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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Italien (Geschichte 1870 bis zur Gegenwart)

bis 11. März 1889 umzubilden und zuzusagen, daß mit Ausnahme einer Neuansetzung der Gebäudesteuer keine neuen Auflagen gefordert, der Ausfall im übrigen durch Ersparnisse gedeckt werden solle.

Neue Ausgaben aber erwuchsen der Regierung durch den Baukrach in Rom. Die bedeutenden Ausgaben, welche Rom aus der Erhebung zur Hauptstadt erwuchsen, hatte 1883 die Regierung zu erleichtern gesucht, indem sie 2½ Mill. Frs. Jahreszuschuß gewährte und sich für eine Anleihe von 150 Mill. Frs. verbürgte, wogegen die Gemeinde Regierungsbauten für 30 Mill. Frs. auf sich übernahm; bei der Untersuchung von 1890 aber ergab sich, daß bereits die Summe von 127 Mill. Frs. verausgabt, von den geplanten Arbeiten jedoch erst der kleinere Teil ausgeführt war. Die Regierung bewilligte nun den Staatszuschuß von 2½ Mill. Frs. für weitere 20 Jahre bis zur völligen Tilgung der Anleihe und übernahm die Tiberregulierungsarbeiten auf sich, zog dafür aber die städtische Verzehrsteuer in eigene Verwaltung, um aus dieser der Stadt jährlich 4 Mill. Frs. zu zahlen; die noch fehlenden 2 Mill. Frs. hatte diese dann durch neue Steuern aufzubringen. Fast der gesamte Gemeinderat und der Bürgermeister dankten daraufhin ab, und die Regierung sah sich gezwungen, in dem Abgeordneten Finocchiaro-Aprile der Stadt einen Kommissar zur Verwaltung zu geben. Gleichzeitig glaubte sich die Regierung genötigt, um den Anforderungen an den modernen Staat hinsichtlich der Armenunterstützung genügen zu können, die erwähnte Einziehung des Vermögens der frommen Stiftungen vorzunehmen. Trotzdem schilderte die Thronrede vom 25. Nov. 1889 die Finanznot als überwunden, um so mehr, als man angesichts des gesicherten Friedens in den Heeresausgaben Sparsamkeit walten lassen könne. Den Fehlbetrag für 1890/91 gab Dez. 1889 Giolitti und der kurz darauf an seine Stelle getretene Seismit-Doda 12. Febr. 1890 auf 33 Mill. Frs. an; das Deficit von 1889/90 aber betrug 250 Mill. Frs., und schon 17. März 1890 mußte die Kammer wieder über 15½ Mill. Frs. außerordentlichen Kredit für Vermehrung der Marine und Ankauf neuer Munition gewähren. Kurz darauf erwarb die Regierung von der Familie Garibaldi die Insel Caprera für 332000 Frs., um daselbst Befestigungen anzulegen.

Mehr und mehr suchte die öffentliche Meinung in den Rüstungen und der Teilnahme am Dreibund den Grund der Finanznot; Crispi erklärte dies in einer Rede zu Turin 18. Nov. 1890 für unzutreffend, die Rüstungen für notwendig und versprach, Reformen und Ersparnisse würden das Deficit beseitigen, neue Steuern nicht aufgelegt werden. Aber bereits bahnte sich Rudinì den Weg zur Stelle des Ministerpräsidenten, indem er den furchtbaren Steuerdruck der auf allen Produktionszweigen, vor allem auf der Landwirtschaft laste, als Hauptursache der wirtschaftlichen Not bezeichnete. Diese war seit 1887 im Zunehmen; ein Handelsvertrag mit Österreich, welcher seit 1. Jan. 1888 galt und von der Kammer 1887 genehmigt worden war, hatte zunächst keinen Ersatz für den Ausfall an Ausfuhr nach Frankreich erschlossen, ebensowenig die Verlängerung der alten Handelsverträge mit der Schweiz und Spanien. Besonders hart traf der Ausfall an Weinausfuhr den Süden. Dazu kam, daß die Provinz Cosenza durch ein Erdbeben 2. und 3. Dez. 1887 noch empfindlicher heimgesucht wurde als die Riviera und Piemont, wo solche schon 23. Febr. und 11. März 1887 eingetreten waren, und daß die Cholera, welche I. schon 1884 heimgesucht hatte, sich 1887 von Catania und Messina über Reggio bis nach Neapel und Gaëta verbreitete. Im März, April und Mai brachen unter den Arbeitern und der ländlichen Bevölkerung Unruhen aus, und aus dem Süden, namentlich von Sicilien, wo Leute Hungers starben, trafen die übelsten Nachrichten ein.

Die Thronrede vom 10. Dez. 1890 erklärte deshalb neben der Herstellung des Gleichgewichts in den Finanzen durch Ersparnisse und durch eine Umgestaltung der Besteuerung die Sorge für das Wohl der Arbeiter als die Hauptaufgabe der Kammer. Sehr unterstützt wurden durch diesen Notstand die auf Crispi von Radikalen, Irredentisten und der von Bonghi geführten Rechten gerichteten Angriffe. Zielscheibe bildeten für die Opposition die afrik. Unternehmung der Regierung, welche unerwartet große Opfer an Geld forderte, und die über das Zusammengehen mit Österreich und Deutschland Frankreich gegenüber entstandene Spannung. Mit Entschiedenheit aber erklärte Crispi einerseits die Ausdauer in Afrika für geboten, andererseits daß als I.s Gegner nicht Österreich, sondern der von Frankreich unterstützte Vatikan zu betrachten sei (11. Mai und 10. Juni 1889). Die Klerikalen enthielten sich nach päpstl. Weisung immer noch der Wahl von Abgeordneten; ihre Geschäfte besorgten indessen die Radikalen. Nachdem Crispi geschickt die Masse meist irredentistischer Interpellationen von 1889 beantwortet hatte, bezeichnete er in einer Rede zu Florenz 8. Okt. 1890 als den Punkt, auf welchen die Radikalen zutrieben, den Krieg mit ganz Europa, den Umsturz des Thrones und den Untergang des Vaterlandes. Nachdem die Radikalen 12. Okt. ein Gegenbankett in Florenz gehalten hatten, erfolgte in Palermo 12. Nov. eine begeisterte Kundgebung für Crispi. Eine ähnliche hatte er daselbst und in Neapel schon nach dem Mordanfall auf ihn im Sept. 1889 erhalten, wie in der Kammer 31. Mai 1890 ein Vertrauensvotum, bei welchem der größte Teil der Rechten unter Führung Rudinìs für ihn stimmte. Nachdem die alte Kammer 24. Okt. 1890 aufgelöst worden war, erlitten Radikale und Irredentisten eine schwere Niederlage bei den Neuwahlen vom 23. bis 30. Nov. 1890; 3 Irredentisten und 39 Radikale standen unter den 508 Neugewählten 392 Anhängern Crispis, 46 Nicoteras gegenüber; 28 bezeichneten sich als Parteilose. Bei dieser Lage war der Streit, welcher sich im Jan. 1891 zwischen Crispi und der Kammer erhob und jetzt schon Rudinì an Crispis Stelle brachte, um so überraschender. Nachdem Grimaldi in offener Darlegung auch für 1890/91 einen Fehlbetrag von 45 Mill. Frs., für 1891/92 einen solchen von 27 Mill. Frs. angekündigt, und die Regierung unter Festlegung der außerordentlichen Ausgaben auf 85 Mill. Frs. erklärt hatte, mit bloßer Erhöhung einiger Steuern auskommen zu können, griff Crispi, gereizt durch den Widerstand, welchen die Kammer diesen Steuern entgegenstellte, die Rechte mit einer Schärfe an, die seinen Sturz zur Folge hatte. Die Hoffnung Frankreichs auf eine Abwendung I.s vom Dreibund und die Erwartungen des Vatikans infolge des Ministerwechsels erfüllten sich jedoch nicht. Denn während der neue Finanzminister Luzzatti durch Ersparungen und Einnahmenerhöhungen 74 Mill. Frs. herausschlug und der König auf einen Teil der Civilliste verzichtete, hielt auch dieses Kabinett der Rechten gegenüber dem An-^[folgende Seite]