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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Isländische Sprache und Litteratur
rische Form, und zwar fast ausschließlich in die metrische des Drottkvætt gekleidet. Fertigung wie Verständnis solcher Verse war auf Island so verbreitet, daß sie fast aus jedermanns Munde erklangen; besonders wohlgelungene und deshalb bekannt gewordene Verse dieser Art mitzuteilen, neue sofort zu dichten, namentlich im Wechselgespräch, gehörte zu den beliebtesten Unterhaltungen bei geselligen Zusammenkünften. Als besondere Arten dieser Dichtung stehen ihrem Zwecke und Inhalt nach einander gegenüber: die Nidvisa und der Mansöngr; jene will Haß und Hohn über den, gegen welchen sie gerichtet ist, verbreiten, dieser sich die Liebe eines Mädchens (man) gewinnen; die gesetzlichen Verbote und Strafen (lebenslängliches Exil), die nicht nur die erstere, sondern auch den Mansöngr betrafen, sofern er den Ruf eines Mädchens gefährdete, zeugen genugsam für die Bedeutung und Wirkung, die man ihnen zuschrieb. Der bei weitem größte Teil der altisländ. Poesie ist gesammelt von Gudbrand Vigfusson und Y. Powell im "Corpus poeticum boreale" (2 Bde., Oxf. 1883).
Die isländ. Prosalitteratur ist Sagalitteratur; was sie außer der Saga enthält, tritt an Umfang und, weniges ausgenommen, auch an Bedeutung zurück. Saga ist eine Erzählung in Prosa, geschichtlichen oder erdichteten Inhalts. Zunächst mündlich fortgepflanzt, gewinnt sie, überwacht und getragen von der lebendigen Teilnahme der Hörer, im Munde des geübten Erzählers gewisse typische Formen, ja eine gewisse künstlerische Ausbildung. Als man Ende des 12. Jahrh. begann, die Sagas niederzuschreiben, konnte es nicht fehlen, daß jene mehr oder minder typisch gewordenen Formen der mündlichen Erzählung auf die schriftliche übertragen wurden, und dies um so mehr, als doch höchst wahrscheinlich die ersten Verfasser schriftlicher Sagas dem Kreise der Sagenerzähler (sagamenn) angehörten. So bildete sich im Laufe des 13. Jahrh. ein Sagastil, der fast der ganzen Prosalitteratur sein Gepräge aufdrückt. Jene typischen Eigentümlichkeiten aber, die, am reinsten und reichsten zugleich, in den sog. "Islendinga sögur" auftreten, bestehen in strengster Objektivität vom Anfang bis zu Ende: immer dieselbe durchaus affektlose, sich gleich bleibende Ruhe, Gleichmäßigkeit und denkbar größte Einfachheit des Stils (der durchaus parataktischen Redeweise), eine ebenso eingehende Charakteristik der Hauptpersonen nach ihrer Herkunft, ihrer leiblichen und geistigen Beschaffenheit, als kurze und nur andeutende Beschreibung der Örtlichkeiten und natürlichen Umgebung, vielfache Anwendung des Dialogs, auch von Versen, die den auftretenden Personen in den Mund gelegt werden (lausavísur), auch der Träume, namentlich sofern sie das, was geschehen wird, schon im voraus ankündigen, und anderes. Diese Sagaform war es nun, in die sich sowohl die seit der Mitte des 12. Jahrh. beginnende Geschichtschreibung kleidete, als auch die ganze zur Unterhaltung und zur Erbauung bestimmte umfängliche Erzählungslitteratur des 13., 14. und 15. Jahrh. Die Geschichtschreibung der Isländer hat vor allem Norwegen zum Gegenstande, sodann Island, nur mittelbar das übrige Skandinavien und andere Länder; sie verbreitet sich über einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren, vom Ende des 9. Jahrh., als Harald Harfagri die norweg. Monarchie gründete, infolgedessen Island besiedelt wurde, bis in den Anfang des 14. Jahrh. An ihrer Spitze steht Are Frode, d. i. Are der Kundige (gest. 1148), von dem wir den "Libellus Islandorum" (oder "Islendingabók", hg. von Th. Möbius, Lpz. 1869, und Golther, Halle 1892) besitzen; sein Verdienst besteht in der chronol. Gliederung und Bestimmung des ihm mündlich überlieferten Geschichtsstoffs. Auf Ares Angaben, wie zum Teil auf denen seines Zeitgenossen Sæmund Frode (gest. 1133) fußen fast sämtliche isländ. Historiker, vor allem auch derjenige, der durch Erweiterung des Quellenmaterials, durch kritische Prüfung desselben, durch reine Sprache und geschmackvolle Darstellung als der bedeutendste unter ihnen gelten muß, Snorre Sturluson (s.d.). Gleichfalls bedeutend ist Snorres Neffe, der Historiker Sturla Thordarson (gest. 1284). Mit dem Aufhören von Islands Selbständigkeit (1264) schwindet aber auch jede originale Historiographie, die, nachdem sie während des 14. Jahrh. nur noch auf Bearbeitungen, Auszüge, Abschriften der frühern Werke sich beschränkt hatte, endlich in trockner, annalistischer Aufzeichnung ganz erstirbt.
Die Sagas, in denen die Geschichte der nordischen Länder und Inseln während des genannten Zeitraums erzählt wird, die sog. historischen Sagas. teilen sich samt ihren Thcettir (den eingeschobenen kleinern Erzählungen) in zwei Reihen, in die Isländer Sagas (Islendingasögur) und die norweg. König-Sagas (Noregs konungasögur). Jene bestehen vornehmlich in Geschlechts- und Familiengeschichten oder auch Biographien einzelner hervorragender Männer (z. B. "Laxdœlasaga", "Eyrbyggjasag", "Vatnsdœlasaga", "Njálssaga", "Egilssaga", "Grettissaga", "Gunnlaugssaga ok Skáld-Hrafns"); über ganz Island verbreiten sich zwei Hauptwerke: die "Landnámabók", ein vorwiegend genealog. Werk, das von der Besiedelung Islands (874-930) berichtet, und die "Sturlungasaga", die die Kämpfe der mächtigen Sturlungenfamilie und den durch sie herbeigeführten Untergang von Islands Freiheit (1256-64) erzählt. Auch die "Biskupasögur" gehören hierher, in denen die Einführung des Christentums auf Island (ums J. 1000) und das Leben einer Anzahl Bischöfe zu Skaltholt und zu Holar berichtet wird; diese und die isländ. Annalen (bis zum J. 1430) bilden die Quellen für die spätere Geschichte des alten Island. Die König-Sagas behandeln teils die Geschichte einzelner norweg. Regenten, von Harald Harfagri bis auf Magnus Hakonarson (gest. 1281), teils eine kürzere oder längere Reihe derselben im Zusammenhang. Unter den letztern ragt hervor Snorres "Heimskringla", die mit der ihm eigentümlichen Geschichte der Ynalinger beginnt und die Geschichte der norweg. Könige bis auf Magnus Erlingsson (gest. 1184) herabführt. Die umfassendste Sammlung der König-Sagas ist die zwischen 1370-80 geschriebene "Flateyjarbók" (3 Bde., Kopenh. 1860-62).
Die nichthistorischen Sagas werden in der Regel in zwei große Gruppen geschieden, in die Fornaldarsögur Nordrlanda und die Fornaldarsögur Sudrlanda. Die erstern, die ihrem Inhalte nach meist dem skandinav. Norden angehören, umfassen teils die mythisch-heroischen, teils die romantischen Sagas. Jene beruhen zum guten Teil auf den alten Liedern, in denen Mythus und Heldensage ihren ursprünglichen Ausdruck gefunden haben, und von denen einige, z. B. in der Lieder-Edda, noch vollständig aufbewahrt sind. Doch die