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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Osmanisches Reich (Geschichte)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Osmanisches Reich (Geschichte)'

Grenze. Rumänien schloß sich an Rußland an, kündigte der Pforte die Vasallenschaft auf und proklamierte die Unabhängigkeit des Staates. Nach anfänglichen Erfolgen entschied sich der Feldzug (s. Russisch-Türkischer Krieg von 1877 und 1878) zu Ungunsten der Türkei, die sich 3. März zum Abschluß des Friedens von San Stefano (s. d.) genötigt sah. Dieser Friede, der Rußland zum Herrn auf der Balkanhalbinsel gemacht und der Pforte nur eine unsichere Schattenexistenz gelassen haben würde, erregte namentlich Englands Besorgnis. Der engl. Premierminister Beaconsfield ließ sich einen außerordentlichen Militärkredit bewilligen und rüstete geräuschvoll zum Kriege, dafern Rußland nicht den Friedensvertrag einem europ. Kongreß zu freier Diskussion und Abänderung vorlege. Schon 13. Febr. 1878 war trotz des formellen Protestes der Pforte die engl. Panzerflotte ins Marmarameer eingefahren.

Durch die Vermittelung Bismarcks trat 13. Juni 1878 der Berliner Kongreß (s. d.) zusammen, dessen Hauptergebnisse waren, daß Rumänien, Serbien und Montenegro für unabhängig, Bulgarien zu einem autonomen tributpflichtigen Fürstentum erklärt und die von einem christl. Statthalter zu regierende Provinz Ostrumelien (s. d.) geschaffen wurde. Österreich erhielt den Auftrag, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen und zu verwalten; England wurde mit der Besetzung und Verwaltung Cyperns beauftragt, und Rußland erhielt die Gebiete von Kars, Ardahan und Batum. Griechenland wurde mit seinen Gebietsansprüchen auf direkte Verhandlungen mit der Pforte verwiesen; die von der Türkei zu erstattenden Kriegskosten wurden auf ungefähr 830 Mill. Frs. festgesetzt.

Neue Unruhen brachte der Aufstand der Albanesen, die sich die ihnen zugemutete Abtretung von Teilen ihres Gebietes an Serben, Montenegriner und Griechen nicht gefallen lassen wollten. Zum erstenmal vereinigten sich die mohammed. und die christl. Stämme, Katholiken wie Orthodoxe, zu einem Bündnis, der sog. Albanesischen Liga, die auf Befreiung von der Osmanenherrschaft hinarbeitete. Es bedurfte erst der Intervention und einer gemeinschaftlichen Flottendemonstration der Großmächte sowie bewaffneten Einschreitens von seiten der Türkei, damit Montenegro im Nov. 1880 von dem ihm zugesprochenen Hafenort Dulcigno Besitz nehmen konnte. Auch durch die südwestl. Gebietserweiterung Serbiens fühlten sich die Albanesen in ihren nationalen Rechten verletzt. Sie brachen im April 1879 über die Grenze, wurden aber von den Truppen des Fürstentums zurückgetrieben. Griechenland mit seinen Ansprüchen auf freundschaftliche Vereinbarung mit dem Diwan hingewiesen, fand naturgemäß wenig Entgegenkommen, und es bedurfte erst längerer Verhandlungen (s. Griechenland, Geschichte), bevor die Pforte sich, 22. Mai 1880, dazu verstand, Thessalien südlich vom Salamvriafluß und den epirot. Distrikt südlich vom Arta abzutreten.

In dem autonomen Bulgarien wurde Febr. 1879 von einer konstituierenden Versammlung in Tirnova die von dem russ. Generalgouverneur Dondukow ausgearbeitete Verfassung angenommen und sodann der Prinz Alexander von Battenberg zum Fürsten erwählt. (S. Bulgarien, Geschichte.)

Die Geldnot der Pforte war durch den Krieg aufs höchste gesteigert worden; seit Jahren hatte die Armee keinen Sold, die Beamten keinen Gehalt ↔ bekommen. Man schlug von Krongütern los, was nur Abnehmer fand; so wurde an England die Nutznießung der cypriotischen Domänen für 5000 Pfd. St. jährlich überlassen. Aber alles verschwand in dem Abgrunde dieser finanziellen Mißwirtschaft. Selbst in den niedern Volksklassen erwartete man nur noch von auswärtiger Einsicht und Redlichkeit Hilfe, die seit 1880 der Pforte namentlich durch preuß. Finanzmänner auch zu teil wurde. Bald darauf wurde eine andere höchst bedeutsame Reform, der ebenfalls durch Deutsche ausgearbeitete Militärorganisationsplan (s. oben Heerwesen), von dem Sultan bestätigt. Fortwährend wurde das Reich durch Volkserhebungen von größerer oder geringerer Bedeutung beunruhigt. Aufstände Griechen in Thessalien, der Bulgaren in Macedonien wurden bald unterdrückt, aber das sich an sie anlehnende Räuberwesen in den Gebirgsgegenden schädigte den Landbau, die Industrie und den Handel weiter Distrikte. Wichtiger war die albanes. Erhebung. Im März 1881 hatte sich Ali Pascha, ein angesehener Albanese, zum Landesfürsten ausrufen lassen. Obwohl die Siege der Türken unter Derwisch Pascha diesem Regiment bald ein Ende machten, so dauerte doch die Gärung fort, und 1883 brach wieder ein Aufstand aus, der von Hafiz Pascha unterdrückt wurde. Die Besetzung Tunesiens durch Frankreich 1882 ging, da das Land schon längst nur dem Namen nach zu dem O. R. gehört hatte, ohne sonderliches diplomat. Zerwürfnis vorüber

In Ägypten, das die maßlose Verschwendung des Chediv Ismail Pascha in finanzielle Verlegenheit gestürzt hatte, hatte der Sultan 26. Juni 1879 auf Veranlassung der Großmächte den Chediv zur Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Tewfik Pascha genötigt. Eine engl.-franz. Finanzkontrolle wurde eingerichtet, aber gegen diesen fremden Einfluß bildete sich eine nationale Verschwörung unter Arabi Pascha, die England 1882 zu bewaffnetem Einschreiten veranlaßte. (S. Ägypten, Geschichte.) Eine gefährlichere Bewegung hatte sich bald darauf durch das Auftreten des Mahdi (s. d.) im ägypt. Sudan (s. d.) erhoben und den Engländern den Vorwand zu fortdauernder Besetzung Ägyptens geliefert. Das ganze Eingreifen der Engländer in die ägypt. Verhältnisse war ohne formellen Rechtsgrund und mit Übergehung der Pforte geschehen, und wenn auch seit Dez. 1885 Verhandlungen stattfanden, so wurde ein Resultat doch nicht erzielt, und England hielt die Besetzung des Landes aufrecht. Auch gegen die Occupation der Hafenstadt Massaua (s. d.) durch ital. Truppen, die im Febr. 1885 angeblich zur Bekämpfung des Mahdi erfolgt war, hatte die Pforte ebenfalls nur einen ohnmächtigen Protest. Ein Abkommen, das endlich im Mai 1887 mit England zu stande kam, wonach dieses in drei Jahren Ägypten räumen, das Recht zu einer eventuell wieder nötig werdenden neuen Intervention aber außer der Türkei ausschließlich den Engländern zustehen sollte, wurde von dem Sultan nicht bestätigt, und so blieb alles beim alten.

Während dieser Ereignisse in Afrika erlitt das Ansehen der Türkei weitere Einbuße durch die nationalen Einigungsbestrebungen der Bulgaren. Das Ziel der Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien wurde durch den in Philippopel 18. Sept. 1885 ausgebrochenen Aufstand erreicht (s. Bulgarien, Geschichte); Fürst Alexander nahm durch eine Proklamation vom

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 685.