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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Geschichte 1861-88)

Neubesetzung des erzbischöfl. Stuhles in Köln; Melchers erhielt den Kardinalshut, während Bischof Krementz von Ermland sein Nachfolger wurde. Anfang Febr. 1886 wurde sogar, nachdem Ledochowski resigniert hatte, auch das Erzbistum Posen neu besetzt, und zwar zum großen Mißvergnügen der Polen mit einem Deutschen, dem Propst Dinder von Königsberg, der 26. März die staatliche Bestätigung erhielt. Gleichzeitig ging im Febr. 1886 dem Herrenhause ein neues Kirchengesetz zu mit höchst umfassenden Konzessionen. Hiernach sollte die wissenschaftliche Staatsprüfung der kath. Geistlichen definitiv wegfallen, der kirchliche Gerichtshof aufgehoben werden und eine Berufung an den Staat gegen die Entscheidung kirchlicher Behörden den Geistlichen nur noch im Falle der mit Minderung des Einkommens verbundenen Amtsentsetzung gestattet sein; die kath. Konvikte und Seminare sollten fortan nur einer allgemeinen staatlichen Aufsicht unterworfen sein. Dazu fügte der vom Kaiser ins Herrenhaus berufene Bischof Kopp von Fulda weitere Forderungen, wonach in den Kommissionsanträgen der Satz, daß diejenigen Personen, die der Staat als minder genehm bezeichnet habe, nicht als Leiter und Lehrer sollten angestellt werden können, gestrichen und die Anrufung des Staates seitens derjenigen Geistlichen, die kirchlichen Disciplinarmaßregeln verfallen wären, als unstatthaft bezeichnet werden sollte. Als darauf, auf Ansuchen Kopps beim Papste, der Kardinal-Staatssekretär Jacobini in der Note vom 4. April die rückhaltslose Bewilligung der Anzeigepflicht für den Fall zusicherte, daß die Regierung eine weitere Revision der Maigesetzgebung dem Landtag vorzuschlagen sich verpflichte, genehmigte auch das Herrenhaus 13. April die Vorlage mit den Koppschen Anträgen, und nachdem die Regierung der Kurie ihre Bereitwilligkeit zu weiterer Revision der kirchlichen Gesetzgebung erklärt hatte, erfolgten seitens derselben sofort die Weisungen an die preuß. Bischöfe zur dauernden Erfüllung der Anzeigepflicht. Das Abgeordnetenbaus trat unter dem Eindruck dieser Vorgänge 10. Mai dem Votum des Herrenhauses bei, und der Kaiser bestätigte das Gesetz 21. Mai. Im Herbst des Jahres wurden auf Grund dieses Gesetzes die Priesterseminare in Fulda und Trier wieder eröffnet. Auch über die weitere von der Regierung versprochene Revision der Maigesetze führten die Verhandlungen des preuß. Gesandten Schlözer in Rom zu einem günstigen Resultat, und 22. Febr. 1887 wurde dem Herrenhause eine letzte abschließende Kirchengesetznovelle vorgelegt. Die bisherigen Beschränkungen des Besuchs der Seminare wurden aufgehoben. In Fortfall kamen ferner der staatliche Zwang zur dauernden Besetzung der Pfarrämter, die Verpflichtung der geistlichen Obern zur Mitteilung kirchlicher Disciplinarentscheidungen an den Oberpräsidenten und das Gesetz über die Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel mit Ausschluß der Bestimmung, daß diese Zuchtmittel aus das rein religiöse Gebiet beschränkt sein sollten. Ferner sollten von den durch das Gesetz vom 31. Mai 1875 ausgeschlossenen Orden und ordensähnlichen Kongregationen diejenigen wieder zugelassen werden, die sich der Aushilfe in der Seelsorge oder der Übung der christl. Nächstenliebe widmen oder deren Mitglieder ein beschauliches Leben führen. In dieser Fassung wurde die Novelle von der Kommission des Herrenhauses angenommen, nebst zwei Anträgen des Bischofs Kopp, wonach die weiblichen Orden zur Leitung höherer Töchterschulen und Erziehungsanstalten berechtigt sein und den mit Korporationsrechten ausgestatteten Orden, die wieder zugelassen wurden, ihr Vermögen zurückerstattet werden sollte.

Von den Nationalliberalen konnte sich der größte Teil nicht entschließen, für eine solche Vorlage zu stimmen, die Mitglieder des Centrums aber waren mit diesen Zugeständnissen noch nicht zufrieden, obgleich der Papst selbst 3. April die kath. Mitglieder des Abgeordnetenhauses ermahnen ließ, für die Vorlage zu stimmen, und nun wurde sie durch Zusammenwirken der Konservativen und des Centrums auch im Abgeordnetenhause 27. April mit 243 gegen 99 Stimmen angenommen. Am 29. April erfolgte die Bestätigung des Kaisers.

Die Hoffnung Bismarcks, daß nun auch das Centrum ein Mitarbeiter auf dem Gebiete der nationalen polit. Arbeit werden würde, ist im wesentlichen nicht unerfüllt geblieben. An einzelnen Reibungen fehlte es aber auch später nicht. Windthorst brachte seine Schulanträge, die den Religionsunterricht in den Volksschulen völlig unter Leitung der Kirche bringen wollten und das Einspruchsrecht der Kirche bei Anstellung der Volksschullehrer verlangten, fast Jahr für Jahr unverdrossen ein. Auch über die Verwendung der Gelder, die sich durch die Ausführung des Sperrgesetzes vom 22. April 1875 angesammelt hatten, konnte zunächst noch kein Einverständnis erzielt werden, da das Centrum die Rückgabe des Kapitals forderte, während die Regierung nur die Zinsen für Zwecke der kath. Kirche zur Verfügung stellen wollte. Aber Kolonialpolitik, Socialreform und Stärkung der Heeresmacht verdankten dem Centrum seit 1888 wesentliche Förderung.

Die Lockerung des staatlichen Einflusses auf die kath. Kirche erweckte auch in der evang. Kirche den Wunsch, sich der Vormundschaft des Staates zu entziehen, und Mitglieder der äußersten Rechten der konservativen Partei brachten 1886 und 1887 im Abgeordneten- und Herrenhause Anträge dieser Tendenz ein. Die landeskirchliche Versammlung in Berlin forderte 26. April 1887 vor allem eine stärkere Mitwirkung der kirchlichen Instanzen bei Besetzung kirchenregimentlicher Ämter und theol. Professuren und Zurückdrängung des Einflusses des Landtags auf die evang. Kirche.

Klar vorgezeichnet war der Weg für die Fortführung der innern Verwaltungsreform. Dem Minister des Innern, Grafen Botho zu Eulenburg, gelang es zunächst in den Verhandlungen mit dem Landtag, wo nur die Fortschrittspartei und der größte Teil des Centrums ihre Zustimmung versagten, das Gesetz vom 26. Juli 1880 über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung zu stande zu bringen, das den Zusammenhang der neuen Institution mit der allgemeinen Verwaltung herstellte. Um die Schlagfertigkeit derselben zu erhalten und dem Regierungspräsidenten gegenüber den mit Rechten reichlich ausgestatteten Selbstverwaltungskörpern ein stärkeres Gegengewicht zu geben, wurde die Kollegialität der Bezirksregierungen in den Regierungsabteilungen des Innern beseitigt. Fortan sollte der Regierungspräsident nicht mehr an die Beschlüsse eines Regierungskollegiums gebunden sein, sondern selbständig entscheiden. Erfolgten dann 1880 und 1881 Revisionen des Verwaltungsgerichtsgesetzes, der Kreis- und Provinzialordnung. Bei Beratung eines neuen Zuständigkeitsgesetzes, das die Mängel des