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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Selbstherrscher - Selbstmord
oes Stoffwechsels, wie z. B. der Harnstoff, bei unge-
nügender Ausscheidung durch stärkere Anhäufung
im Blut und in den Geweben giftig wirken können.
Die Beobachtungen, daß der längere oder dauernde
Aufenthalt in schlecht gelüfteten Räumen gesund-
heitliche Nachteile zur Folge hat, sind wesentlich die
Grundlage für die Annahme der Existenz folcher S.
gewesen, da sich die Kohlensäure, zumal in den Kon-
zentraüonsgraden, die gewöhnlich in der Wohnungs-
luft erreicht werden, bei genauen Untersuchungen
als relativ harmlos erwies. Das unbekannte Selbst-
gift des, Menschen wurde von Du Vois-Neymond
mit dem Namen Anthropotorin belegt.
Selbstherrscher, s. Autokratie.
Selbsthilfe von Privatleuten, um sich wegen
eines ihnen drohenden Verlustes Recht zu verschaf-
fen, ist im allgemeinen in einem geordneten Staats -
Wesen nicht gestattet. Ausnahmen finden statt im
Fall der Notwehr (s. d.) und des Notstandes (s. d.),
ferner zur Aufrechthaltung des Besitzstandes. Der
Besitzer darf sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt
erwehren. Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer
mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so
darf er sie dem auf frischer Tbat betroffenen oder
verfolgten Thäter mit Gewalt wieder abnehmen.
Wird dem Besitzer des Grundstücks der Besitz (s. d.)
durch verbotene Eigenmacht entzogen, so darf er so-
fort nach der Entziehung sich des Besitzes durch Ent-
setzung des Thäters wieder bemächtigen (Deutscher
Entwurf ß. 781). Wer sonst zum Zwecke der S. eine
Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt, oder wer
zu diesem Zwecke den Verpflichteten festnimmt oder
den Widerstand desselben gegen eine Handlung, die
er zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht
widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht recht-
zeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen
Gefahr vorliegt, daß die Verwirklichung des An-
spruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.
Jedoch darf die S. nicht weiter gehen, als zur Ab-
wendung der Gefahr erforderlich ist, und der Han-
delnde muß dann sofort das Gericht angehen. Han-
delte er im Irrtum, so ist er schadenersatzpflichtig
(Deutscher Entwurf §ß. 193 - 195). - In einem
andern Sinne ist S. das Princip wirtschaftlicher
Vereine (f. Erwerbs- und Wirtschaftsgcnossenschaf-
ten), die die Hebung der mittlern und untern
Klassen erstreben und die Unterstützung aus Staats-
mitteln oder durch sonstige wohlthätige Beihilfen
Selbstinterefse, s. Eigennutz. ^ablehnen.
Selbstlauter, s. Laut (Bd. 10, S. 1019 d).
Selbstmord, die Todesart, die jemand in be-
wußter Absicht und auf gewaltsamem Wege an sich
vollzieht. Der S., nach moderner sittlicher Auf-
fassung, nicht aber nach der der alten Römer und
Griechen, verwerflich, war unter dem Einfluß der
Kirche auch für strafbar erklärt. Die gemeinrecht-
liche Praxis strafte mit unehrlichem Begräbnis.
Pfahl durch den Lcib und Begräbnis am Kreuz-
weg rmt Gülerlonsiskatlon war in England bis
zum I. 1823 die gebräuchliche Strafe für den S.
Nach dem Gesetz, betreffend das Begräbnis der
Selbstmörder vom I. 1882 ist als einige Strafe
das Begräbnis ohne die gewöhnlicbe Feierlichkeit
der Staatstirche übriggeblieben. Das geltende
Deutsche und Osterr. Strafgesetz kennt Strafen für
den S., den Versuch, Anstiftung und Beihilfe nicht.
In einzelnen neuern Gesetzbüchern ist wiederum der
Versuch Zum (^., Anstiftung und Beihilfe für straf-
bar erklärt. So im Holland. Strafgesetzbuch von
Sachsen
Dänemark
Hessen .
Schweiz.
Frankreich.
. 32,0
. 25,3
. 24,0
22 3
. 21,3
Preußen.......19,7
Baden........19,2
Österreich.......16,0
Württemberg.....15,4
1881 Anstiftung und Beihilfe mit Gefängnis bis
zu 3 Jahren lß. 294), im Strafgesetzbuch für Neu-
york von 1881 der Versuch mit Staatsgefängnis bis
zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 1000 Doll.,
die Beihilfe als Totschlag ersten Grades M172 fg.),
im Ital. Strafgesetzbuch von 1889 die Anstiftung
und die Beihilfe mit Einschließung von 3 bis zu
9 Jahren (Art. 370). - Über den S. beim Militär
s. Heereskrankheiten (Bd. 8, S. 9391)).
Nach der Statistik derS. entfielen in dem Zeit-
raum 1886-90 auf 100000 E. durchschnittlich jähr-
lich Selbstmörder in
Bayern........13,5
Belgien........11,8
Schweden.......11,5
England .......8,0
Niederlande......5,5
Schottland......5,5
Italien........5,1
Rnßland .......2,7
Norwegen.......2,7
Die Zahl der S. ist hiernach in den einzelnen
Staaten sehr verschieden, und zwar scheinen nicht so
sehr die Rasfeneigentümlichkciten als vielmehr die
jeweiligen wirtschaftlichen, geistigen und sittlichen
Zustände, in gewissem Grade auch wohl die kon-
fessionellen Verhältnisse des betreffenden Landes
auf die Häufigkeit der S. von Einfluß zu sein. In
dieser Beziehung ist die Beobachtung von Interesse,
welche Vertillon hinsichtlich des Zusammenhanges-
zwischen der Zahl der S. und derjenigen der Ehe-
scheidungen gemacht hat, und wonach solche Länder,
welche eine hohe bez. niedrige Selbstmordziffer auf-
weifen, auch durch Häufigkeit bez. Seltenheit der
Ehescheidungen sich auszeichnen. Man darf hieraus
fchlieften, daß diese beiden sozialen Erscheinungen
auf ähnliche Ursachen zurückzuführen sind.
Leider lehrt die Statistik, daß die Zahl der S. im
Laufe des 19. Jahrh, fast überall erheblich zuge-
nommen hat. Am weitesten zurück reichen die Zah-
len, welche Levasseur für Frankreich beigebracht hat,
und welche ergeben, daß die Zahl der S. von jähr-
lich 1827 (5 S. auf 100000 E.) im Durchschnitt des
Zeitraums 1826-30auf8180 (21S. auf 100000 E.)
im I. 1889 gestiegen ist. Diese Zunahme erklärt
sich wohl in erster Linie aus dem immer schroffer
und rücksichtsloser auftretenden Kampfe um die
Existenz und aus der Ruhelosigkeit und Hast des
Lebens, welche unserm "nervösen" Zeitalter eigen
ist. Dem entspricht es denn auch, wenn Geistes-
krankheiten und Lebensüberdruß unter den Ursachen
der S. an erster Stelle stehen.
Im allgemeinen ist an den S. das männliche
Geschlecht erheblich stärker beteiligt als das weib-
liche; so waren in Preußen unter den 5827 Selbst-
mördern im Jahresdurchschnitt 1886 - 90: 4631
Männer und 1196 Frauen. Von jener Gesamtzahl
endigten 3501 durch Erhängen, 1079 dnrch Er-
tränken, 679 durch Erschießen und 568 auf andere
Weise (durch Vergiften u. s. w.). Der Tod durch
Erschießen ist bei den Frauen sehr selten, um so
häufiger der durch Ertränken.
Vgl. A. von Ottingen, über akuten und chroni-
schen S.(Dorp. 1881); Morselli,Der S. Ein Kapitel
aus der Moralstatistik (Lpz. 1881); Masaryk, Der
S. als sociale Masscnerscheinung der Civilisation
sWien1881); Richter, Die Zunahme des S. in
Sachsen (Lpz. 1882); Ferri, I^'oinieiäio-Luiciäio
(2. Aufl., Tur. 1884); Oliver Smith in der "Zeit-
schriftfür die gesamte Strafrechtswissenschaft", Bd. 4
(Berl. 1884); Merkel, Lehrbuch des Deutschen Straf-
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