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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sachsen, Königreich (Geschichte)

die alten Absatzwege gesichert und neue wichtige eröffnet. Bei dem Deutsch-Österreichischen Postverein, Telegraphenverein und dem Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen beteiligte sich S. in erster Linie, wie überhaupt für alles, was die Förderung von Industrie, Handel, Landwirtschaft, Transport- und Kommunikationswesen, technischen Unterricht, Statistik u. s. w. betraf, die Regierung große Sorgfalt entwickelte.

Der plötzliche Tod des Königs Friedrich August 9. Aug. 1854 auf einer Reise in Tirol führte dessen Bruder Johann (s. d.) auf den Thron. Das wichtigste gesetzgeberische Werk der nächsten Jahre war die Reform der Rechtspflege und der Behördenorganisation, wobei der Widerstand der Ersten Kammer gegen die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit durch die Übereinstimmung der Zweiten Kammer mit der Regierung gebrochen wurde. Nach diesem Gesetz (vom 11. Aug. 1855) traten mit dem 1. Okt. 1856 an Stelle der Patrimonial- und Stadtgerichte 15 kollegialisch eingerichtete Bezirksgerichte und 105 Gerichtsämter (im Schönburgischen erst mit 1. Juni 1865). Ein neues Strafgesetzbuch wurde 1856, ein neues bürgerliches Gesetzbuch 1865 eingeführt. 1861 fielen die Vorrechte der Innungen, und Handels- und Gewerbekammern übernahmen die besondere Vertretung dieser Interessen. 1864 wurden die Wuchergesetze aufgehoben, 1863 der Elbverkehr am obern Teile des Stromlaufs von allen Zöllen befreit und die Fahrbahn verbessert, 1869 die Kettenschleppschiffahrt eingeführt. Zugleich gestaltete sich das Eisenbahnnetz immer dichter. Für die Landeskirche beschloß der Landtag 1865 eine neue Kirchen- und Synodalordnung, die Universität Leipzig erhob sich unter dem Ministerium Falkenstein zu einer der ersten Hochschulen Deutschlands, die sehr vermehrten Seminare erhielten 1858, die Realschulen 1860 ein Regulativ. Die Vermehrung des Staatsvermögens, das Steigen des Budgets bei fortdauernden Überschüssen, der Aufschwung/des Verkehrs und der Industrie, das Anwachsen der Bevölkerung bezeugten die Tüchtigkeit der Bevölkerung und der Verwaltung und die Segnungen des Zollvereins.

Dem entsprach aber keineswegs der unfertige Zustand Gesamtdeutschlands und der innerpolit. Verhältnisse S.s. Eine allmähliche Wandlung in den polit. Maximen der Regierung trat ein, seitdem durch den Regierungswechsel in Preußen 1858 und durch den ital. Krieg 1859 eine lebhafte Bewegung in ganz Deutschland Platz gegriffen und Beust seit Zschinskys Tode den Vorsitz im Ministerrate übernommen hatte. Ein reformiertes Wahlgesetz von 1861 erweiterte zwar etwas die Wahlfähigkeit, ließ aber den Stände- und Bezirkszwang bestehen. In den deutschen Dingen hielt das Ministerium Beust an seinem Gegensatz zu der immer stärker werdenden bundesstaatlichen Agitation fortwährend fest, indem es auf Grund der Triasidee ebensowohl die nationalen Bedürfnisse zu befriedigen als die volle Selbständigkeit der Mittelstaaten behaupten zu können hoffte.

Aber der sächs. Antrag auf Bundesreform (Delegiertenprojekt) scheiterte am Widerspruch der Großmächte (Dez. 1861), und der österr. Reformplan, den S. auf dem Fürstentage von Frankfurt Aug. 1863 unterstützte, stieß aus den entschiedensten Widerspruch Preußens, während gleichzeitig das in Leipzig gefeierte dritte Deutsche Turnfest (3. bis 6. Aug. 1863) die nationale Begeisterung mächtig anfachte. Bei der nun ausbrechenden Krisis des Zollvereins mußte Beust den Zollverein mit Preußen unbedingt und unter Annahme des Handelsvertrags mit Frankreich erneuern, 11. Mai 1864. In dem Konflikt mit Dänemark stand die sächs. Regierung mit an der Spitze derjenigen Regierungen, welche die gänzliche Losreißung der Herzogtümer von Dänemark und die Einsetzung des Hauses Augustenburg betrieben. Es beteiligten sich 6000 Mann sächs. Truppen an der Bundesexekution gegen Holstein (Dez. 1863), und die Haltung Beusts als Vertreter des Deutschen Bundes auf der Friedenskonferenz in London (Mai und Juni 1864) war für S. ehrenvoll. Als es sich jedoch um die Einordnung des befreiten Schleswig-Holstein in das deutsche Staatensystem handelte, trat die staatenbündische und antipreuß. Politik Beusts wieder in den Vordergrund, zumal die beiden Großmächte den Abzug der Bundestruppen aus Holstein erzwangen (Dez. 1864). Im Konflikt Preußens mit Österreich hielt S. trotz der von Preußen noch 15. Juni 1866 angebotenen Neutralität fest zu Österreich. Während nun preuß. Truppen 16. Juni über die sächs. Grenze rückten, zog sich König Johann mit seiner Armee 18. Juni ohne Widerstand nach Böhmen zurück. Im Verein mit den Österreichern nahm hier die sächs. Armee unter dem Befehl des Kronprinzen Albert an den Schlachten von Jičin (29. Juni) und Königgrätz (3. Juli) hervorragenden Anteil (s. Deutscher Krieg von 1866, Bd. 5, S. 54 b fg.). Nachdem Preußen anfänglich bei den Nikolsburger Verhandlungen auf der Annexion des ganzen S.s oder wenigstens eines Teils bestanden hatte, erhielt S. infolge der entschiedenen Haltung Österreichs endlich doch seine Selbständigkeit und seinen ungeschmälerten Gebietsbestand verbürgt, trat aber im Berliner Frieden 21. Okt. 1866 dem Norddeutschen Bunde bei und verzichtete ganz oder teilweise auf seine Militärhoheit, seine diplomat. Vertretung, Post- und Telegraphenwesen zu Gunsten der Krone Preußen, mußte auch eine Kriegskostenentschädigung von 10 Mill. Thlrn. an Preußen zahlen. Beust war, da Preußen erklärte, nicht mit ihm unterhandeln zu wollen, schon 15. Aug. zurückgetreten. An seiner Statt übernahm der Finanzminister von Friesen auch das Auswärtige, von Nostitz-Wallwitz das Innere. Das Justizministerium war schon im Mai 1866 an den bisherigen Appellationsgerichtspräsidenten Schneider übergegangen. Ministerpräsident ward der Kultusminister von Falkenstein, und der Kriegsminister von Rabenhorst wurde durch General Fabrice ersetzt, unter dessen Leitung nun die sächs. Truppen als 12. Armeekorps des Norddeutschen Bundesheers nach preuß. Muster völlig umgestaltet wurden. Überhaupt fanden alle Bundeseinrichtungen in S. pünktliche Durchführung.

Auf dem Landtage von 1867 kam eine Kirchenvorstands- und Synodalordnung zu stande, mit einem allerdings sehr beschränkten Wahlgesetz für die Synode. Die Aufhebung der Todesstrafe und des sog. "Haß- und Verachtungsparagraphen" ward publiziert. An die Stelle rechtsgelehrter traten wirkliche Geschworene, daneben wurden für minder schwere Gesetzesübertretungen Schöffengerichte eingeführt. Im Herbst 1869 trat der erste Landtag nach dem neuen Wahlgesetz zusammen. In der Zweiten Kammer standen etwa 42 Liberale gegen 38 Konservative. Die erstern, die sich in Nationalliberale und Fortschrittler teilten, gingen fast immer Hand in Hand. Zu stande kamen ein liberales Preßgesetz, die Wiedereinführung der direkten Gemeindewahlen und der