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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Meer

Treibeis mit sich. Auch giebt es sog. Doppelströmungen des M., die sich kreuzen, d. h. übereinander in direkt entgegengesetzter Richtung sich bewegen. So hat man unwiderleglich nachgewiesen, daß unterhalb des sichtbaren, vom Atlantischen M. durch die Meerenge von Gibraltar ins Mittelmeer sich ergießenden Stroms ein anderer, entgegengesetzter durch dieselbe Meerenge vom Mittelmeer in das Atlantische geht, und ähnliche Doppelströmungen kommen im Bosporus bei Konstantinopel, in der Straße Bab el-Mandeb, im Eingang des Roten M. und im dän. Sund vor. Die Geschwindigkeit der Meeresströmungen beträgt kaum mehr als 1,7 m in der Sekunde, außer in Meerengen. Die großen äquatorialen Strömungen legen 20 - 40 km in 24 Stunden zurück. Sie beeinflussen das Klima der von ihnen bespülten Küsten in hervorragendem Maße und wirken sogar ziemlich weit in das Innere der Kontinente hinein. Der Einfluß erstreckt sich vorwiegend auf die Luftwärme und Niederschlagsverhältnisse. (Hierzu die Karte: Meeresströmungen.)

Eine andere Art der Bewegung des M. ist die Wellenbewegung, die dadurch hervorgerufen wird, daß der auf die Wasseroberfläche wirkende Druck an benachbarten Stellen größere Ungleichheiten ausweist. Abgesehen von den Wellenbewegungen, die durch die Gezeiten erzeugt werden, und von Seebebenwellen (s. Seebeben und Krakatau), sind es in erster Reihe Luftdruckdlfferenzen und die ihre Ausgleichung bewirkenden Winde, denen die Wellen ihre Entstehung verdanken. Die Wellenhöhe steigt wohl kaum über 15 m, ist aber meist viel kleiner. Die Wellenlänge ist zehn- bis zwanzigmal größer als die Wellenhöhe, also ist auch der Erhebungswinkel der Wellen selten größer als etwa 6°. Die Wellengeschwindigkeit ist bei kräftiger Brise etwa 12 m pro Sekunde; sie kann bis auf etwa die doppelte Zahl im Sturm steigen; die höchste von Abercromby beobachtete Geschwindigkeit ist 24,5 m pro Sekunde bei einer Wellenlänge von 255 m. Ist die Meeresfläche in Bewegung gebracht, so bleibt auch bei eintretender Windstille der Seegang, die Dünung oder Hohle See (s. d.). Bei stürmischem Wetter wirft der Wind meist die hohen Kämme oder Köpfe der Wellen in das vordere Thal hinunter; diese sich überstürzenden Wellen heißen Brecher oder Sturzseen. Sie können den Schiffen sehr gefährlich werden. Wie weit die Wellenbewegung sich in der Tiefe des M. fühlbar macht, darüber sind nur wenige Beobachtungen angestellt worden; Aimé hat festgestellt, daß in 40 m Tiefe noch Verschiebungen der Wasserteilchen stattfinden. Nach Experimenten der Gebrüder Weber müßte die Wellenbewegung bis in eine Tiefe reichen, die das 350-fache der Wellenhöhe ist. In flacherm Wasser, sog. Untiefen, wird die Welle zur Brandung (s. d.). Bei St. Helena nennt man die, auf Fernwirkung von Stürmen zurückgeführte starke Brandung Roller (s. d.), an der westafrik. Küste Kalema. Um die zerstörende Kraft der Brecher, Sturz- und Brandungsseen abzuschwächen, verwendete man schon im Altertum Öl zum Glätten und Beruhigen der Wellenkämme (s. Wellenberuhigung). Eine besondere Abart von Strandbrandung kann man die in einige Flüsse hinauflaufenden Hochflut-Tidewellen nennen (Mascarets, Pororoca); diese Sprungwellen sind an seichten Stellen der Mündung am höchsten. In engen Meeresteilen, besonders in Kanälen, tritt stellenweise die eigentümliche Erscheinung stehender Wellen auf. Wenn nämlich das Fortschreiten der Welle durch Ansteigen des Meeresbodens behindert wird, so tritt eine reflektierte Welle auf, die im Verein mit andern Ursachen am Ende des Kanals das Wasser hoch aufstaut. Theoretisch ist diese Welle eine stehende, d. h. bei ihr treten in allen Teilen des Kanals alle Wellenphasen, z. B. Hoch- und Niedrigwasser, zu gleicher Zeit ein, wenn keine Reibung die Phasen der Welle verspätet. Man kann den Gezeitenverlauf im Englischen Kanal als stehende Welle erklären; ähnlich ist es mit den unregelmäßigen Strömungen im Euripos. Auch Dünung kann stehende Wellen erzeugen, so das Marrobbio an der sicil., die Resaca an der nordspan. Küste.

Zu den Bewegungen des M. gehören auch noch die Strudel oder Wirbel, welche entstehen, wenn infolge der Ufergestaltung das strömende Meereswasser an einem Orte mit heftiger Gewalt in kreisförmiger Bewegung herumgetrieben wird. Der berühmteste dieser Strudel ist der Malström (s. d.). Im Altertum waren die Scylla und Charybdis gefürchtet.

Die Wissenschaft, die sich mit dem M. beschäftigt, heißt Oceanographie (s. d.).

Pflanzen- und Tierleben. Die Flora des M. ist arm im Vergleich mit der des Festlandes. Während auf diesem von der Küste bis zu der Grenze des ewigen Schnees nur wenig Stellen sind, wo Pflanzen nicht gedeihen, ist ihre Verbreitung im M. eine nur beschränkte, bei 100 m Tiefe treten sie schon sehr stark zurück, bei 400 m sind sie verschwunden. Zugleich sind die Meerespflanzen, wenn man zunächst von Diatomeen und den winzigen Formen, die das Plankton (s. d.) bilden helfen, absieht, an die unmittelbare Nähe des Landes, sei es unfern der Küsten oder oberhalb der Untiefen gebunden. Außer jenen winzigen Formen giebt es keine pelagischen Pflanzen, denn die Tangmassen, die die Sargassomeere (s. d.) bilden, finden sich nicht an der Stätte ihres Entstehens, sind vielmehr an fernen Küsten losgerissen und durch die Strömungen hierher zusammengetrieben worden. Die horizontale Verbreitung der Pflanzen des M. hängt von der Polhöhe weniger ab, denn sie sind unter den Tropen nicht besser als im hohen Norden entwickelt, ja an den antarktischen Küsten, besonders in der Nähe der Falklandinseln, scheinen sie einen nicht unwesentlichen Aufschwung zu nehmen. Die Phanerogamen treten in der Meeresflora ganz außerordentlich zurück, man kennt in ihr bloß 26 Arten, die sämtlich den Hydrocharidaceen (s. d.) und den Najadaceen (s. d.) angehören. Zahlreich hingegen sind die Algen (s. d.), besonders die Tange, das M. ist ihr eigentliches Element. Die Artenzahl beläuft sich auf mehrere Tausend. - Die Tierwelt des M. setzt sich aus Vertretern aller Tierklassen mit Ausnahme der Amphibien und Tausendfüßer zusammen, jedoch sind die einzelnen Klassen sehr ungleich vertreten. Sehr wenig zahlreich sind Meeresinsekten; sie leben als ausgebildete Tiere (Käfer) oder Larven (Käfer, Fliegen) entweder in der unmittelbaren Nähe der Küste, oft in der Gezeitenzone, oder pelagisch auf dem offenen M. (s. Meerwanzen). Selten sind auch Spinnentiere im M., doch findet sich bei Neuseeland eine echte Spinne und von Milben eine eigene Familie (s. Seemilben), die an allen Küsten ziemlich artenreich zu sein scheint. Eine besondere Ordnung der Spinnentiere, die der Pyknogoniden (s. Asselspinnen), ist auf das M. beschränkt. Wahrscheinlich gehören auch die Molukkenkrebse (s. d.) in diese Tierklasse. Die Rädertiere (s. d.)