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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Geschichte 1861-88)

furt a. M. der Nationalverein (s. d.) gegründet, der die Idee der Centralgewalt, die Vereinigung militär. Führung und einheitlicher diplomat. Vertretung Deutschlands unter P. hervorhob. Die preuß. Regierung unterließ es aber, sich über jenes Programm der nationalen Partei zu erklären und sich auf dasselbe zu stützen. Vielmehr beschränkte sie sich darauf, in einigen Angelegenheiten des Bundes eine das Vertrauen der Liberalen erweckende Stellung einzunehmen, so im kurhess. Verfassungsstreit und in den Angelegenheiten Schleswig-Holsteins, und beantragte zunächst eine Reform der Bundeskriegsverfassung. In seinem Entwurf vom Jan. 1860 verlangte es für das Kommando über die Bundesarmee eine Zweiteilung, so daß die zwei süddeutschen Korps an Österreich, die zwei norddeutschen an P. sich anschließen sollten. Dieser Antrag wurde 20. April 1860 von der Bundesversammlung verworfen, namentlich von den Staaten der sog. Würzburger Koalition vom 23. Nov. 1859, die sich gebildet hatte, um bei den Abstimmungen am Bunde als eine geschlossene Phalanx aufzutreten. Auch die persönlichen Besprechungen eines Teils der deutschen Fürsten mit dem Prinz-Regenten bei Gelegenheit der Zusammenkunft desselben mit Napoleon 15. bis 17. Juni 1860 in Baden-Baden waren ergebnislos. Ebenso führten die von P. im Jan. 1860 nach Berlin berufenen Konferenzen der Uferstaaten von Ost- und Nordsee, zur Verbesserung des Küstenschutzes, nur mit den kleinern Staaten zu einem Resultat (zu dem Beschlusse, 10 Linienschiffe und 20 Fregatten aufzustellen), fanden dagegen Widerstand an Hannover, das auch dem Bau einer Eisenbahn von Minden nach dem Jadebusen, soweit die Bahn hannov. Gebiet berühren sollte, die Erlaubnis versagte. So blieb denn für P. nur übrig, zunächst seine eigenen Machtmittel zu verstärken.

Von grundlegender Bedeutung war für P. die Durchführung der Heeresorganisation im eigenen Lande. Die aus den Jahren nach den Befreiungskriegen stammende Wehrverfassung genügte nicht mehr, die Masse der Wehrpflichtigen aufzunehmen, lieh über ein Drittel derselben ganz dienstfrei und drückte dafür die übrigen bis zum 39. Jahre Dienstpflichtigen ganz unverhältnismäßig. Nachdem 5. Dez. 1859 der Generallieutenant von Roon zum Kriegsminister ernannt worden war, wurde 9. Febr. 1860 dem Landtage ein Gesetz vorgelegt, das die Dienstpflicht in der Linie auf 3, in der Reserve auf 4, in der Landwehr auf 9, die Gesamtdienstpflicht somit auf 16 Jahre (bisher 19) festsetzte, die Friedensstärke von 150000 Mann auf etwa 213000 erhöhte, eine Aushebung von jährlich 63000 (statt 40000) Rekruten anordnete, die Infanteriebataillone, zur Gewinnung weiterer Cadres, von 135 auf 253 erhöhte und die Einrichtung 18 neuer Kavallerieregimenter verlangte. Die Landwehr sollte bei einer Mobilmachung geschont, die Linie und die Reserve verstärkt und dadurch die Möglichkeit zur raschen Aufstellung einer starken und schlagfertigen Armee hergestellt werden. Der jährliche Mehraufwand für diese Organisation war zu etwas über 10 Mill. Thlr., die Kosten für die ersten Einrichtungen auf etwa 5 Mill. Thlr. berechnet. An sich war die Stimmung der Mehrheit dem Grundsatze der breitern Heranziehung der Wehrpflichtigen nicht abgeneigt, aber sie forderte vor allem als Erleichterung für das Land die Wiedereinführung der 1833 für die Infanterie schon einmal eingeführten zweijährigen Dienstzeit.

Da hiernach die Annahme des Gesetzes fraglich war, so suchte die Regierung, statt offen die Frage durchzukämpfen, auf einem Umwege ihr Ziel zu erreichen, und brachte 5. Mai einen andern Antrag vor das Haus, der eine außerordentliche Bewilligung von 9 Mill. Thlrn. verlangte, um das Heer ein Jahr lang, bis zum 30. Juni 1861, in erhöhter Kriegsbereitschaft halten zu können. Mit Rücksicht auf die unsichere polit. Lage bewilligten nun beide Häuser den außerordentlichen Kredit und erteilten damit, allerdings vorläufig, d. h. bis zum 30. Juni 1861, der Militärorganisation ihre Zustimmung.

4) Vom Regierungsantritt bis zum Tode König Wilhelms I. (1861-88). Am 2. Jan. 1861 starb Friedrich Wilhelm IV., und der Prinz-Regent folgte ihm als König Wilhelm I. auf dem Thron. In einer Proklamation vom 7. Jan. erklärte er, daß er seine Pflichten für P. als mit denen für Deutschland zusammenfallend betrachte. Zugleich aber ward ausgesprochen, daß die Aufgabe, die P. in und für Deutschland zu erfüllen habe, auf seiner ruhmvollen Geschichte und seiner entwickelten Heeresorganisation beruhe. Die Militärorganisation wurde aber auch in der Landtagssession von 1861 nicht zum Gesetz erhoben, sondern jene hierfür geforderte Summe, mit einem Abstrich von 750000 Thlrn., nur als außerordentliche Ausgabe bewilligt (31. Mai). Auf erneute Vorstellungen von seiten der Regierung hatte endlich das Herrenhaus das Grundsteuergesetz vom 7. Mai angenommen, das durch Aufhebung der Steuerfreiheit der Rittergüter eine Kompensation für die gesteigerte Militärlast bilden sollte. Nach Schluß des Landtags (5. Juni) zeigte sich die Wirkung des bisherigen Kampfes in einer neuen Parteibildung. Gegenüber der aus der Fraktion "Junglitauen" hervorgegangenen deutschen Fortschrittspartei (s. d.) that sich die Gegenbestrebung der Konservativen in dem 20. Sept. 1861 gestifteten "Preußischen Volksverein" kund, der das parlamentarische Regiment samt der Ministerverantwortlichkeit verwarf und dafür das Gottesgnaden-Königtum aufstellte. Damit aber kam der Konflikt mit den Anfängern der Fortschrittspartei und des Verfassungsstaates zum Ausbruch.

Bei den Wahlen vom 6. Dez. 1861 erlangte die Fortschrittspartei die Majorität in der Kammer. In der 14. Jan. 1862 gehaltenen Thronrede konnte der König, indem er übrigens die schon im Juli 1860 vollendete Militärreorganisation als unumstößliche Thatsache annahm, auf den Abschluß von Militärkonventionen mit einigen kleinern Staaten (Coburg-Gotha, Altenburg, Waldeck) hinweisen, befriedigte aber damit nicht das Abgeordnetenhaus, das ein energisches Vorgehen in Sachen der Bundesreform vermißte und einer thatenlosen Regierung die Mittel zu einem stärkern Militäraufwand nicht bewilligen wollte. Es nahm 6. März, um der Militärverwaltung die Durchführung der Reorganisation zu erschweren, den Hagenschen Antrag an, wonach der Staatshaushaltsetat künftig mit genauerer Specialisierung der einzelnen Posten vorgelegt und dieser Grundsatz schon auf das Budget von 1862 angewendet werden sollte. Darauf reichte das Ministerium sein Entlassungsgesuch ein, das 18. März angenommen wurde; das Abgeordnetenhaus wurde 11. März aufgelöst.

Es erfolgte die Bildung eines neuen Kabinetts, an dessen Spitze der Fürst Adolf von Hohenlohe-Ingelfingen stand. Graf Bernstorff, von der Heydt