Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

772

Italien (Geschichte 1870 bis zur Gegenwart)

reich I. zu machen in Zula, südlich von Massaua, und namentlich in Tunis; beidemal wurde Frankreich zum Rückzug genötigt, während I. für seine Erzeugnisse allmählich in Deutschland einigen Ersatz für den franz. Markt fand. Das Verhältnis zum Vatikan verschlimmerte sich; nachdem I. das Ansinnen des Papstes, ganz Rom, dann wenigstens die Leoninische Stadt je mit einem entsprechenden Gebietsstreifen dem Tiber entlang bis zum Meer abzutreten, abgewiesen und den Bürgermeister von Rom, welcher im Namen der Stadt ohne Wissen der Regierung und des Gemeinderats Leo XIII. 31. Dez. 1887 Glückwünsche hatte aussprechen lassen, abgesetzt hatte, ward dem neuen Strafgesetzbuch von 1888 der auch in andern Staaten geltende, in I. bisher für erläßlich gehaltene Satz einverleibt, welcher Priestern Umtriebe und Aufreizungen gegen den Bestand, die Einrichtungen und Gesetze des Staates und die Handlungen einer Behörde untersagte. Zugleich wurde in dem Gesetz über Gemeinde- und Provinzialreform der Regierung die Ernennung der Bürgermeister in Orten unter 10000 E. vorbehalten, um diese dem in ihnen übermächtigen Einfluß der Geistlichkeit zu entziehen. Sehr gereizt aber wurde Leo XIII. durch die Feier bei der Enthüllung von Giordano Brunos Denkmal, welche in Rom 9. Juni 1889 stattfand. Auf das von der Umgebung des Papstes ausgesprengte Gerücht, er werde nach Valencia übersiedeln, antwortete Crispi mit der Androhung eines Schismas. Darauf blieb der Papst, obwohl noch im Dezember desselben Jahres ein neuer empfindlicher Schlag gegen die Macht der Geistlichkeit geführt wurde, indem ihr die Verwaltung der Wohlthätigkeitsanstalten entzogen wurde, welche unter einer neu geregelten Oberaufsicht des Staates im wesentlichen den Gemeinden verblieb. Das Gesetz ging aber im Senat erst nach ernsten Verhandlungen 6. Mai 1890 durch. Angesichts der Bestrebungen Rußlands, mit seiner Flotte ins Mittelmeer einzudringen, betonte Crispi schon 12. März 1888, I. als Mitglied des Dreibundes (s. d.) richte im Unterschied von Deutschland seine Spitze gegen Rußland, nicht gegen Frankreich, dem gegenüber es I. genüge, die frühere Abhängigkeit in Handel, Kredit, Eisenbahnwesen und Politik abgeschüttelt zu haben. Etwas abweichend erklärte er jedoch 17. März und 3. Mai 1888 und 8. Okt. 1890: während I. im Dreibund die Stellung eines Gleichberechtigten errungen und an Österreich die Schutzwehr gegen den Einbruch des Slawentums habe, sei es mit England durch das gemeinsame Bestreben, das Mittelmeer nicht zu einem franz. See werden zu lassen, verbunden. Die Versuche Englands, bei den Verhandlungen 1890) über Kassala und die Abgrenzung der beiderseitigen Einflußsphären I.s Kraft im Süden von Ägypten auszunutzen, scheiterten.

Der immer schwieriger werdende Posten des Finanzministers ward unter Crispi mehrfach neu besetzt; Dez. 1888 wurde an Stelle Maglianis Grimaldi zum Finanzminister, der Senator Perazzi zum Schatzminister gemacht und Miceli mit dem bisher von Grimaldi versehenen Posten eines Ackerbauministers betraut, während Boselli an Stelle Coppinos den Unterricht übernahm. Wieder wegen Meinungsverschiedenheit zwischen Kammer und Regierung in Finanzsachen trat eine Neubildung des Kabinetts März 1889 ein; an Stelle Grimaldis und Perazzis traten Seismit-Doda und Giolitti, an Stelle Saraccos der Senator Finali als Minister der öffentlichen Arbeiten; der Linken gehörten nun im Kabinett an Crispi, Zanardelli, Seismit-Doda, Miceli, Giolitti und der Marineminister Brin, während dem rechten Centrum Bertolè-Viale, Finali und Boselli entnommen waren. Am 19. Nov. 1890 wurde aber auch Seismit-Doda wegen Irredentismus verabschiedet; Giolitti, der aushilfsweise dessen Amt mit übernahm, überwarf sich jedoch alsbald mit Finali, worauf Finanzen und Schatz wieder Grimaldi übernahm. Der Kammer ward 26. Mai 1888 der Entwurf des neuen Strafgesetzes vorgelegt, welches endlich in I., wo im Norden bisher noch nach piemontesischem, in Toscana nach toscanischem, im Süden nach bourbonischem Recht gerichtet worden war, die im bürgerlichen Recht schon 1860 erreichte Einheit auch im Strafrecht herstellte; die Todesstrafe ward durch dasselbe abgeschafft. Von der Kammer wurde seine Annahme 9. Juni, vom Senat 17. Nov. 1888 beschlossen. Außerdem ward eine Provinzial- und Gemeindereform von der Kammer 19. Juli, vom Senat 20. Dez. 1888 gutgeheißen und eine Reform des Polizeigesetzes von der Kammer 21. Nov. 1888 angenommen. Einen Hauptgegenstand der Kammerverhandlungen bildete die immer trauriger sich gestaltende Finanzlage. Nachdem nach der Niederlage von Dogali der Regierung 5 Mill. Frs. außerordentlicher Kredit bewilligt worden war (5. Febr. 1887), teilte Magliani der Kammer, welche eben eine Erhöhung des Einfuhrzolls namentlich auf Zucker beschlossen hatte, Dez. 1887 mit, daß zwar die Einnahmen von 1887/88 den Voranschlag um 50 Mill. Frs. überstiegen hätten und für die erhöhten Militärausgaben die Überschüsse früherer Jahre ausreichten, er aber gleichwohl die Ausgabe von 70 Mill. Frs. Obligationen beantrage; das Deficit für 1888/89 sei auf 15 Mill. Frs. herabgemindert und die Erhöhung von Steuern werde eine Vermehrung der Einnahmen um 25 Mill. Frs. ergeben. Als aber 1888 das von Magliani vorgelegte Budget mit 70 Mill. Frs. Fehlbetrag schloß, hatte er heftige Angriffe zu erfahren; die Getreidezölle mußten nun von 3 auf 5 Frs. erhöht werden. Dennoch warnte Crispi vor Sparsamkeit bei Rüstungen 4. Febr. 1888; um den Frieden zu erhalten, nötigenfalls zu erzwingen, bedürfe I., das schon größere finanzielle Schwierigkeiten überwunden habe, einer starken Armee und Marine. Der außerordentliche Kredit von 127 Mill. Frs., welcher nun vom Kriegsminister gefordert wurde, steigerte das Deficit von 1888 auf 230 Mill. Frs. Magliani, der mit 60 Mill. Frs. neuer Steuern dasselbe binnen 4½ Jahren zu decken versprach, fand keinen Glauben mehr. Im Hinblick auf die großen Verluste, die I. der Zollkrieg mit Frankreich brachte, forderte nun König Humbert in der Thronrede vom 28. Jan. 1889 bei strenger Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen in betreff der öffentlichen Arbeiten und der militär. Maßnahmen die Herabminderung der Ausgaben auf die äußerste Grenze und den Aufschub von Unternehmungen, welche neue Lasten auflegen würden. Perazzi berechnete das Deficit von 1888/89 auf fast 192 Mill. Frs.; um es zu decken, beantragte er die 1881 gegründete und damals mit 27 Mill. Frs. Rente ausgestattete Pensionskasse aufzulösen bez. das Kapital auszugeben und die Pensionen wieder auf das Budget zu übernehmen, wie es 1893 unter Giolitti thatsächlich geschah. Der darüber zwischen Kammer und Kabinett entstehende Meinungsstreit veranlaßte Crispi, letzteres 28. Febr.