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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtgläubigkeit; Rechtläufig; Rechtlosigkeit; Rechts; Rechtsähnlich; Rechtsanwalt

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Rechtgläubigkeit - Rechtsanwalt

listischen Moralismus auf die Paulinische Idee der R. zurückgriff. Doch blieb dieselbe vielfachem Mißverständnis ausgesetzt, wegen ihrer herkömmlichen Verflechtung mit der Lehre vom stellvertretenden Sühnopfertode Christi. Schon Paulus hielt dafür, daß die Gnade Gottes erst dann freie Hand habe, wenn seine Gerechtigkeit durch Christi Tod vollbefriedigt sei: ein Gedanke, der selbst noch in der juridischen Denkart des jüd. Bewußtseins wurzelte, allerdings aber dazu bestimmt war, dasselbe mit seinen Ansprüchen gleichsam ein für allemal abzufinden. Diese Idee aber mußte, um verwendbar zu sein, die Gestalt eines positiven Dogmas annehmen, und der ältere Protestantismus hat sie in der That dazu ausgestaltet, unter Benutzung gewisser Vorarbeiten der mittelalterlichen Theologie in dieser Richtung. (S. Anselm.) Damit war der Anlaß gegeben, den Ausdruck Glauben mit der R. statt im religiösen Sinn des Vertrauens vielmehr im dogmatischen Sinn des Fürwahrhaltens von Dogmen in Verbindung zu bringen, und in dem Paulinischen Ausdruck den Gedanken zu finden, daß es vor Gott nicht sowohl auf sittliches Thun als vielmehr nur auf richtigen Dogmenglauben ankomme. Da die ältere luth. Dogmatik den Schein nicht zu meiden wußte, als erachte sie in der That mit dem Glauben an die stellvertretende Genugthuung Christi alles erledigt und versäume darüber das Dringen auf energische Ausgestaltung der christl. Sittlichkeit, so wurde sowohl von kathol. als von rationalistischer Seite dieser Umstand zur Diskreditierung der evang. Idee von der R. benutzt. Dieselbe ist jedoch ihrem Wahrheitsgehalte nach an das obige Dogma betreffend den Tod Christi und andere hiermit zusammenhängende Dogmen nicht gebunden, sondern behauptet sich auch bei wesentlicher Umgestaltung dogmatischer Lehrweise als identisch mit derjenigen religiösen Grundidee überhaupt, durch die das Christentum von allen andern Religionen specifisch verschieden und ihnen überlegen ist.

Rechtgläubigkeit, s. Orthodoxie.

Rechtläufig oder direkt nennt man die Bewegung eines Gestirns, wenn mit der Zeit seine Länge zunimmt, sie also nach der Ordnung der Zeichen des Tierkreises wächst; rückläufig oder retrograd, wenn dieselbe in entgegengesetzter Richtung stattfindet. Von der Erde aus gesehen ist die Bewegung der Planeten manchmal rechtläufig, manchmal rückläufig, dazwischen treten die sog. Stillstände ein; auf die Sonne bezogen, ist die Bewegung der Planeten stets rechtläufig. Bei den Kometen kommt, auf die Sonne bezogen, auch rückläufige Bewegung vor.

Rechtlosigkeit, der Zustand mangelnder Rechtsherrschaft, sei es bei völliger Unkultur oder bei Anarchie oder Mißbrauch der Justizgewalt. Im engern und technischen Sinn bezeichnet R. einen Zustand verminderter Rechtsfähigkeit. (S. Acht, Bürgerlicher Tod, Ehrenrechte.)

Rechts, im parlamentarischen Sinne, s. Links und rechts.

Rechtsähnlich, s. Analogie.

Rechtsanwalt, seit dem 1. Okt. 1879 infolge der neuen Justizorganisation für das ganze Deutsche Reich gleichmäßig geltende Bezeichnung für solche Personen, welche auf Grund staatlicher Autorisation ihre Berufsthätigkeit der Wahrnehmung und Vertretung fremder Rechtsangelegenheiten widmen und für welche bis dahin verschiedenfache Bezeichnungen, wie Advokat, Anwalt, Fürsprecher, Prokurator u. s. w., bestanden hatten. Die Berufsverhältnisse der R., insbesondere die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, ihre Rechte und Pflichten, die Anwaltkammern, das ehrengerichtliche Verfahren, die Rechtsanwaltschaft bei dem Reichsgerichte, sind von Reichs wegen geregelt durch die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878, welche im ganzen Umfange des Reichs gleichzeitig mit dem Gerichtsverfassungsgesetz (1. Okt. 1879) in Kraft getreten ist. Die wichtigsten Bestimmungen derselben sind folgende: Wer die Fähigkeit zum Richteramte in einem Bundesstaate erlangt hat, kann in jedem Bundesstaate zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Über den Antrag auf Zulassung entscheidet die Landesjustizverwaltung; vor der Entscheidung ist der Vorstand der Anwaltskammer gutachtlich zu hören. Wer zur Rechtsanwaltschaft befähigt ist, muß, zu derselben bei den Gerichten des Bundesstaates, in welchem er die zum Richteramte befähigende Prüfung bestanden hat, auf seinen Antrag zugelassen werden (freie Advokatur). Das Recht auf Zulassung, bei einem mehrern Bundesstaaten gemeinschaftlichen Gerichte wird dadurch begründet, daß der Antragsteller in einem dieser Bundesstaaten die zum Richteramte befähigende Prüfung bestanden hat. Der Antrag eines nach den vorstehenden Vorschriften berechtigten Antragstellers darf nicht wegen mangelnden Bedürfnisses zur Vermehrung der Anwälte, sondern nur aus den in jenem Gesetze bezeichneten Gründen abgelehnt werden, wohin namentlich Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, frühere ehrengerichtliche Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft, beschränkte Dispositionsfähigkeit, unwürdige Beschäftigung, unwürdiges Verhalten, Schwäche körperlicher oder geistiger Kräfte gehören. Die Versagung der Zulassung muß durch Gründe motiviert werden, über deren Berechtigung der Antragsteller unter Umständen eine ehrengerichtliche Entscheidung erwirken kann. Nach der ersten Zulassung hat der R. in öffentlicher Sitzung des Gerichts seiner Zulassung einen Eid dahin zu leisten, daß er die Pflichten eines R. gewissenhaft erfüllen werde. Die Zulassung erfolgt bei einem bestimmten Gerichte (Grundsatz der Lokalisierung). Der R. muß in der Regel an dem Orte des Gerichts, bei welchem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz nehmen (Domizilierungs- und Residenzpflicht der R.). Wird ihm gestattet, außerhalb zu wohnen, so hat er am Orte des Gerichts einen dort wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. (S. Zustellung.) Über die zugelassenen und beeideten R. führt jedes Gericht eine Liste. Mit der Eintragung in dieselbe beginnt die Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Die Eintragungen werden im «Deutschen Reichsanzeiger» bekannt gemacht. Die erfolgte Zulassung kann aus erheblichen Gründen durch die Landesjustizverwaltung zurückgenommen werden. In diesen Fällen, ferner bei freiwilliger Aufgabe der Zulassung, bei Tod oder Verlust der Fähigkeit zur Rechtsanwaltschaft wird die Eintragung in der Liste gelöscht und dies ebenfalls im «Reichsanzeiger» bekannt gemacht. Auf Grund der Zulassung bei einem Gerichte ist der R. befugt, in den Sachen, auf welche die Strafprozeßordnung, die Civilprozeßordnung und die Konkursordnung Anwendung finden, vor jedem Gericht innerhalb des Reichs Verteidigungen zu führen, als Beistand aufzutreten und, insoweit eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist, die Vertretung zu übernehmen. Insoweit eine Vertretung durch An- ^[folgende Seite]