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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Retz. - Reuchlin
gegen jenen verband; zur Belohnung dafür erhielt
er den Kardinalshut. Aber nach der Herstellung
der königl. Gewalt ließ Mazarin den stets unruhi-
gen R. Ende 1652 dennoch verhaften und auf das
Schloß zu Nantes bringen. Von hier entwich er
1654 und lebte nun lange Jahre im Auslande, an-
fangs in Rom, fpäter in Besancon und den Nieder-
landen. Erst nach Mazarins Tode verstattete ibm
Ludwig XIV. die Rückkehr nach Frankreich (1662).
Freiwillig gab er jetzt seine Ansprüche auf das Erz-
vistum von Paris auf und bekam dafür die Abtei
St. Denis. 1665 erhielt er Zutritt bei Hofe, lebte
aber meist auf seinen Besitzungen, besonders in Com-
mercy, stets umgeben von ergebenen Anhängern.
Er starb 1679 zu Paris. Sein Hauptwerks die
"N6moii'68" (3 Bde., Par. 1717; 5 Bde., hg. von
Feillet, ebd. 1870-80), ist die Frucht dieser Jahre.
Mit Virtuosität hat er die Ereignisse und Persön-
lichkeiten des Zeitalters, 1646-55, darin geschil-
dert. Seine "d^uvi-63" erschienen in 9 Bänden in
Paris 1872-88. - Vgl. Gazier, 1.63 ä^niör^
ann668 6n carllinai ä" K., 1655-79 (Par. 1876);
Chantelauze, 1^6 cardin^i äo N. 6t i'lMni-6 än
ebaz)6aii (2 Bde., ebd. 1878); ders., 1^6 caräiiiiii ä6
K. 6t 868 ini88i0N3 3. Ü.0M6 (ebd. 1879).
^?et^., hinter lat. naturgeschichtlichen Namen Ab-
kürzung für Anders Johan Netzius (s. d.).
Retzbach, Flecken und Wallfahrtsort im Bezirks-
amt Karlstadt des bayr. Reg.-Bez. Unterfranken,
rechts am Main, an der Linie Würzburg-Aschaffen-
burg der Bayr. Staatsbahncn, hat (1890) 910 kath.
E., Post, Telegraph und Weinbau.
Retzius, Anders, schwed. Anatom und Natur-
forscher, Sobn des ebenfalls als Naturforscher be-
kannten Professors Anders Johan R. zu Lund
(geb. 1742, gest. 1821), wurde 13. Ott. 1796 in
Lund geboren und studierte daselbst sowie in Kopen-
hagen. 1820 wurde er Lehrer bei der Veterinär-
anstalt in Stockholm, wo er ein anatom. Museum
einrichtete, 1824 Professor der Anatomie und Phy-
siologie am Karolinischen Institut, dessen Inspektor
und Leiter er wurde. Er starb 18. April 1860. Die
meisten seiner die Anatomie betreffenden Schriften
erschienen in Johannes Müllers "Archiv". In der
spätern Zeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit
Ethnologie. Seine Forschungen über die Schädel-
formen der Völker wurden bahnbrechend^für die
anthropol. Kraniologie. R.' ethnolog. Schriften
sind gesaMMelt in "8v6118icH I^IjHI-63iUl3kÄP6t8 ^)'Ä
HänälinZai'" (Stockh. 1864). Sein Sohn Gustav
gab davon eine Prachtausgabe in deutscher Sprache
("Ethnolog. Schriften von Anders N., Stockh. und
Lpz. 1864) heraus. Im Park vor dem Karolinischen
Institut zu Stockholm wurde R. 1863 eine bronzene
Büste errichtet.
Sein Sohn, Gustav R., geb. 17. Okt. 1842,
wurde 1877 Professor der Histologie und 1889 der
Anatomie am Karolinischen Institut, welche Stel-
lung er 1891 aufgab, um sich ganz wissenschaftlichen
Ardeilen zu widmen. Er yab im Verein mit Pro-
fessor Arel Key 1875 "Studien in der Anatomie des
Nervensystems und des Bindegewebes" (2 Bde.)
heraus. Ferner veröffentlichte er "Anatom. Unter-
suchungen" (Stockh. 1872) und "1^ili8ivH 1vi'aui6i'"
(ebd. 1878), "Biologische Untersuchungen" (ebd.
1880-81), "Das Gehörorgan der Wirbeltiere"
(2 Bde., ebd. 1881-84), "Finland, Schilderungen"
(Berl. 1885). Seit 1890 giebt er wieder "Biologische
Untersuchungen" (bis 1895 6 Bde.) heraus.
Retzsch, Moritz, Zeichner, Maler und Radierer,
geb. 9. Dez. 1779 zu Dresden, gest. daselbst 11. Juni
1857, studierte an der dortigen Kunstakademie haupt-
sächlich unter Grassi. N. wurde 1816 Mitglied der
Dresdener Kunstakademie, 1824 Professor an der-
selben. Er machte sich besonders bekannt durcd
seine Illustrationen (sämtlich in Umrissen) zu gro-
ßen Dichterwerken, zunächst zu Goethes "Faust",
26 radierte Blätter (Stuttg. 1816; 2. verm. Aufl.
1834). 1822 erhielt er von Cotta in Stuttgart den
Auftrag, Schillers Werke mit Umrißzeichnungen
zu versehen. Er begann auch eine "Galerie zu Shake-
speares dramat. Werken" (Lpz. 1827-46). Außerdem
hat er Bürgers Balladen illustriert und zwei Hefte
"Phantasien", den "Kampf des Lichts und der
> Finsternis" (Lpz. 1846), und mehrere einzelne Vlät-
! ter herausgegeben. Sein Cyklus von Darstellungen
^ des menschlichen Lebens wurde von Iaraeson (Lond.
! 1834) herausgegeben.
> Neuchlin, Herm., Geschichtschreiber, geb. 9. Jan.
j 1810 zu Markgröningen, studierte zu Tübingen
Theologie, reiste dann im Ausland, war 1842-57
Pfarrer zu Pfrandorf bei Tübingen und lebte dann
bis zu feinem 14. Mai 1873 erfolgten Tode als Pri-
vatmann in Stuttgart. Unter seinen Werken sind
zu nennen: "Das Christentum in Frankreich inner-
halb und außerhalb der Kirche" (Hamb. 1837), "Ge-
schichte von Port-Royal" (2 Bde., ebd. und Gotha
1839-44), "Pascals Leben und der Geist seiner
Schriften" (Stuttg. und Tüb. 1840), "Geschichte
Italiens von der Gründung der regierenden Dyna-
stien bis zur Gegenwart" (4 Bde., Lpz. 1859-74),
"Lebensbilder zur Zeitgeschichte" (3 Bde., Nördl.
1861-62), und unter dem Namen Bernhard: "Franz
Ludwig von Erthal" (Tüb. 1852).
Reuchlin (gräcisiert (^Mio), Johann, Huma-
nist, geb. 22. Febr. 1455 in Pforzheim, studierte in
Freiburg, Paris, Basel und wiederholt in Paris
namentlich Griechisch und Rechtswissenschaft. 1481
trat er als Rat in die Dienste des Grasen Eberhard
im Barte von Württemberg, in dessen Begleitung
oder Auftrag er wiederholt nach Italien ging, Rei-
sen, die ihm Vertiefung seiner philol. Studien und
Ansehen bei den ital. Humanisten eintrugen. Nach
Eberhards Tode verfiel er der Ungnade des Nach-
folgers Eberhards des Jüngern und folgte daher
einem Rufe Joh. von Dalbergs nach Heidelberg
1496. Unter Herzog Ulrich von Württemberg war
er 1502-13 Triumvir am schwäb. Bundesgericht
zu Stuttgart. Die Kriegsunruhen in seiner Heimat
veranlaßten R. 1519, eine Professur der griech. und
bcbr. Sprache in Ingolstadt zu übernehmen. Die
Pest trieb ihn 1521 nach Tübingen, wo er dasselbe
Lehramt bekleidete. Er starb 30. Juni 1522 in Bad
Liebenzell. R. erzielte mit seinen zwei Komödien
"86r^in8 Liv6 o^iti3 eapiit" (1496) und "Zcenica.
1)i-0F)'inna8iuHtH 81V6 H6QU0" (1497) großen Erfolg
(vgl. Holstein, R.s Komödien, Halle 1888); nament-
lich wurde der "Henno", dem die franz. Farce vom
Naitr6 ?Ht1i6iin zu Grunde liegt, sehr oft aufgeführt,
gedruckt, übersetzt und nachgeahmt, z. B. von Hans
Sachs. Daß N. lange Zeit als das Haupt des deut-
schen Humanismus galt, verdankte er seiner einzig
dastehenden Sprachkenntnis und seiner bewährten
wissenschaftlichen Wahrhaftigkeit. Sein viel benutztes
elementares lat. Wörterbuch "Vockl)u1ai-iu8 dr6vi-
I0liuu3" (Bas. 1475 u. ö.) ist freilich nur eine flüchtige
Jugendarbeit. Dagegen förderte er das Studium der
damals wenig bekannten griech. Sprache und Litte-