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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sachsen, Königreich (Geschichte)

Wegfall der Bürgerrechtsgebühren. Im Deutsch-Französischen Kriege von 1870 und 1871 (s. d.) zeichnete sich das sächs. (12.) Armeekorps unter der Führung des Kronprinzen Albert (seit 19. Aug. des Prinzen Georg) durch treffliche Haltung und wirksames Eingreifen in die Aktion namentlich bei Gravelotte, Beaumont, Sedan und vor Paris ruhmvoll aus. Nach der Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs wurde Leipzig, seit 1870 bereits der Sitz des Bundesoberhandelsgerichts, 1877 zum Sitz des Reichsgerichts erwählt.

Zwischen dem Landtage von 1869/70 und dem (nach Verkürzung der Budgetperioden von drei- auf zweijährige) in das Ende 1871 fallenden fand die erste Synode statt. Der Entwurf zur Errichtung eines evang.-luth. Landeskonsistoriums ward durch die streng kirchliche Mehrheit derselben dermaßen umgestaltet, daß beim nächsten Landtag erst wieder in einem Publikationsgesetze dazu die Rechte des Staates gegenüber der Kirche gewahrt werden mußten. Der bald nachher zurücktretende Kultusminister von Falkenstein wurde durch Dr. von Gerber, bisher Professor des deutschen und Kirchenrechts zu Leipzig (Präsident der Synode), der verstorbene Justizminister Schneider durch Geh. Justizrat Dr. Abeken ersetzt. Der Landtag von 1871 brachte mehrere tief eingreifende Gesetze: neue Gemeindeordnungen für Stadt und Land, Gesetze über Behördenorganisation und Bezirksvertretung, die größtenteils im Geiste ausgedehnter Selbstverwaltung zu stande kamen. Dabei wurde die Zahl der Amtshauptmannschaften auf 27 vermehrt und die vier Kreisdirektionen in Kreishauptmannschaften verwandelt (1874). Ein neues Volksschulgesetz wurde publiziert trotz der heftigsten Anfechtungen in der Zweiten Kammer. Dasselbe stellte das Volksschulwesen unter die Aufsicht des Staates, richtete Fortbildungsschulen mit dreijährigem Kursus ein und übertrug die Aufsicht königl. Bezirksschulinspektoren (seit 1874). Ein Gesetzentwurf, der mehrere Verfassungsänderungen im liberalen Sinne enthielt, ward von der Ersten Kammer abgelehnt. Eine Schwächung des parlamentarischen Liberalismus fand dadurch statt, daß die partikularistisch gefärbte Fortschrittspartei, die auf den beiden letzten Landtagen fast ununterbrochen mit den Nationalliberalen Hand in Hand gegangen war, plötzlich denselben schroff gegenübertrat und sich in demselben Maße der Regierung und den Konservativen näherte; seitdem besaßen die Konservativen die Mehrheit.

Nach dem Tode des Königs Johann 29. Okt. 1873 bestieg dessen älterer Sohn Albert (s. d.) den Thron. Die schon auf mehrern Landtagen versuchte Steuerreform kam auf dem von 1873 insoweit zu stande, daß die Grundlagen für ein Einkommensteuergesetz festgestellt, auch die Vornahme einer Einschätzung danach beschlossen, dagegen die Bestimmung darüber, welcher Teil des Staatsbedarfs auf diesem Wege erhoben werden solle, dem nächsten Landtag vorbehalten wurde. Die Einkommensteuer sollte zunächst bloß eine Ergänzungssteuer sein, neben ihr sollten Gewerbe- und Grundsteuer (jedoch beide in beschränktem Umfang) fortbestehen. Auch eine neue Landtagsordnung nebst damit zusammenhängenden Abänderungen der Verfassung wurde angenommen.

Auf dem Landtag von 1875 bewirkte das Übergewicht der Konservativen und des Fortschritts, daß die Regierung mit ihren Gesetzvorlagen und finanziellen Maßregeln fast in allen Punkten durchdrang. Dem Ankauf der Leipzig-Dresdener Eisenbahn (1876) folgte allmählich der fast sämtlicher Privatbahnen. Zunächst erlitt zwar dadurch das sächs. Staatsbudget zum erstenmal einen Fehlbetrag, doch wurde später dieser durch die Überschüsse, welche die Eisenbahnen abwarfen, wieder ausgeglichen. Ein Streit mit Preußen über den Ankauf der Berlin-Dresdener Eisenbahn wurde 1877 durch Schiedsspruch des Lübecker Oberappellationsgerichts zu Gunsten Preußens entschieden. Außerdem kamen auf dem Landtag 1875/76 noch zu stande eine Urkunden- und Erbschaftsstempelsteuer, die Revision der Brandversicherungs-Gesetzgebung, die Abänderung des Civilstaatsdienergesetzes, die Regelung des staatlichen Oberaufsichtsrechts über die kath. Kirche, ein Gesetz über die höhern Unterrichtsanstalten (Gymnasien, Realschulen, Seminarien) u. s. w. In Ausführung des Reichsgesetzes von 1875 fand damals auch die Civilehe in S. Eingang. Der Landtag von 1877 hatte es zumeist mit den zur Ausführung der Reichsjustizgesetze notwendigen landesgesetzlichen Maßregeln zu thun, außerdem mit der Revision der Steuerreform von 1874, die der an von Friesens Stelle eingetretene Finanzminister von Könneritz vorlegte. Das Resultat der letztern war das Gesetz vom 2. Juli 1878, das neben der unverändert beibehaltenen Grundsteuer von 4 Pf. für die Einheit eine progressive Einkommensteuer einführte. Derselbe Landtag regelte den vollständigen Übergang der Gerichtsbarkeit in den Schönburgschen Rezeßherrschaften auf den Staat sowie das Disciplinarverfahren gegen städtische Beamte. Mit dem 1. Okt. 1879 trat auch für S. die neue Reichsgerichtsordnung in Kraft, nach der das Land 1 Oberlandesgericht, 7 Landgerichte und 105 Amtsgerichte erhielt. Das J. 1879 brachte eine veränderte Einrichtung der Altersrentenbank und ein Gesetz über die Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden, 1880 ein neues Statut für die Universität Leipzig und ein Gesetz über das Dienstverhältnis der Richter, 1881 die Errichtung eines Eisenbahnrats, 1882 Gesetze über die Entmündigung Geisteskranker, Gebrechlicher und Verschwender sowie über das Pfandleihgewerbe, 1884 über die Anlegung eines Staatsschuldenbuches und über die Befugnis zur Ausschließung säumiger Abgabenpflichtiger von öffentlichen Vergnügungsorten. Vom 1. Jan. 1886 an wurde das Chaussee- und Brückengeld aufgehoben. Regierung und Kammern richteten ihr besonderes Augenmerk auf den weitern Ausbau des sächs. Eisenbahnnetzes durch Sekundärbahnen. Die günstige Finanzlage des Staates erlaubte, die Finanzperiode 1884/85 mit einem Überschuß von etwa 17 Mill. M. abzuschließen, so daß die Regierung den Kammern die Zurückgabe von 2 Pf. Grundsteuer an die Gemeinden zur Bestreitung ihrer hoch gestiegenen Schulausgaben in Vorschlag bringen und doch ansehnliche außerordentliche Ausgaben aus den laufenden Einnahmen bestreiten konnte.

Der Landtag von 1885/86 brachte zum erstenmal seit langer Zeit der Zweiten Kammer eine starke konservative Mehrheit, aber auch eine Gruppe von fünf socialdemokratischen Abgeordneten, die sich sofort durch radikale Anträge bemerklich machten. Doch wurde der Antrag Bebels, daß in den Volksschulen kein Schulgeld erhoben, sämtliche einheitliche Lehrmittel den Schülern unentgeltlich geliefert werden sollten u. s. w., 8. Jan. 1886 von der Zweiten Kammer abgelehnt, dagegen die Mittel für den Bau oder