Ablegen einer Prüfung öffentlich anerkannte Bildung fordert, auch die Hebammen an die Vorschriften einer Instruktion bindet. Für Heilanstalten sorgen Staat und Gemeinden durch Einrichtung allgemeiner Kreis- und Stadtkrankenhäuser (s. Krankenhaus) und specieller Anstalten für bestimmte Übel (Irren-, Blinden-, Siechen-, orthopäd. und Taubstummenanstalten), dann aber auch durch Anlegen und Unterhalten von öffentlichen Badeanstalten und Gesundbrunnen. Schließlich nimmt die öffentliche H. die Hilfsleistung für Verunglückte und die Vorbeugung vor Unglücksfällen wahr (s. Samaritervereine); sie sorgt für Rettung bei Scheintod durch die Leichenschau und durch Leichenhäuser oder Leichenhallen; sie trifft Rettungsmaßreqeln für Ertrunkene, Erfrorene und andere Verunglückte.

Unter der umfangreichen Litteratur über öffentliche H. sind außer den ältern Werken von Frank, Parent-Duchatelet, Nicolai, Sporer u. s. w. zu nennen: Schürmayer, Handbuch der mediz. Polizei (Erlangen 1848; 2. Aufl. 1856); Chapelle, Traité d'hygiène publique (Par. 1850); Tardieu, Dictionnaire d'hygiène publique et salubrité (3 Bde., ebd. 1852- 54); Horn, Das preuß. Medizinalwesen (2 Bde., Berl. 1853-58; in 3. Aufl. bearb. von Eulenberg, 1874; Supplement zur 1. Aufl. 1863); Vogel, Die mediz. Polizeiwissenschaft (Jena 1853); Pappenheim, Handbuch der Sanitätspolizei (3 Bde., Berl. 1858-64; 2. Aufl., 2 Bde., 1868-70); Sander, Die engl. Sanitätsgesetzgebung (Elberf. 1869); Geigel, Hirt und Merkel, Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege und der Gewerbekrankheiten (2. Aufl., Lpz. 1875); Österlen, Handbuch der H., der privaten und öffentlichen (3. Aufl., Tüb. 1876); Eulenberg, Handbuch der Gewerbehygieine (Berl. 1876); Uffelmann, Handbuch der privaten und öffentlichen H. des Kindes (Lpz. 1881); ders., Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens (2 Bde., ebd. 1881-82); ders., Handbuch der H. (Wien 1889); Stein, Die innere Verwaltung (1. Hauptgebiet, 2. Tl.: Das öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland, England, Frankreich und andern Ländern, 2. Aufl., Stuttg. 1882); von Pettenkofer und von Ziemssen, Handbuch der H. und der Gewerbekrankheiten (3 Tle., zum Teil in 3. Aufl., Lpz. 1882 fg.); Eulenberg, Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege (2. Aufl., ebd. 1885); Hirt, System der Gesundheitspflege (4. Aufl., Bresl. 1889); Flügge, Grundriß der H. (ebd. 1889); ders., Handbuch der H. (Wien 1889); Dammer, Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege (Stuttg. 1890 fg.); Kotelmann, Gesundheitspflege im Mittelalter (Hamb. 1890); Lehmann, Die Methoden der praktischen H. (Wiesb. 1890); Bock, Kleine Gesundheitslehre (7. Aufl., Lpz. 1890); Rudner, Lehrbuch der H. (4. Aufl., Wien 1892); Russ, Illustriertes Gesundheitslexiton (5. Aufl., Straßb. 1893). Außer den Zeitschriften für Staatsarzneikunde von J. H. Kopp, A. Henke, Wildberg, Schnei-^[folgende Seite]