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Litauer - Litauische Sprache
etwa 275 900 qkm umfassende Länderstrich an Rußland, welches daraus die sechs Gouvernements Kowno, Wilna, Grodno, Mohilew, Witebsk und Minsk bildete. Die Gebiete Samogitiens und Trokis links vom Niemen fielen bei der dritten Teilung 1795 an Preußen als ein Teil der Provinz Neuostpreußen, kamen 1807 an das Herzogtum Warschau, Ende 1812 an Rußland und bilden heute das russ.-poln. Gouvernement Suwalki. Anfänglich in viele kleine staatliche Gruppen unter Häuptlingen zerfallend, war das Land zum Teil russ. Fürsten tributpflichtig. Mit dem Sinken der Macht Kiews und den Angriffen der Litauer auf die benachbarten russ. Fürstentümer trat L. in das Licht der Geschichte (im 12. Jahrh.). Die erste histor. Persönlichkeit L.s ist der Großfürst Mindowe, wahrend dessen Vater Ringold noch sagenhaft erscheint. Mindowe hatte das Bestreben, L. zu einem Reiche zu vereinigen, trat vorübergehend zum Christentum über, um sich die Hilfe des Deutschen Ordens zu gewinnen, starb aber als Heide 1263, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Nach seinem Tode beginnt ein Vordringen russ. Elemente. Gedimin (1316-41), der sich schon König der Litauer und "vieler Russen" nannte, begünstigte die Russen, indem er sie als Beamte und Feldherren verwendete. Unter ihm und seinen Söhnen Olgerd und Kejstut breitete sich das Großfürstentum L. über Polozk, Weiß- und Schwarzrußland, Volhynien und Kiew aus. Olgerds Sohn Jagello (s. d.) verband 1380 L. mit dem poln. Reiche, dessen Thron er bestieg. Doch behielt L. besondere, von den poln. Königen ernannte Großfürsten. Die Vereinigung wurde angebahnt, als 1413 zu Horodlo festgesetzt ward, daß die poln. und litauische Ritterschaft zur Wahl der Könige und Großfürsten gemeinschaftlich sich beraten sollte. Unter Sigismund II. August wurde endlich 1569 auf dem Reichstage zu Lublin die völlige Union beider Völker beschlossen und bestimmt, daß abwechselnd zwei Reichstage in Warschau und der dritte in Grodno gehalten werden sollte. - Vgl. Antonowitsch, Abriß der Geschichte L.s bis zur Mitte des 15. Jahrh. (2. Aufl., Kiew 1885, russisch): Roepell und Caro, Geschichte Polens (Bd. 1, Hamb. 1840; Bd. 2-5, Gotha 1863-88); Schiemann, Rußland, Polen und Livland bis ins 17. Jahrh. (2 Bde., Berl. 1886-87).
Litauer, lit. Lietuwininkai, poln. Litwini, russ. Litowzy, indogerman. Volksstamm, zum balt. oder slawolitauischen Zweige gehörig, wohnt vornehmlich in den russ. Gouvernements Kowno, Wilna, Grodno, und in dem russ.-poln. Gouvernement Suwalki sowie in den nordöstl. Bezirken von Ostpreußen. Ihre Zahl wird auf 2½ Mill. geschätzt. Die Mehrzahl gehört der katholischen, eine kleine Zahl der russischen, die L. in Preußen der evang. Kirche an. (S. Litauen und Litauische Sprache.)
Litauischer Balsam, soviel wie Birkenteer (s. d.).
Litauische Sprache, ein Teil der sog. litauischen, lettischen oder balt. Familie des indogerman. Sprachstammes; diese Familie ist der slawischen am nächsten verwandt und wird mit ihr zu der litu-slaw. Gruppe des Sprachstammes zusammengefaßt. Sie zerfällt in folgende drei Sprachen:
1) Das bis zum 17. Jahrh. ausgestorbene Preußische (Altpreußische), dessen Sprachgebiet zwischen der untern Weichsel (von Thorn abwärts) und dem Niemen lag. Erhalten sind davon zwei Katechismen von 1545, einer (Enchiridion) von 1561, herausgegeben von Nesselmann ("Die Sprache der alten Preußen an ihren Überresten erläutert", Berl. 1845), und ein deutsch-preuß. Vokabular aus dem Anfang des 15. Jahrh., von demselben (Königsb. 1868), der auch den Wortschatz zusammenstellte: "Thesaurus linguae Prussicae" (Berl. 1873). Neue Ausgabe der altpreuß. Sprachdenkmäler von Bernecker, "Die preuß. Sprache" (Straßb. 1896).
2) Das Litauische im engern Sinne. Die ungefähre Sprachgrenze wird gebildet durch eine Linie von Labiau am Kurischen .Haff bis Grodno, von da bis Dünaburg, ferner durch die Südgrenze Kurlands, endlich durch die Küstenlinie von Polangen bis Labiau; demnach fällt der kleinere Teil in das Gebiet Preußens, der größere in das Rußlands. Die Sprache zerfällt in mehrere Dialekte, von denen der südlichste als Schriftsprache der preuß. Litauer dient. Schriftsprache ist das Litauische seit dem 16. Jahrh., das älteste Buch (ein Katechismus) von 1547. Die beste wissenschaftliche Bearbeitung des Litauischen ist Schleichers "Handbuch der L. S." (2 Tle., Prag 1856-57), nächstdem Kurschat, "Grammatik der L. S." (Halle 1876); umfangreichere Wörterbücher schrieben Nesselmann (Königsb. 1851), namentlich aber Kurschat ("Wörterbuch der L. S.", 2 Tle., Halle 1870-83); die ältern Texte giebt neu heraus Bezzenberger: "Litauische und lettische Drucke des 16. (und 17.) Jahrh." (4 Hefte, Gött. 1874-84; vgl. desselben "Beiträge zur Geschichte der L. S.", ebd. 1877, und "Litauische Forschungen", ebd. 1882). Die Volkslitteratur der Litauer ist in folgenden Hauptsammlungen enthalten: "Dainos oder litauische Volkslieder", hg. von Rhesa, mit Übersetzung (neue Aufl. von Kurschat, Berl. 1843); Nesselmann, "Litauische Volkslieder" (ebd. 1853, mit Übersetzung); Juszkiewicz, "Lietuviškos dainos" (3 Tle., Kasan 1880-82); ders., "Lietuviškos svotbine" ("Hochzeitslieder", Petersb. 1883); Bartsch, "Dainu Balsai" (2 Tle., Heidelb. 1886-89; Melodien und deutsche Übersetzung litauischer Volkslieder); Märchen u. a. in Schleichers Sammlung: "Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder" (Weim. 1857), und in der von Leskien und Brugmann: "Litauische Volkslieder und Märchen" (Straßb. 1882). Die von Veckenstedt, "Die Mythen, Sagen und Legenden der Zamaiten" (2 Bde., Heidelb. 1883), publizierten Sachen sind unecht. Der einzige nennenswerte Kunstdichter der Litauer war Christian Donalitius (s. d.).
3) Das Lettische, das von den drei Sprachen die jüngste Form hat (sich zum Litauischen etwa wie Italienisch zu Latein verhält); das Sprachgebiet umschließt ungefähr eine Linie: im N. von Marienhausen durch Oppekaln und Walk bis Salis am Rigaer Meerbusen, im 3). von Marienhausen bis an die Ostspitze Kurlands, im S. die Südgrenze Kurlands, umfaßt also ganz Kurland und den südl. Teil Livlands; das Lettische reicht überdies etwas in das russ. Gouvernement Witebsk hinein. Von den Dialekten ist der sog. mittlere die allgemeine Schriftsprache. Lettisch wird seit der Reformation geschrieben (der älteste Druck, ein "Taufformular", von 1559). Die lettische Grammatik ist in ausgezeichneter Weise bearbeitet worden von Bielenstein: "Die lettische Sprache" (2 Bde., Berl. 1863-64), "Lettische Grammatik" (Mitau 1863) und "Die Elemente der lettischen Sprache" (ebd. 1866); die ältern Wörterbücher sind jetzt verdrängt durch das "Lettische Wörterbuch" (Tl. 1: lettisch-deutsch, von Ulmann, Riga