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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ostindien (Vorderindien)

schaft erlassen. Doch bedarf die Vorlage von Gesetzen über Finanzen, Münzwesen, Post- und Telegraphenwesen, Strafrecht, Religionsübung, Heerwesen, Urheberrecht und auswärtige Angelegenheiten der vorherigen Genehmigung des Vicekönigs. Auch kann derselbe ebenso wie der Staatssekretär in England bereits erlassene Gesetze wieder aufheben. Es besteht eine beständige Verbindung mit dem engl. Staatssekretär für Indien. Auch diesem steht ein von ihm selbst ernanntes beratendes Kollegium (Council of India) von 15 Personen zur Seite, unter denen 10 mindestens 10 Jahre in Indien verbracht haben müssen. Dem engl. Parlament muß die Verwendung ind. Staatseinnahmen für militär. Operationen außerhalb Indiens zur Genehmigung unterbreitet, andere Angelegenheiten mitgeteilt werden. Auch ist es üblich, das ind. Budget dem engl. Parlament vorzulegen, wodurch Gelegenheit zu einer allgemeinen Debatte über ind. Angelegenheiten gegeben wird. Die höhern Beamten der Verwaltung und Rechtspflege werden (mit Ausnahme der Gouverneure und der Richter der Obergerichtshöfe) von den ind. Regierungen ernannt, müssen aber ihre Qualifikation in England nachweisen; diese wird alljährlich denen erteilt, die die Prüfung am besten bestanden haben. Indien hat seine eigene Armee (s. unten), doch werden auch engl. Truppen regelmäßig hingesandt.

Einen Gegenstand von großer Wichtigkeit für die Regierung bildet die Stellung der Länder der eingeborenen Fürsten (Native States of India), deren Anzahl, die kleinern Lehen mit eingerechnet, sich auf nahe an 500 beläuft. Diese Fürsten erkennen die Oberhoheit der engl. Regierung an, stehen aber zu ihr in verschiedenstem Verhältnis. Bei einigen, wie z. B. Baroda (s. d.), beschränkt sich das Verhältnis auf die bloße Anerkennung der engl. Oberhoheit; andere sind verpflichtet, dem Rate der engl. Regierung, die Residenten oder Agenten an ihren Höfen unterhält, mit Bezug auf die Verwaltung zu folgen; die meisten bezahlen Tribut und stellen Truppenkontingente zu der engl. Armee. Im Falle der Mißregierung kann das Oberste Gericht die Absetzung aussprechen. Seit dem Sipahiaufstand 1857 hat die engl.-ind. Regierung sich zum Princip gemacht, die eingeborenen Fürsten möglichst für sich zu gewinnen. In diesem Sinne adoptierte sie die schon 1837 von Lord Metcalfe vorgeschlagenen Maßregeln: gab einerseits ihre frühere Annexionspolitik auf und garantierte andererseits allen größern sowohl als kleinern Lehn- und Vasallenstaaten ihr Fortbestehen. Demgemäß hat jetzt jeder dieser Fürsten, dem ein natürlicher Nachfolger fehlt, das Recht, sich einen solchen zu wählen, und dieses Recht ist auch, wenn nicht durch den Fürsten die Nachfolge vorgesehen wurde, der Bevölkerung zugestanden, in beiden Fällen freilich nur mit Bezug auf Personen, die der engl. Regierung genehm sind. Im allgemeinen spricht sich in der jetzigen Handlungsweise der engl. Regierung bezüglich der eingeborenen ind. Fürsten das Bestreben aus, aus ihnen eine Art von erblicher Peerage, gleich der englischen, zu bilden. Die 761 Städte des Landes haben eine ziemlich weitgehende Selbstverwaltung, die seit der Gesetzgebung von 1882 bis 1884 die Eingeborenen in verstärktem Maße heranzieht.

Einnahmen und Ausgaben betragen rund je 969 Mill. Rupien. Die drei wichtigsten Einnahmequellen der Regierung sind: Grundsteuer, Opium- und Salzmonopol, die 1895: 253, 73 und 87 Mill. einbrachten. Unter den Ausgaben erfordert das Heer am meisten (252 Mill.). Die Schuld zerfällt in die permanente Schuld in Indien (1894: 1055), die permanente Schuld in England (1081) und die unfundierte Schuld in Indien (137 Mill. Rupien).

Heerwesen. Das Heer besteht aus 1) engl. regulären Truppen, 2) Freiwilligen und 3) Eingeborenen, bei denen die Offizierstellen meist mit Engländern besetzt sind. Im J. 1895 umfaßte es an engl. Offizieren: 3 Generale, 6 Generallieutenants, 18 Generalmajore, 33 Oberstlieutenants mit Oberstengehalt, 362 Oberstlieutenants, 210 Majore, 634 Hauptleute, 841 Lieutenants, zusammen 2107 Offiziere als Indian Staff Corps, dazu noch 269 Probationers (Offiziere zur Probedienstleistung). An Truppen zählte die Armee: 1) Englische reguläre: 53 Bataillone, 36 Eskadrons, 42 Feld-, 11 reitende, 9 Gebirgs- und 27 Festungsbatterien sowie 1 Pioniercompagnie. 2) Freiwillige: 37 Bataillone und 19 Compagnien, 40 berittene Troops, 2 Feld- und 5 Festungsbatterien. 3) Eingeborene: 134 Bataillone, 153 Eskadrons, 4 Feld-, 8 Gebirgs- und 1 Festungsbatterie und 21 Pioniercompagnien. Die Stärke betrug bei den engl. regulären Truppen: 74786 Mann, 11295 Pferde und 396 Geschütze. Diese Truppen waren wie folgt verteilt:

A. Bengalen und Pandschabgrenzkorps: 33 Bataillone, 24 Eskadrons, 51 Batterien, 1 Pioniercompagnie; dazu an Freiwilligen 16 Bataillone, 35 Troops, 5 Batterien und 17 Compagnien; an Eingeborenen 64 Bataillone, 91 Eskadrons, 7 Batterien, 8 Pioniercompagnien, zusammen: 113 Bataillone, 115 Eskadrons, 63 Batterien, 9 Pioniercompagnien, 17 Compagnien und 35 Troops.

B. Madras: 11 Bataillone, 8 Eskadrons, 15 Batterien; dazu Freiwillige 15 Bataillone und 2 Compagnien, 3 Troops; Eingeborene 32 Bataillone, 12 Eskadrons, 8 Pioniercompagnien; zusammen: 58 Bataillone, 20 Eskadrons, 15 Batterien, 8 Pioniercompagnien, 2 Compagnien und 3 Troops.

C. Bombay: 9 Bataillone, 4 Eskadrons, 23 Batterien; dazu Freiwillige 6 Bataillone, 2 Troops, 2 Batterien; Eingeborene 26 Bataillone, 28 Eskadrons, 2 Batterien, 5 Pioniercompagnien; zusammen 41 Bataillone, 32 Eskadrons, 27 Batterien, 5 Pioniercompagnien und 2 Troops.

D. Haidarabad: Eingeborene 6 Bataillone, 12 Eskadrons, 4 Batterien.

E. Centralindien: Eingeborene 6 Bataillone, 10 Eskadrons.

Hierzu kommen etwa 30000 eingeborene Feuerwerker und Train; das militärisch organisierte Polizeikorps beträgt 190000 Mann mit teilweise engl. Offizieren. Vortrefflich ist die großenteils mit eigenen Pferden berittene leichte ind. Kavallerie; auch die ind. Infanterie ist gut ausgebildet, doch ist ihre Leistungsfähigkeit im Kriege durch die Anwesenheit engl. Offiziere bedingt. Aus dem Indian Staff Corps erfolgt die Zuteilung an Offizieren nach Bedarf und häufig auch die Besetzung von Civilstellen der Verwaltung. Das Korps ergänzt sich aus den Indian Cadets des Sandhurst College und aus jungen Offizieren der engl. Armee, die mindestens ein Jahr in Indien gewesen sein müssen. Die Infanterieregimenter bestehen aus 8 Compagnien, deren je vier ein Halbbataillon bilden, tragen rote, grüne oder graue Waffenröcke, weite Pluderhofen, farbige Gürtel, wollene Mützen oder Turbans. Nachdem