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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Richelieu (Herzog von, Kardinal)
klammerung Spaniens zu befreien. N. zögerte nicht,
die prot. Gegner dieser Macht dafür aufzurufen:
Karl I. von England gab er die Schwester feines
Königs, Henriette, zur Gemahlin; er unterstützte die
Holländer und Graubündener. Dagegen erhoben
fich 1625 die iunern Gegner, die Strengkatbolischen
und die Hugenotten (s. d.). Aber gegen diese leiste-
ten ihm jetzt England und Holland selbst Beistand;
geschlagen, muhten sie um Frieden bitten, den er
ihnen gewährte. Obne und gegen N. setzte hierauf
die ultramontane Strömung den mit Spanien zu
Barcelona 10. Mai 1626 geschlossenen Frieden durch.
Die Folge war eine neue Gärung in Frankreich.
Wieder standen hugenottische und kath. Aristokraten
gegen den Minister zusammen: Gaston von Orlöans,
des Königs Bruder, Cond^, der Marschall Ornano,
Henri de Talleyrand, Graf von Chalais, die beiden
Vendömes waren die Häupter. R. ließ sich nicht
schrecken: Chalais büßte mit dem Kopfe, Ornano
kam im Gefängnis um, die Vendömes wurden fest-
genommen. Eine Notabelnversammlung gab R.
neue Autorität. Und als nun der Krieg mit den
Hugenotten in La Rochelle wieder ausbrach, führte
die Eroberung der von den Engländern unterstützten
Stadt, von R. selbst geleitet, zum ersten großen
Triumph des Kardinals. Am 1. Nov. 1628 hielt er
mit dem König seinen feierlichen Einzug. Nun
wandte er sich gegen die Spanier. Im März 1629
überschritt er die Alpen, befreite Casale, rief die
ital. Opposition gegen die span. Herrschaft ins
Leben und schlug dann die Neste der Hugenotten im
Süden Frankreichs zu Boden. Die religiöse Frei-
heit ließ er ihnen, aber um ihre polit. staats-
schädliche Sonderstellung war es geschehen. 1630
überschritt N. aufs neue die Alpen, nahm Pinerolo
und bald ganz Savoyen in Besitz.
Schon damals war N. mit Gustav Adolf in Ver-
bindung, dessen Vordringen in Deutschland die beste
Hilfe für die franz. Waffen war. Aber der Bund
mit dem Ketzer, die maßvolle Politik im Äußern und
Innern ward dem Kardinal von den streng katho-
lisch Gesinnten übel gedeutet, und so fand sich von
neuem eine große Opposition gegen ihn znsammen.
An der Spitze stand die Königin-Mutter selbst, ihr
zur Seite die Herzogin Chevreuse, die Brüder
Marillac, die lothr. Faktion; die Spanier hatten
wieder die Hand im Spiel. Schon glaubte man
allgemein an den Sturz des Kardinals, als Maria
von Medici ihm 11. Nov. 1630 vor ihrem Sohn
ihre Ungnade bezeugte. Aber Ludwig ließ sich von
dem Minister, dessen dämonische Überlegenheit ihn
halb wider Willen fesselte, nicht losreißen. Er wies
die eigene Mutter ab, für deren Leben nun dieser
"Tag der Betrogenen" ^oui'N06 des änp68) zur
Katastrophe wurde, und gab die Verhaftung der
Marillacs zu. Als dann Maria von Medici den
Herzog von Orlöans zu sich hinüberzog, mußten
beide weichen; Maria floh zu den Spaniern in die
Niederlande. Eben diese unterstützten im nächsten
Jahre Heinrich II. von Montmorency, als er im
Einverständnis mit dem Herzog von Lothringen
und Orleans sich gegen den Minister erhob. N. ließ
jetzt den Marschall Marillac hinrichten; Mont-
morency wurde besiegt und enthauptet (30. Okt.
1632), Orleans nur durch seine Herkunft geschützt.
Ernstlich war R. seitdem von innen her nicht mehr
bedroht; seine Kraft, von ausgezeichneten Gehilfen
unterstützt (s. Joseph 1e pei-6 und Mazarin), konnte
sich ganz auf den Kampf gegen Habsburg werfen.
War Gustav Adolfs Auftreten R. willkommen
gewesen, so war sein Tod für R.s Politik kein ge-
ringeres Glück; denn erst setzt war seine Hilse den
deutschen Protestanten unentbehrlich. Indem er
1633 das Heilbronner Bündnis unterstützte, lieh er
Lothringen erobern, Montbeliard und eine Reihe
von Burgen und Reichsstädten im Elsaß besetzen
und seit Ende 1634 die Franzosen auf beiden leiten
des Oberrheins am Kampfe teilnehmen. Vergebens
hetzten die Spanier R.s innere Feinde auf. Der
Kardinal trennte den Herzog von Orleans von sei-
ner Mutter, die nicht wieder zurückkehren durfte,
während er dem Herzog eine Freistatt gewährte.
Im Mai 1635- brach der offene Krieg mit Spanien
aus. 1636 sielen Spanier und Bayern in Frank-
reich ein, und auch 1637 brachte Mißerfolge. Die
Siege Bernhards von Weimar aber um Breisach,
mehr fast noch dessen Tod, der die Truppen des zu
selbständig Gewordenen unter franz. Führung brachte,
gaben R. die herrschende Stellung am Oberrhein.
1640 gewann er Casale und bald ganz Savoyen,
das verloren gegangen, zurück. Jetzt trug er den
Zwist in die Reihen der Gegner selbst:* er schürte
den Aufstand Cataloniens und Portugals gegen die
fpan. Regierung und mit der schottisch-engl. Oppo-
sition knüpfte er gegen Karls I. Regierung Verbin-
dungen an. Freilich wurden bis zuletzt R.s äußere
Triumphe durch Empörungen von innen her durch-
kreuzt. So der Aufstand des Grasen von Soissons
1641, der mit Hilse der Spanier von Sedan aus den
Kardinal stürzen wollte, aber selbst im Kampfe um-
kam. Noch leichter wurde es ihm, den Versuch des
Marquis von Cinq-Mars und des jüngern de Thou
zu ersticken (1642), sie starben auf dem Schafott.
Aller Feinde Meister, gehoben durch neue Siege, die
seine Generale vom Niederrhein durch Thüringen
bis nach Franken hinein führten, erlag R. einem
gichtischen Leiden, das den immer schwächlichen Kör-
per bereits längst gelähmt hatte, 4. Dez. 1642. R.
war der größte Staatsmann des alten Frankreich,
dessen mächtige Erscheinung alle Zeitgenossen weit
überragt. Im Auswärtigen war er, scharf und ge-
schmeidig, jedes Mittels Meister, von großartiger
Kühnheit, gewissenlosester List und eiserner Energie.
Im Innern hat er das Werk des Absolutismus
fortgeführt, Heinrichs IV. Bahnen im Kampf für
die 'Staatseinheit mit größerer Härte weiter wan-
delnd. Die ständische Opposition hat sich nach ihm
nur noch in der Fronde (s. d.) kraftlos erboben. Der
Druck der Kriege und Steuern war hart; doch hat
R. nicht versäumt, durch Schöpfung der franz. Flotte,
durch Förderung des Handels auch die Wohlfahrts-
politik des Königtums zu befruchten. Die Provinzial-
vcrwaltung wurde durch ihn weiter ccntralisiert.
Seine Einseitigkeit lag im Sinne der Zeit und der
franz. Entwicklung.
Abgesehen von seinen religiösen Schriften wird
R. von vielen als Verfasser der "IliLtoii-e äo !a möre
6t än üw" (2Bde., Amsterd. 1730) angesehen. Petitot
gab unter R.s Augen geschriebene und von ihm re-
vidierte "Nöiuoii-eä" heraus ("lüoiiection 668 in6-
inoir68)), II, 10-11, 22-30, Par. 1823 fg.). Auch
das "i63tHM6Qt politiqM än caräinai ä6 K."
(2 Bde., Amsterd. 1687-96 u. ö.) ist authentisch
(s. "N6ianA68 1ii8t0i-iciu63", III, 1880); desgleichen
das ".Ioui-113.1 äu cai-liiiig.1 ä615., hu'il a lait. ärn-ant
16 Franä oraZo äs )a cc>u2'" ^2 Bde., Amsterd. 1664).
Seine "I^(Mr68, in8tructi0ii8 diplomati^u^ 6tc.v
sind von Avenel gesammelt (8 Bde., Par. 1853-77).