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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Serbische Litteratur

Königreich Serbien, deren Verhältnisse zum Konstantinopeler Patriarchat 1832 geregelt wurden. Jetzt giebt es drei autonome serb. Kirchen: 1) das Patriarchat von Karlowitz in Ungarn und Kroatien (die zwei Bischöfe von Dalmatien stehen unter dem Metropoliten der Bukowina); 2) die Kirche des Königreichs Serbien, mit einem Metropoliten in Belgrad und vier Bischöfen; 3) die Kirche in Montenegro, mit einem Metropoliten und einem Bischof. Die Bischöfe von Bosnien und Herzegowina stehen unter dem Patriarchen von Konstantinopel.

Serbische Litteratur. Die Serben (der östl. Teil der Serbo-Kroaten, s. Serbische Sprache) haben eine besondere litterar. Entwicklung, deren Erzeugnisse sich auch äußerlich von denen der kroatischen (s. Kroatische Sprache und Kroatische Litteratur) durch Anwendung der Cyrillischen Schrift unterscheiden. Während die Kroaten, der röm.-kath. Kirche angehörend und politisch an westeurop. Länder angelehnt oder deren Einflüssen unterliegend, Bildung und litterar. Anregung von daher bekamen, standen die Serben, der griech.-orient. Kirche zugehörig, in diesen Beziehungen unter der Einwirkung des byzant. Mittelalters. Sie erhielten mit der Annahme der slaw. Liturgie (s. Cyrillus und Kirchenslawisch) zugleich deren Sprache, das Altbulgarische oder Altslowenische, als Litteratursprache, die sie seit dem 12. Jahrh. durch Aufnahme von Eigentümlichkeiten ihres eigenen Dialekts zu einer besondern Form (Kirchenslawisch serb. Recension) umbildeten. Die Litteratur bestand zum größten Teil aus Abschriften serb. Recension der schon altbulgarisch vorhandenen biblischen und liturgischen Bücher, Homilien, Legenden, Nomokanones, Klosterregeln u. s. w., zum Teil aber auch aus solchen Werken, die von Serben selbst verfaßt oder selbständig aus dem Griechischen übersetzt sind. Eine weltliche Litteratur fand daneben keinen rechten Boden. Ein Ansatz dazu sind die Lebensbeschreibungen serb. Könige und Erzbischöfe. Der heil. Sava wie sein Bruder, König Stephan der Erstgekrönte, verfaßten Biographien ihres Vaters Stephan Nemanjas (hg. von Šafařik, Památky, Prag 1851; 2. Aufl. 1873), Domentian, ein Schüler Savas, dessen Leben wie das des heil. Simeon (d. h. Stephan Nemanja; hg. von Daničić, "Život sv. Simeuna i sv. Save", Belgr. 1865); Erzbischof Daniel (gest. 1338) schrieb "Lebensbeschreibungen serb. Könige und Erzbischöfe" (hg. von Daničić, "Životi kraljeva i arhiepiskopa srpskih", Agram 1866). Aber auch diese Werke sind durchaus kirchlich-panegyrischer Natur, nicht Geschichtswerke. An solchen giebt es, abgesehen von einigen Übersetzungen byzant. Chronographen, die Geschichte des Fürsten Stephan Lazarević (1389-1427) von Konstantin dem Philosophen und wichtige, kurzgefaßte Annalen von 1139 mit Fortsetzungen bis ins 18. Jahrh. Volkstümlicher waren mancherlei populär-religiöse, apokryphische und legendarische Stoffe. Auch finden sich rein weltliche Erzählungen der mittelalterlichen Litteratur, der Alexanderroman, die Erzählung vom Trojanischen Krieg, Stephanit und Ichnelat u. a.

Die weitere Entwicklung wurde durch die türk. Eroberung der serb. Länder im 15. Jahrh. unterbrochen; einige kirchliche Werke, einige Chroniken (die bekannteste ist die des Prätendenten Georg Branković, verfaßt Ende des 17. Jahrh.) und andere bilden die Anzeichen eines noch bestehenden dürftigen Lebens der Litteratur. Der erste Anfang einer Wiederbelebung hängt mit den Erfolgen Österreichs gegen die Türkei am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrh. zusammen. Ein bedeutender Teil der Serben kam unter österr. Herrschaft und dadurch mit westeurop. Leben und moderner Bildung in Berührung; sie begannen Schulen zu gründen, zum Teil unter Berufung russ. Lehrer. Auch erschienen wieder reichlicher Bücher, doch waren sie weder ihrem Inhalt noch ihrer Sprache nach volkstümlich, da die alte kirchenslaw. Sprache nicht in ihrer serbischen, sondern in ihrer dem Volke noch weniger verständlichen russ. Form, die für älter und echter galt, angewendet wurde. Von Bedeutung ist aus dieser "slaw.-serb." Litteratur nur Jovan Rajić’ "Geschichte der slaw. Völker, besonders der Bulgaren, Kroaten und Serben" (verfaßt 1768; zuletzt 4 Bde., Ofen 1823), weil sie nationale Erinnerungen weckte. Eine gründlichere Reform ward von Dositheus Obradović (s. d.) in Angriff genommen und von Vuk Stefanović Karadžić (s. d.) und Daničić (s. d.) siegreich zu Ende geführt. Es wurde nämlich nicht ohne lange Kämpfe die Annahme der eigentlichen serb. Volkssprache als Litteratursprache durchgesetzt. Zugleich trat mit der Befreiung Serbiens von der Türkei seit 1804 die Möglichkeit ein, an der Bildung des Volks mit Erfolg zu arbeiten. Der erste moderne Dichter war Lucian Mušicki (1777-1837), dessen Pseudoklassicismus sich indessen durch seine altertümliche Sprache spätern Generationen bald entfremdete. Einen volkstümlichern Ton traf Sima Milutinović, der in seiner "Srbijanka" (Lpz. 1826) den serb. Freiheitskrieg besang. Von Dichtern aus dieser Periode sind noch zu nennen die Lyriker und Dramatiker J. St.^[Jovan Sterija] Popović (1806-56) und J.^[Jovan] Subotić (1817-86), als Romanschreiber Milovan Vidaković (1780-1841). Zeitschriften erschienen seit 1792, zuerst in Wien. Ihre Zahl nahm bald bedeutend zu; wichtig wurde namentlich der noch bestehende "Letopis srbski" (seit 1825). - Der eigentliche poet. Schatz des Volks waren und blieben seine Volkslieder (pjesme). Die lyrischen enthalten die allen Völkern bekannten Stoffe. Charakteristisch national sind die epischen Dichtungen, gesungen in Begleitung eines Streichinstruments, des Gusle, meist von berufsmäßigen Sängern (Slijepci, "Blinde"). Neben Stoffen aus der Geschichte der Nemanjiden und der spätern serb. Dynastien (Branković, Crnojević u. a.) schließt sich der wichtigste Cyklus an die Schlacht auf dem Amselfelde. Diese epische Dichtung besingt dann die Kämpfe mit den Türken (besonders in Montenegro) bis in die neueste Zeit. Die von Bogišić ("Narodne psesme iz starijih zapisa", I, Belgr. 1878) aus Aufzeichnungen des 16. bis 18. Jahrh. herausgegebenen Texte haben gewöhnlich 15-16silbige Verszeilen, die neuern und gegenwärtigen eine 10silbige. Die wichtigste Sammlung serb. Volkslieder der Gegenwart ist die von Karadžić (s. d.), der auch andere Schätze der Volkslitteratur gesammelt hat; nach ihm sind aus allen Gebieten des Serbenvolks Sammlungen von Volksliedern, Märchen u. a. erschienen.

Seit ungefähr der Mitte des 19. Jahrh. gewinnt die Poesie in den Stoffen und im Ton mehr wirkliches nationales Leben, namentlich durch zwei Dichter, Peter Petrović Njegoš und den Lyriker Branko Radičević. Unter den neuesten Dichtern ragt der noch lebende Jovan Jovanović (bekannt unter dem Pseudonym Zmaj) durch seine lyrischen Gedichte und seine trefflichen Übersetzungen hervor; weniger bedeutend sind Gjuro Jakšić und Vojislav Ilić. Von den Erzählern verdienen am meisten ge-^[folgende Seite]