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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Pocken

Pockenimpfung engere Grenzen gesetzt wurden. Von Europa wurden, wie es scheint, die P. nach Amerika und Afrika gebracht.

Die Pockenkrankheit beginnt 10‒14 Tage nach erfolgter Ansteckung mit Abgeschlagenheit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schmerzen in den Gliedern und im Rücken, Erbrechen, Schlingbeschwerden und Fieber (39‒40° C. und darüber), das gewöhnlich drei Tage lang, meist mit steigender Intensität, andauert. Man pflegt dieses Stadium als Initialstadium zu bezeichnen. Am Ende des dritten oder am vierten Krankheitstage beginnt dann unter ausgesprochenem Herabgehen des Fiebers das sog. Eruptionsstadium, die Entwicklung der eigentlichen Pockenbildung auf der Haut: es erscheinen zuerst im Gesicht, und von da bis zum sechsten Tage sich weiter von oben nach unten über die übrige Haut verbreitend, linsengroße, etwas erhabene rote Flecken, in deren Mitte sich ein kleines, zugespitztes, hartes, rotes Knötchen zeigt, das zunimmt und ein in der Mitte mit einem Eindruck (einer Delle) versehenes fächeriges Bläschen bildet, das eine anfangs wasserhelle Flüssigkeit enthält. Diese wird am dritten Tage des Bestehens des bis zur Größe einer Erbse wachsenden Knötchens (Pustel) molkig, am vierten und fünften Tage gelb und eiterig. Das mit dem Ausbruch der Pusteln nachlassende Fieber erhebt sich am Abend des achten oder neunten Tages von neuem, oft unter Delirien und Schüttelfrost (Eiterungsfieber); die befallenen Hautstellen schwellen nun nicht selten bis zur Entstellung an, und die Dellen auf den Pusteln schwinden, indem die Eiterung die zelligen Fächer zerstört. Man unterscheidet dieses Stadium als Suppurations- oder Eiterungsstadium; in dieser Periode erreicht das Fieber eine oft geradezu lebensbedrohende Höhe. Mit dem Auftreten des Ausschlags auf der Haut bilden sich ähnliche Erscheinungen auf den Schleimhäuten, besonders ihren Mündungen, in der Mund- und Rachenhöhle, auch Kehlkopf und Luftröhre (innere P.), wodurch diese Teile anschwellen bis zur Erstickungsgefahr, ebenso in den Augen, so daß die Kranken die Augenlider nicht öffnen können; auch Ohrspeicheldrüse und Halsdrüsen schwellen an, und ein übelriechender Speichel fließt aus dem Munde. Gegen den zehnten bis zwölften Tag beginnt die Eintrocknung der Pusteln auf der Haut, welche entweder platzen und ihren zu Borken trocknenden Inhalt nach außen ergießen, oder welk werden und mit ihrem Inhalt und der Bläschendecke festhängende braune Borken bilden (Exsiccationsstadium). Wenn die Borken abfallen, hinterlassen sie gewöhnlich Narben, die anfangs rot, in der Kälte bläulich sind, später aber weißer als die übrige Haut werden, eingekerbte Ränder und gerippten Grund mit schwarzen Punkten zeigen und während des ganzen Lebens sichtbar bleiben. Die Krankheit ist übrigens sehr vielen Verschiedenheiten unterworfen; bisweilen fließen in besonders schweren Fällen die Pusteln zusammen (Variolae confluentes), die Borken bedecken dann das Gesicht wie eine Larve, und die Entstellungen durch die Narben sind oft furchtbar. Bei den fauligen P. kommen infolge der Brüchigkeit der Gefäßwandungen Blutungen vor, und die P. selbst füllen sich mit Blut (schwarze oder hämorrhagische P.).

Die P. werden ausschließlich durch ein Kontagium verbreitet, das offenbar am Inhalt der Pusteln haftet, sich leicht der umgebenden Luft mitteilt und beim Vertrocknen desselben verschleppt wird. Vermutlich sind mikroskopische, in den Pockenpusteln enthaltene niedrigste Organismen (Bakterien) die Träger des Kontagiums; jedoch sind sie bisher vergebens gesucht worden. Unter begünstigenden Umständen breitet sich die Krankheit besonders leicht aus und wird dann zur Epidemie. Am meisten sind ihr Kinder und junge Leute ausgesetzt. Gewöhnlich befällt die Krankheit ein Individuum nur einmal im Leben, doch kommen auch unzweifelhafte Fälle von mehrmaligen P. bei einem Individuum vor. Mit Kuhpockengift Geimpfte werden in der Regel nicht davon befallen, oder die Krankheit nimmt wenigstens die mildere Form der Varioloiden (s. d.) an.

Die Behandlung der P. hat zunächst die Aufgabe, die Verbreitung des Kontagiums zu hindern, was einerseits durch die in allen civilisierten Staaten anbefohlenen, freilich meist schwer durchführbaren Quarantäne- und Sperrmaßregeln der angesteckten Orte, Desinfizierung durch Chlorräucherungen, Waschungen mit Carbolsäure, Sublimatlösung, Salzsäure u. s. w. sowie die möglichst schnelle und strenge Isolierung der Kranken, andererseits am sichersten durch Impfung (s. d.) der Gesunden mit Kuhpocken (s. d.) geschieht, statt deren man sich vor Jenner der künstlichen Einpfropfung der P. bediente, welche, schon lange im östl. Asien gebräuchlich, 1721 durch Lady Montague in Europa eingeführt ward. Die einfach normal verlaufenden P. bedürfen keiner Arzneimittel, wohl aber einer sorgfältigen Diät. Die größte Aufmerksamkeit verlangt die umgebende Luft; diese muß stets rein und von kühler Temperatur (12‒14° R.) erhalten werden, welche nur zur Zeit der Abtrocknung etwas erhöht wird. Erst wenn diese Abtrocknung ganz vollendet ist, dürfen die Kranken das Zimmer verlassen. Den gewöhnlich heftigen Durst des Patienten stillt man durch einfaches, frisches Wasser oder säuerliches Getränk, Erbrechen durch Eispillen und Brausepulver. Man setze die Kranken auf eine flüssige, aber nahrhafte Diät (Milch, Ei, Fleischsuppen, Wein) und sorge für tägliche Stuhlentleerung. Um die Geschwulst der Haut, besonders im Gesicht, zu mindern, hat man kalte Überschläge, Öleinreibungen und Bedeckung der Haut mit einer Carbolpaste empfohlen. Da das Zerkratzen der Pusteln notwendig üble Narben hervorruft, so muß man den Kranken die Hände mit Tüchern verbinden, wenn sie das Kratzen nicht von selbst lassen können. – Vgl. Eimer, Die Blatternkrankheit in pathol. und sanitätspolizeilicher Beziehung (Lpz. 1853); Weigert, Die Pockenefflorescenz der äußern Haut (Bresl. 1874); Curschmann, Die P. (in von Ziemssens «Handbuch der speciellen Pathologie», Bd. 2, Tl. 2, 2. Aufl., Lpz. 1877); Hirsch, Handbuch der histor.-geogr. Pathologie, Bd. 1 (2. Aufl., Stuttg. 1881).

Auch bei den Haustieren kommen P. vor, und zwar beim Schaf, Rind, Pferd, Schwein, Hund und bei der Ziege. Höchstwahrscheinlich sind nur die Schafpocken eine selbständige Haustierkrankheit, während die P. der übrigen Haustiere auf gelegentliche Übertragung der menschlichen P. zurückzuführen sind. Trotz des ansteckenden Charakters der P. ist es noch nicht gelungen, die als Erreger derselben vermuteten kleinsten Lebewesen nachzuweisen. Nach der Ansteckung mit dem Pockengift vergehen etwa 8 Tage, ehe man die ersten Erscheinungen wahrnimmt. Dann bemerkt man Hautröte (1‒2 Tage), hierauf stecknadelkopfgroße, rote Knötchen, aus denen sich im Verlaufe von einigen Tagen weiße Bläschen mit wasserklarem