Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

442

Madagaskar

Sakaláwa unabhängig gemacht hatten. Jetzt sind von den Howa nur noch unabhängig die Sakaláwa (außer den südl. Antiménabe und einem Teile der Boëni), die Maháfali, die Antándroi, die Bara (200 000) und die ausgewanderten Antanóssi, sowie im Süden das jetzt wohl ausgestorbene Zwergvolk der Wasimba, die man für die Urbewohner hält. Die Howa nehmen, wenn auch nur äußerlich, immer mehr europ. Sitten und Gebräuche an. Unter diesem Einfluß haben sich auch Städte und Dörfer verdoppelt; die Dichtigkeit, die im Durchschnitt 5-6 auf 1 qkm beträgt, ist in einzelnen Teilen bedeutend größer. Die Howasprache, schon früher durch lat. Buchstaben fixiert, ist, durch viele Fremdwörter bereichert, Schriftsprache geworden, in der viele Bücher und Zeitungen erscheinen. Nationalkleidung ist die Lamba, ein Rock, der in den entlegenern Gegenden aus dünn geklopfter Baumrinde, im Centrum der Howa aber aus Baumwolle und Seide gemacht ist. Tättowieren und Bemalen ist noch häufig, ebenso die Sitte der Blutsbruderschaft. Die Beschneidung ist bei allen nichtchristl. Stämmen üblich. Die Frauen werden gekauft und zum Schein geraubt.

Handel und Verkehr. Die Ostküste führt (meist auf engl. Schiffen) Ochsen, Mais und Reis nach Mauritius, Réunion und den Seychellen aus und erhält dafür europ. Erzeugnisse und besonders Rum, nach Europa Kautschuk, Rindshäute und Kopal. Die Westküste verhandelt nach Sansibar und Bombay, den Comoren und der Küste Afrikas Reis, Ochsenhäute, Orseille, Schildkröten, Wachs, Eben- und Palisanderholz gegen Baumwollzeuge, grobe Fayencegeschirre, Schießpulver, Steinflinten u. s. w. 1890 betrug die Ausfuhr 3 741 855 Frs., davon Häute 980 000, Kautschuk 1376 676, Wachs 417 872, Rinder 360 000 Frs. u. s. w.; die Einfuhr 5597 260 Frs., darunter Textilwaren für 2 725 780 Frs. Die einzige gangbare Münze ist das franz. Fünffrankenstück, Dollar genannt; man schneidet es in viele Stücke, die sorgfältig gewogen werden, weil Fälschungen äußerst häufig sind. Die Verkehrswege sind absichtlich vernachlässigt; das einzige Transportmittel sind Träger. Doch können jetzt die Europäer die ganze Insel frei bereisen und werden auch von den unabhängigen Stämmen gastfrei aufgenommen. Eine franz. Telegraphenlinie verbindet Tamatave mit der Hauptstadt, aber kein Punkt ist an das Telegraphennetz der Welt angeschlossen. Zwei Dampferlinien zwischen Mauritius und Réunion berühren auch einige Häfen M.s.

Verfassung und Unterricht. M. ist seit 1896 franz. Kolonie. Die frühere Königin Ranaválona III. behält zwar Würde und Einkommen, hat aber gar keine Regierungsrechte mehr. Diese liegen vielmehr in den Händen des franz. Gouverneurs. Obgleich die Einfuhr von Sklaven seit 1877 verboten ist, giebt es doch noch zahlreiche Sklaven. Hauptreligion ist der engl. Presbyterianismus. Katholiken giebt es etwa 10 000 unter einem Bischof in Tananarivo. Der Schulbesuch ist gesetzlich vorgeschrieben; 1886 gab es 1167 malagassische und 1026 Missionsschulen (hauptsächlich der Londoner Mission) mit zusammen 299 291 Schülern. In den Schulen wird auch Englisch und Französisch gelehrt. Die Flagge ist weiß mit rotem Viereck in der äußern untern Ecke und den Buchstaben RM im weißen Felde.

Städte. Die Hauptstadt Antananarivo oder Tananarivo (d. i. tausend Dörfer) mitten im Centralmassiv, auf unebenem Terrain in 1460 m Höhe gelegen, hat etwa 100 000 E., darunter etwa 200 Europäer, meist Franzosen, größtenteils kleine mit Ziegeln gedeckte Häuser in unregelmäßigen Straßen und eine Anzahl auf europ. Weise errichtete Gebäude. Die höchste Erhebung krönt das von einem franz. Architekten erbaute königl. Palais. Die Stadt ist Sitz des franz. Gouverneurs und hat viel Industrie, besonders Fabrikation von Lamba. Vom königl. Palais führt eine gepflasterte Straße durch die Stadt und 20 km weiter bis zu der nördlich gelegenen heiligsten Stadt Ambohimanga, auf der Spitze eines isolierten Felsens, an dessen Fuße heiße Quellen entspringen. Die Hauptstadt der Betsiléo, das südlich von Tananarivo in 1300 m Höhe gelegene Fianarantsoa, mit 5500 E., ist Sitz eines franz. Residenten. Das Handelscentrum der Ostküste ist Tamatave oder Taomasina mit 15 000 E., darunter etwa 100 Europäer, hauptsächlich Franzosen. Es liegt auf einer schmalen Halbinsel, die mit einem davorliegenden Korallenriff eine gute Reede bildet, und ist Sitz eines franz. Residenten sowie eines deutschen Konsuls. Von hier aus geht der größte Teil des Handels nach den Maskarenen und nach Europa. 1890 kamen an 255 Handelsschiffe mit 71 129 t, darunter 183 englische, 39 französische, 11 deutsche und 10 dänische. Gute Häfen der Ostküste sind ferner das ungesunde Foulepointe oder Mahavelona, Fénérife oder Fenoarivo, der Haupthafen für den Reisexport, Port-Louquez, sowie die franz. Bai von Antomboka (s. d.). Der belebteste Hafen der Westküste ist der der alten Sakaláwahauptstadt Majunga oder Mojanga (10 000 E.), Sitz eines franz. Residenten; sein Verkehr kommt dem von Tamatave nahe, hat vor diesem aber den Vorzug der leichtern Verbindung mit der Hauptstadt. Exporthafen für Orseille ist Tullear, Tolia oder Ankotsaoka an der Südwestküste mit etwa 5000 E. Das hafenlose Andovoranto an der Ostküste (3000 E.) ist der Ausgangspunkt für Touren nach der Hauptstadt, den man von Tamatave aus längs der Küste erreicht.

Entdeckungsgeschichte und Geschichte. M., bei den Eingeborenen Nossi-Ndambo (Insel der Wildschweine), von den Eingeborenen der umliegenden Inseln Tani-be (Großes Land), von den Arabern Dschesiret el-Komr (Mondinsel) genannt, wurde 2. Febr. 1506 von dem Portugiesen Fernando Soares, der zur Flotte Almeidas gehörte, entdeckt und seitdem lange Zeit als St. Lorenzinsel, von den ältern franz. Ansiedlern auch als Dauphine bezeichnet. Holländer und Engländer machten seitdem vergebliche Versuche, sich daselbst niederzulassen, noch mehr aber die Franzosen. 1642 gründete die Société de l'Orient eine Niederlassung an der Bucht von Ste. Luce im SO., die sie später nach der Halbinsel Tolangara verlegten, wo sie das Fort Dauphin erbauten; dasselbe wurde aber 1672 wieder aufgegeben; auch neue Versuche, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. daselbst sowie auf der Insel Ste. Marie und an der Antogilbai im NO. Niederlassungen zu gründen, hatten nur vorübergehenden Erfolg. Erst die Einmischung der Engländer, die mit Hilfe der Howafürsten festen Fuß zu fassen suchten, führten dazu, daß die Franzosen energisch an die Unterwerfung gingen. Durch Verträge mit einheimischen Häuptlingen gewannen sie 1841 Nossi-Bé und einige benachbarte Eilande. Das Haupthindernis gegen die Festsetzung der Europäer auf M. war das 1810 von König Radáma I. begrün-^[folgende Seite]