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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Maria (die Mutter Jesu)

Schon gegen Ende des 4. Jahrh. erhob sich unter den Christen Streit über das der M. gebührende Maß von Verehrung. Christinnen in Thrazien und Arabien übertrugen auf sie den Kultus der Kybele; sie dienten ihr mit Gebeten, Umgängen und Opfern, wobei sie auf einem Stuhlwagen kleine Kuchen (grch. Kollyris) darbrachten, weshalb sie Kollyridianerinnen genannt wurden. Seit dem 4. Jahrh. fing man an die ewige Jungfrauschaft der M. als Glaubenslehre zu verfechten, und nannte diejenigen, die M. als wirkliche Ehefrau Josephs und als Mutter mehrerer Kinder betrachteten, Antidikomarianiten, d. h. Widersacher der M. Die Verehrung der M. steigerte sich namentlich vom 5. Jahrh. an, als ihr die Kirche gegen die Ansicht des Nestorius, der sie nur Christusgebärerin genannt wissen wollte, den Namen der Mutter Gottes oder Gottesgebärerin beilegte. Nach der ausgebildeten kath. Lehre steht M. als die Himmelskönigin und mächtigste Fürsprecherin bei Gott an der Spitze der Heiligen. Daher richtete man an sie die Gebete (s. Ave Maria und Rosenkranz), wählte sie zur Schutzpatronin vieler Länder, Städte und Kirchen und weihte ihr eine lange Reihe von Festen. Im 6. Jahrh. entstand das Fest der Reinigung (s. Lichtmesse), das der Verkündigung (Mariä Verkündigung, 25. März) und das der Heimsuchung (Mariä Heimsuchung), d. h. des Besuchs der M. bei Elisabeth (2. Juli), im 8. Jahrh. die Feste Mariä Geburt (8. Sept.) und Mariä Himmelfahrt (Assumptio, 15. Aug., s. August [Monat]). Seit dem 11. Jahrh. weihte man der M. noch den Sonnabend und zunächst in den Klöstern ein Offizium, das aus den Lobgesängen auf M. hervorging und durch Urban Ⅱ. (1095) für die Kirche gesetzlich wurde. Seitdem erhielt der Marienkultus die größte Steigerung. Viele Orden nannten sich nach ihr. In ihren Dienst mischte sich die ritterliche Galanterie, so daß sich der ritterliche Frauendienst auch auf sie übertrug. Die Theologen suchten ihre Verherrlichung dogmatisch zu begründen und unterschieden eine der M. zukommende höhere Stufe des Dienstes (grch. hyperdulia) von dem der übrigen Heiligen (dulia). Man stellte für M. ein Psalterium minus und majus und die Biblia Mariana auf. Bei Recanati in Picenum zeigte man seit dem Ende des 13. Jahrh. das Haus der M., das durch Engel hierher gebracht worden sei, wodurch der berühmte Wallfahrtsort Loreto (s. d.) gegründet wurde.

War nun auch ihre Sündlosigkeit anerkannt, so war man doch nicht der Meinung, daß M. selbst ohne Sünde empfangen sei. Als endlich einige Kanoniker zu Lyon die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Maria (Immaculata conceptio, s. Conceptio) aufstellten, wonach sie nicht nur Jesum ohne Erbsünde geboren habe, sondern selbst von ihrer Mutter Anna ohne Erbsünde empfangen worden sei, und auch ein Fest hierfür aufbrachten (1140), fand jene Lehre namentlich bei den Dominikanern (Thomas von Aquino) Widerspruch. Mit dem seit dem 14. Jahrh. allgemein gefeierten Feste der unbefleckten Empfängnis verbreitete sich die namentlich von den Franziskanern verfochtene Lehre immer weiter. Das Baseler Konzil, Papst Sixtus Ⅳ. (1476 und 1483), ebenso das Tridentinische Konzil und noch Papst Gregor ⅩⅢ. (1575) erklärten sich für die Feier des Festes (8. Dez.) und für die mit demselben zusammenhängende Lehre. 1614 erhob sich über die Lehre in Spanien von neuem ein heftiger Streit unter den Bettelorden. Das Fest erhielt aber noch eine Oktave (s. d.) und wurde durch die Verordnungen von Innocenz ⅩⅡ. (1693) und Clemens ⅩⅠ. (1708) zu einem Festum duplex secundae classis erhoben. Neben den Franziskanern zeigten sich namentlich die Jesuiten aus Ordenseifersucht gegen die Dominikaner als Anhänger jener Lehre. Erst Pius Ⅸ. erhob die unbefleckte Empfängnis Maria 8. Dez. 1854 feierlich zum Dogma der kath. Kirche.

Andere Marienfeste (Frauentage) der kath. Kirche sind: Mariä Darstellung (s. d.); Mariä sieben Freuden (s. d.); das Fest des Mitleidens Mariä (Mariä sieben Schmerzen); das Fest der Vermählung Mariä (23. Jan., s. Desponsatus); Mariä Erwartung der Geburt Jesu (18. Dez.), 1573 eingeführt; Mariä Schneefeier (5. Aug.), Kirchweihtag von Sta. Maria Maggiore in Rom; Maria vom Berg Karmel (16. Juli), auch das Skapulierfest (s. Skapulier) genannt; Mariä Verdienst oder von der Erlösung der Gefangenen (24. Sept.), seit dem 13. Jahrh.; Mariä Hilf (24. Mai), von Pius Ⅶ. eingesetzt; Mariä Rosenkranz (früher 7. Okt., jetzt am ersten Sonntag im Oktober); Mariä Schutz (3. Nov.), 1725 eingeführt; Mariä Opfer (21. Nov.). In der kath. Kirche schreibt man vielfach den Bildern der M. eine wunderthätige Kraft zu, und an vielen Wallfahrtsorten versammeln sich unzählige Scharen, um durch Verehrung der Muttergottesbilder Heilung von allerlei Not zu erlangen. Besonders berühmt sind die Bilder zu Loreto und zu Czenstochau in Polen. Die griech. Kirche feiert außer Mariä Verkündigung, Himmelfahrt, Geburt, Schutz (1. Okt., ein Hauptfest), Eintritt in den Tempel (Darstellung) und Empfängnis noch das Fest der Niederlegung des Kleides Mariä in den Blachernen in Konstantinopel (2. Juli), das Fest der Niederlegung des Gürtels (31. Aug.) und ein Gesamtfest (Synaxis) der Gottesgebärerin (26. Dez.), dazu noch Lokalfeste in einzelnen Ländern.

Die Reformatoren verwarfen die Verehrung der M. ebenso wie die der Heiligen überhaupt und behielten von den Marienfesten nur diejenigen bei, die eine Beziehung auf Christus hatten, wie Mariä Reinigung, Verkündigung und Heimsuchung. Doch werden auch diese jetzt nur noch in wenigen Landeskirchen gefeiert. Übrigens hielt auch die prot. Orthodoxie an der Lehre fest, daß M. als Jungfrau Jesum wunderbar empfangen und geboren habe. – Die christl. Kunst hat das Leben, die Person und die Würde der M. als Mutter Gottes stets zu verherrlichen gesucht, und namentlich die Malerei knüpfte an diesen Gegenstand viele ihrer herrlichsten Schöpfungen. (S. Madonna; ferner Heilige Familie, Himmelfahrt, Sposalizio und die Tafel: Madonna, beim Artikel Murillo.)

Vgl. Frantz, Versuch einer Geschichte des Marien- und Annenkultus in der kath. Kirche (Halberst. 1854); Hasenclever, M. die Mutter Jesu, in Geschichte und Kunst (Karlsr. 1874); Alw. Schultz, Die Legende vom Leben der Jungfrau M. und ihre Darstellung in der bildenden Kunst des Mittelalters (Lpz. 1878); F. von Lehner, Die Marienverehrung in den ersten Jahrhunderten (Stuttg. 1881).

Andere M. im Neuen Testament sind: 1) M. von Bethanien, die Schwester des Lazarus und der Martha; 2) M. von Magdala (s. Magdalena);