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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Italienische Kunst

dekorativer Plastik, deren Wirkung sie gern durch musivischen Schmuck erhöhten. Im allgemeinen ging die Überlieferung völlig verloren, sodaß am Anfange unsers Jahrtausends die ital. Skulptur erst wieder die technische Geschicklichkeit und den Formensinn sich neu erwerben mußte. Wie traurig es mit derselben beschaffen war, lehren die Portalskulpturen an San Zeno in Verona, der Façadenschmuck der Dome von Modena, Ferrara, Piacenza, der Baptisterien in Parma und Pisa. Steife, regungslose Gestalten in schlechten Verhältnissen, ausdruckslose Köpfe, konventionell gezogene Falten der Gewandung sind allen diesen Werken gemeinsam.

Erst gegen die Mitte des 13. Jahrh. begann, und zwar in Toscana (Pisa), ein Aufschwung der ital. Bildnerei. Niccolò Pisano (gest. 1278) befreite sie aus der Gebundenheit zu neuer Entwicklung. Er folgte antiken Vorbildern und gelangte dadurch sowohl als durch eigene Naturbeobachtung zu einer für jene Zeit überraschenden Schönheit der Form und Gediegenheit der Technik wie sie die Prachtkanzeln im Baptisterium zu Pisa (s. Taf. IV, Fig. 1) und im Dom zu Siena zeigen. Sein Sohn Giovanni Pisano lenkte von der Nachahmung antiker Skulpturen wieder ab; sein Streben ging mehr auf das Natürliche und Mannigfaltige, auf einen bewegtern, leidenschaftlichern Stil; Andrea Pisano wußte den harten Realismus des Niccolò durch Sinn für Schönheit und Einfachheit zu mäßigen und vollendete 1330 ein großartiges Werk, die älteste mit Reliefs geschmückte Erzthür des Baptisteriums zu Florenz, die unter den plastischen Erzeugnissen des ital. Mittelalters nur an den 1359 von Orcagna ausgeführten Skulpturen des Altartabernakels in Or San Michele daselbst würdige Seitenstücke hat. Neben den Florentinern bildet Giovanni di Balduccio da Pisa in Oberitalien eine Schule, deren Hauptwerke die Scaliger-Gräber zu Verona, Skulpturen zu Bergamo, Monza, Mailand durch die Künstlerfamilie der Campionen während des 14. Jahrh. ausgeführt wurden.

Das schon bei diesen Meistern sehr hervortretende Naturstudium wurde nun die Grundlage, auf der im 15. Jahrh. eine Reihe toscan. Künstler die ital. Bildnerei weiter entwickelte und in selbständiger Weise erhob. Jacopo della Quercia, in seinen Bildwerken am Hauptportal von San Petronio zu Bologna (1429) und in seinen Skulpturen in seiner Vaterstadt Siena, näherte sich der vollen Freiheit des neuen Stils, der fast gleichzeitig zu Florenz von Lorenzo Ghiberti mit den berühmten Reliefs (s. die Tafel: Bronzereliefs vom Baptisterium zu Florenz, beim Artikel Ghiberti) an den beiden neuern Thüren des dortigen Baptisteriums begründet und von Donatello in seinen Marmorstatuen an Or San Michele u. a. (s. Taf. IV, Fig. 3) bis zu rücksichtsloser Naturwahrheit getrieben wurde. Luca della Robbia entfernte sich nicht so weit wie jene von dem ältern Stil, indem er bei aller Natürlichkeit, Lebensfülle und Mannigfaltigkeit seinen Gestalten einen Zug feierlicher Idealität und eigentümlicher Zartheit aufdrückte lMarmorreliefs im Nationalmuseum und Bronzethüren im Dom zu Florenz). Außerdem war er der Schöpfer einer neuen Gattung der Bildnerei, der Terrakotten mit einem weißen oder farbigen Glasurüberzuge, die durch ihn und seine Familie zu einer hohen Vollkommenheit gebracht wurde (s. Taf. V. Fig. 1). Die Mehrzahl der übrigen Zeitgenossen, unter denen Andrea del Verrocchio (s. Taf. IV, Fig. 7) und Antonio Pollajuolo die bedeutendsten sind, folgte der von Donatello betretenen naturalistischen Richtung. Andere toscan. Bildhauer zeigen sich minder naturalistisch als jene und in Auffassung und Formgefühl dem Luca della Robbia näher verwandt; so die meist in Marmor arbeitenden Künstler Antonio Rossellino (s. Taf. IV, Fig. 6), Desiderio da Settignano, Mino da Fiesole (s. Taf. IV, Fig. 2), Benedetto da Majano (s. Taf. IV, Fig. 4) u. s. w. Andere ital. Meister dieses Zeitraums können es zwar mit den toscanischen nicht aufnehmen, verdienen jedoch immerhin Beachtung, namentlich Alessandro Leopardo (gest. 1521) in Venedig und Andrea Riccio (gest. 1532) in Padua.

Die Werke der bisher genannten Meister waren vorzugsweise für die Ausschmückung der Kirchen und Grabmäler bestimmt. Profane Skulpturen finden sich, außer Bildnissen, im 14. und sogar im 15. Jahrh. selten. Als aber mit dem Studium der klassischen Litteratur die ital. Bildnerei sich von der ausschließlich kirchlichen Richtung losmachte, behandelte sie sowohl Vorgänge aus der heiligen als aus der weltlichen Geschichte, aus der Allegorie und aus der Mythologie. Was Giovanni Pisano angestrebt und nach ihm Donatello noch entschiedener versucht und bewerkstelligt hatte, das ging als Vermächtnis auf die Folgezeit über und wurde im 16. Jahrh. mit den umfassendsten Mitteln der Darstellung und im ausgedehntesten Kreise der Anschauung zu völligem Abschluß gebracht. Den Übergang in die freie Formenbehandlung des Cinquecento fanden zuerst Giov. Franc. Rustici, Andrea Sansovino und Jacopo Sansovino (s. Taf. IV, Fig. 5). Alfonso Lombardi aus Ferrara, Antonio Begarelli aus Modena, Giovanni da Nola, der Hauptrepräsentant der neapolit. Bildhauerschule, gehören gleichfalls zu den ausgezeichneten Meistern derselben Zeit. Doch über alle ragt schon am Ende des 15. Jahrh. der Florentiner Michelangelo Buonarroti hinaus, welcher die menschliche Gestalt groß und frei in der meisterhaftesten Weise darstellte. Die von ihm geschaffenen Bildwerke, wie der trunkene Bacchus, die Pietà (s. Taf. V, Fig. 4), der David, der Moses (s. Taf. V, Fig. 2), die Statuen an den Mediceergräbern (s. Tafel: Grabmal des Lorenzo de' Medici, beim Artikel Michelangelo), sind hervorragend durch die tiefe Kenntnis der Anatomie, die treffliche Behandlung des Marmors sowie die vorzügliche Charakterisierung der Gestalten. Nur brachte er seine Figuren oft in gewaltsame Bewegungen, deren Absicht nicht selten schwer verständlich ist. Bei seinen Arbeiten halfen ihm Raffael da Montelupo und Fra Giovanni Angelo Montorsoli. Zu seinen tüchtigern Nachfolgern gehören: Guglielmo della Porta, Benvenuto Cellini (s. Taf. V, Fig. 5), Niccolò Pericoli, genannt Tribolo. Sein Nebenbuhler Baccio Bandinelli (s. d.) unterliegt, ohne es zu wollen, seinem Einfluß. Alle diese übernahmen von Michelangelo die Größe der Auffassung und die idealistische Überkraft der Formen. Ihre Kunstart erweist sich als äußerlich meisterhaft, doch mit fertigen Schulmotiven arbeitend, selbst in Monumentalwerken als dekorativ. Aber innerhalb ihrer Grenzen entwickelt sie eine hohe Meisterschaft im Aufbau sowohl wie im einzelnen. Namentlich erhält seit dem letzten Drittel des 16. Jahrh. die Bildnerei durch Giovanni da Bologna (s. Taf. V, Fig. 3) neue Anregungen, der in seinen Arbeiten Anmut der Form und Geschick in der Gruppierung zeigt.