Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Ludwig

350

Ludwig XVII. (König von Frankreich)

4. Sept. wieder zuerkannt hatte, beschwor er 14. Sept. 1791 die inzwischen vollendete Verfassung. Über das Gesetz betreffs der eidweigernden Priester, dem er sein Veto entgegenstellte, kam er mit der neuen Gesetzgebenden Versammlung in Konflikt, deren republikanische Elemente, darunter auch die Girondisten, seitdem auf seinen Sturz sannen. Es half ihm nichts, daß er aus dieser Partei seine Minister nahm, in die Maßregeln gegen seine emigrierten Brüder willigte und sogar an Österreich den Krieg erklärte. Zwar gelang es den Gegnern der Gironde, vom König und der Königin unterstützt, 13. Juni 1792 die Girondisten noch einmal aus dem Ministerium zu verdrängen; aber das war nur das Signal zu neuer Anspannung der revolutionären Kräfte, die sich in dem Aufstand vom 20. Juni offenbarten. Als der Pöbel in die Tuilerien eindrang, ließ L., nur von einigen Dienern umgeben, die Thüren öffnen und ertrug mit Würde ein paar Stunden lang die Beschimpfungen der Menge. Der von den Jakobinern sodann förmlich organisierte Aufstand vom 10. Aug. traf Hof und König nicht ohne Vorbereitung. Das Schloß war mit Linientruppen und Nationalgarden umgeben; das Innere verteidigten 1600 Schweizer. Doch war auf die Truppen der Nationalgarden kein Verlaß, so daß der König mit seiner Familie Schutz in dem Schoße der Nationalversammlung suchte. Am folgenden Tage brachte man endlich den König als Gefangenen mit seiner Familie nach dem Palast Luxembourg und von hier 18. Aug. in den festen Turm des Temple. Die eigentliche Absetzung und das Gericht über den Unglücklichen überließ die Versammlung dem 21. Sept. zusammentretenden Nationalkonvent. Nachdem der Konvent Frankreich zur Republik umgewandelt, begannen die Verhandlungen über das Schicksal des Königs. Am 11. Dez. erschien L. vor den Schranken der Versammlung. Er verteidigte sich in würdiger Haltung mit dem Hinweis auf sein konstitutionelles Recht. Am 26. Dez. erschien er zum zweitenmal vor der Versammlung und nahm selbst das Wort, um seine Unschuld zu beteuern. Der Konvent erklärte zunächst Ludwig Capet, wie man den König hieß, der Verschwörung gegen den Staat und die Sicherheit der Nation schuldig. Seit dem 16. Jan. wurde unter dem Zudrange wütender Pöbelmassen über die Strafe selbst entschieden und am 17. das Todesurteil mit 361 Stimmen gefällt; am 19. wurde beschlossen, das Urteil ohne Aufschub zu vollstrecken. Am 21. Jan. 1793 fiel sein Haupt auf dem Revolutionsplatz unter der Guillotine. Sein Leichnam wurde auf dem Kirchhofe Ste. Madeleine bestattet, nach der Restauration 1815 aber nach St. Denis in die Königsgruft gebracht. L. hinterließ zwei Kinder: den Dauphin (s. Ludwig XVII.) und die spätere Herzogin von Angoulême (s. d.). Vgl. Bertrand de Molleville, Histoire de la révolution de France (14 Bde., Par. 1801-3); Soulavie, Mémoires historiques et politiques du règne de Louis XVI (6 Bde., ebd. 1802); Bournisseaux, Histoire de Louis XVI (2 Bde., ebd. 1829); Droz, Histoire du règne de Louis XVI (3 Bde., ebd. 1838-42); Falloux, Louis XVI (ebd. 1840; 4. Aufl. 1860); Nicolardot, Journal de Louis XVI (ebd. 1873); Taine, Les origines de la France contemporaine (5 Bde., ebd. 1876 fg.; deutsch, 3 Bde., Lpz. 1877-91); Jobez, La France sous Louis XVI (Bd. 1-3, Par. 1877-93; 2. Aufl. 1893 fg.); Chérest, La chute de l'ancien régime (2 Bde., ebd. 1884); De Beaucourt, Captivité et derniers moments de Louis XVI (ebd. 1892-93); Souriau, Louis XVI et la révolution (ebd. 1893).

Ludwig XVII., Karl, zweiter Sohn Ludwigs XVI. von Frankreich und der Königin Marie Antoinette, wurde 27. März 1785 zu Versailles geboren und erhielt den Titel eines Herzogs der Normandie, nach dem Tode seines Bruders aber, 4. Juni 1789, die Würde des Dauphin. Infolge der Katastrophe vom 10. Aug. 1792 kam auch er mit seinen Eltern in den Tempelturm. Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. (21. Jan. 1793) wurde er von seinem Oheim, dem spätern Ludwig XVIII., zum König von Frankreich erklärt. Er teilte noch mehrere Monate die Gefangenschaft mit seiner Mutter. Im Juni jedoch wurde der Prinz im Temple einem rohen Jakobiner, dem Schuster Simon, übergeben, der mit seiner Frau darauf ausging, ihn physisch und geistig zu Grunde zu richten. Seit Jan. 1794 ließen ihn die Schreckensmänner in einsamer Zelle verkommen. Zwar setzten die Wärter seit Febr. 1795 den Gemeinderat wiederholt von dem Siechtum des Prinzen in Kenntnis; doch wurde ihm noch monatelang jeder ärztliche Beistand versagt. Erst im Mai, nachdem sich Geschwülste am Knie und Handgelenk eingestellt, erhielt der Arzt Desault Zutritt. Nach Desaults plötzlichem Tode behandelten ihn die Ärzte Pelletan und Dumangin. Allein der Zustand des Prinzen verschlimmerte sich von Tag zu Tag, so daß er 8. Juni 1795 starb. Der Leichnam wurde auf dem Kirchhofe Ste. Marguerite in die gemeinschaftliche Grube versenkt und mit Kalk bedeckt, so daß 1815 die Reste nicht mehr aufgefunden werden konnten. - Vgl. Eckard, Mémoires historiques sur Louis XVII (Par. 1817); Beauchesne, Louis XVII, sa vie, son agonie, sa mort (2 Bde., ebd. 1852; 9. Aufl. 1876); Nettement, Histoire populaire de Louis XVII (ebd. 1864); Ad. Schmidt, Pariser Zustände während der Revolutionszeit 1789-1800 (3 Bde., Jena 1874-75); Chantelauze, Louis XVII, son enfance, sa prison et sa mort au Temple (Par. 1883; Nachtrag 1887; neue Ausg. 1895); Friedrichs, Un crime politique. Étude historique sur Louis XVII (Brüss. 1884); Provins, Le dernier roi légitime de France (ebd. 1889); Evans, The story of Louis XVII. of France (Lond. 1893).

Ungeachtet der damalige Tod des Prinzen eine unzweifelhafte Thatsache ist, verbreitete sich dennoch der Glaube, daß er aus dem Gefängnis errettet worden sei. Bald tauchte eine ganze Reihe von Abenteurern auf, welche die Rolle L.s XVII. übernahmen. Der erste war Jean Marie Hervagault, der Sohn eines Schneiders zu St. Lô, der 1812 als Landstreicher im Gefängnis starb. Ein anderer, Mathurin Bruneau, geb. 1784 zu Vezins bei Cholet in Anjou, erlitt während der Restauration mehrfache Bestrafungen und verscholl nach der Julirevolution. Größeres Aufsehen erregte 1833 und 1834 der sog. Herzog von Richmont, der sich auch Ludwig Hector Alfred, Baron von Richmont, Herzog von der Normandie, nannte. Dieser Abenteurer hieß Henri Hébert, war aus der Gegend von Rouen gebürtig, forderte seit 1828 seine angeblichen Rechte zurück, wurde 1834 zu zwölfjähriger Einsperrung verurteilt, floh aber aus dem Gefängnis Ste. Pélagie in Paris nach London, wo er 1845 starb. Während Hébert vor den Assisen stand, trat ein gewisser Morel de Saint-Didier auf, der im Namen des "wahren, echten L. XVII." gegen