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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Isländische Sprache und Litteratur
dische Mythologie und Heldensage (s. Edda), besangen Fürsten und Große, erzählten in ihren Sagas die Geschichte ihrer Heimat, ihres Mutterlandes, übersetzten geistliche und romantische Werke fremder Länder, zeichneten ihre Gesetze auf, erdichteten Märchen und Sagen in einfachem Stil. Anfänglich wanderte Lied und Sage von Gesellschaft zu Gesellschaft, nur daß man hin und wieder jenes mit Runen in Stäbe einschnitzte. Seit dem Ende des 12. Jahrh. werden die noch lebenden Überreste aufgezeichnet. Vieles hiervon ist uns bis heute auf den nord. Bibliotheken erhalten. Es ist überliefert in Membranen des 13., 14., 15. Jahrh. (einigen des 12., auch des 16.) und in vielen Papierhandschriften, die bei der Beschränkung des Buchdruckes auf Island bis ins 19. Jahrh. herabreichen. - Vgl. Arwidsson, Förteckning öfver kgl. Bibliotekets i Stockholm isländska Handskrifter (Stockh. 1848); Th. Möbius, Catalogus librorum islandicorum et novegicorum atetatis mediae (Lpz. 1856), nebst Fortsetzung: Verzeichnis der auf dem Gebiete der altnordischen Sprache und Litteratur von 1855 bis 1879 erschienenen Schriften (ebd. 1880); Kaalund, Katalog over den Arnamagnæanske Haandskriftsamling (Kopenh. 1888 fg.); Gödel, Katalog öfver Upsala Universitets Bibliotekets fornisländska handskrifter (Upsala 1892).
Was von Werken in gebundener Rede erhalten ist, tritt an Umsang weit zurück hinter dem Reichtum der prosaischen Litteratur. Vollständige Gedichte sind, außer den Eddaliedern,im ganzen nicht mehr als einige dreißig vorhanden; von einer großen Zahl sind dagegen kürzere oder längere Fragmente erhalten, die als Citate in der Snorra Edda oder in den Sagas angeführt sind. Diese isländ. Gedichte haben nur einen mäßigen Umfang; die längsten umfassen gegen hundert achtzeilige Strophen. Sie erscheinen in vier Versarten: im Liódaháttr, im Fornyrdislag, im Drottkvætt, in Runhenda. Allen gemeinsam ist die Strophe (vísa) und der Stabreim (Allitteration). Die Strophe besteht aus acht Halbversen, von denen je zwei durch den Stabreim verbunden sind. Die ältern Gedichte überschreiten sehr häufig diese Zahl, wie andererseits der Liódaháttr nur sechs Zeilen oder zwei Halbverse nebst je einem für sich reimenden Verse zuläßt. Das Fornyrdislag sowohl als der Liódaháttr hat nur den Stabreim, das Drottkvætt und die Runhenda außerdem den Silbenreim, der jedoch in jenem als halber (konsonantischer, innerhalb des ersten Verses) und voller (konsonantischer und vokalischer, innerhalb des zweiten Verses) innerhalb zweier Halbverse, in Runhenda als männlicher oder weiblicher Reim am Ende derselben steht; alle Versarten beruhen aus Zählung der Silben. Fornyrdislag und Liódaháttr sind die freiern und wohl die ältern Versmaße; doch reichen die Gedichte im Drottkvætt in das 9., die in Runhenda in das 10. Jahrh. hinauf. Alle werden bis in das 14. Jahrh. nebeneinander geübt; doch das Drottkvætt, immer kunstvoller variiert und ausgebildet, nimmt derart überhand, daß es für das 10. bis 13. Jahrh. das Hauptmetrum der isländ. Dichtung wird, während die Dichtung im Fornyrdislag vor der prosaischen Erzählung bereits zurückgetreten und andererseits die Runhenda, zwar nicht in ihrer ursprünglichen, reinen Form, sondern in dem aus ihr hervorgehenden Metrum, den Rimur, seit der Mitte des 14. Jahrh. die allein herrschende wird. Wesentlich der Dichtung im Drottkvætt, obwohl schon den einfachern Gedichten wie den spätern Rimur und den geistlichen Gedichten nichts weniger als fremd, ist eine eigentümliche Dichtersprache (skáldskaparmál), d. h. die Bezeichnung einer Person oder Sache teils durch gewisse, nur der Poet. Sprache eigentümliche Ausdrücke, teils "durch Umschreibung (kenningar), die, aus zwei, drei, vier, ja noch mehr Wortgliedern bestehend, ihren bildlichen Ausdruck der freien Natur, den alten Sagen, besonders der Mythologie entlehnen. Eine ausführliche Darlegung dieser poet. Diktion in Verbindung mit einer nordischen Mythologie, als ihrer wichtigsten Grundlage, wie andererseits der alten Metrik, bildet den Inhalt des Lehrbuchs der skaldischen Kunst, der von Snorre Sturluson verfaßten Edda (s. d.). über die metrische Form vgl. Sievers, Altgerman. Metrik (Halle 1893).
Ihrem Inhalt nach scheiden sich im großen und ganzen die Dichtungen im Fornyrdislag und die im Drottkvætt derart, daß die erstern hauptsächlich die heimische Mythe und Heldensage zum Gegenstand der Darstellung haben, die andern dagegen vorwiegend historisch-enkomiastische sind; gleichwohl giebt es z. B. Gedichte auf den Gott Thor und auf den Sagenhelden Ragnar Lodbrok im Drottkvætt aus dem 9. und 10. Jahrh., wie andererseits Enkomien (Lobgedichte) norweg. Fürsten im Fornyrdislag aus dem 12. und 13. Jahrh. Gedichte im Fornyrdislag und in den verwandten Metren (ljódaháttr, málaháttr u. a.) sind vor allem die der Eddalieder; ferner eine ganze Reihe der Heldensage angehöriger Lieder, die freilich teilweise nur in Prosaauflösung erhalten sind. Zu den schönsten Gedichten gehören drei auf die norweg. Könige Harald, Eirik und Hakon. Genealog. Charakters sind: "Háleygjatal", "Noregs konungatal", Aufzählungen der erlauchten Vorfahren dessen, auf den ein jedes dieser Gedichte gefertigt ist. Hochberühmt sind die beiden Gedichte des gefeierten Skalden Egill Skallagrimsson, das eine auf den Tod seines Sohnes, das andere auf seinen Freund Arinbjörn, Sturlas Ehrengedicht auf König Hakon (gest. 1263) und viele andere. "Merlinússpál" und "Hugsvinnsmál", beide nach lat. Originalen, ahmen Eddalieder verwandten Inhalts auch im Metrum nach, jenes die "Völuspá", dieses die "Hávamál". Die Gedichte im Drottkvætt sind vor allem jene Enkomien nordischer Fürsten, weltlicher wie später auch geistlicher, namentlich auch Heiliger. Sie heißen Drapas (drápur) oder Flokkar, jene, als die bei weitem feierlichem, von diesen teils durch größern Umfang, teils durch die Gliederung vermittelst der Kehrreime (stef) unterschieden. Ausgestattet mit allem Schmuck skaldischer Kunst, preisen sie den Fürsten, vor dem sie von ihrem Dichter (skald) vorgetragen werden, durch Aufzählung seiner Thaten. Ihr Wert ist selten ein poetischer, rm besten Falle ein historischer, und in diesem Sinne sind sie von den isländ. Historikern teils als Quellen, teils als Zeugnisse im ausgedehntesten Maße benutzt worden; fast alle histor. Sagas enthalten mehr oder minder umfängliche Fragmente solcher Drapas. Neben diesen größern Drapadichtungen wird das Drottkvætt noch ganz besonders häufig angewendet in den epigrammartigen und sententiösen Improvisationen, den sog. lausavísur, die meist aus einer Halbstrophe bestehen. Jeder bedeutsame Ausspruch, der besondere Wirkung und Eindruck bei dem Hörer hervorbringen und seinem Gedächtnisse sich recht tief einprägen soll, wird in dichte-^[folgende Seite]