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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Spanische Litteratur

an eine einzelne Klasse der Bevölkerung. Die portugiesische, der provençalischen entstammende Hofdichtung war seit Alfons X. vereinzelt auch in Castilien gepflegt worden, aber stets in der fremden Sprache, so unter Pedro I. von dem sagenberühmten Macias, zahlreicher unter Enrique II., vereinzelt bis unter Enrique III. Unter Juan I., seit 1379, tritt die castilische Sprache an die Stelle der fremden, und damit entfaltete sich zugleich eine erstaunliche Produktivität, die sich in den Sammlungen der Cancioneros (s. d.) nur bruchstückweise spiegelt. Ihr Charakter ist wesentlich der gleiche: Gesellschaftsdichtung mit konventioneller Empfindung, affektiertem Liebesleid, Glossen, spitzfindige Fragen und Antworten, Schimpfgedichte, in künstlicher Mannigfaltigkeit der Strophe, des Reims und Refrains, für ernstere Gegenstände anstatt der alten Cuaderna via die anspruchsvoll rasselnde Form der Arte mayor. Volkstümlicher bleiben nur die schon von Juan Ruiz gepflegten religiösen Lieder und Serranillas (Pastorellen). Bald nach 1400 führte dann ein Sevillaner genuesischer Abstammung, Francisco Imperial, die sehr äußerlich Dante nacheifernde Allegorie ein, mit außerordentlichem Erfolg; Moral, Liebe, Trauer, Politik kleideten sich in das Gewand der Vision; wer sie pflegte, durfte sich poeta nennen. Auf die ältesten Trovadores, wie Lopez de Ayala, Pero Ferrus, Villasandino, folgen Hunderte und aber Hunderte von Namen: die Höfe von Castilien und Aragon bilden die großen, die Häuser des Hochadels kleinere Centren, neben den galanes de la corte beteiligen sich Geistliche, Mönche, niederster Adel, Schmarotzer aller Art, die oft genug die Kosten der Unterhaltung tragen müssen. Den meist geringen poetischen, jedoch nicht unbedeutenden kulturhistor. Wert zeigt am besten der Cancionero de Baena in dem bunten Treiben am Hofe Juans II. (Vgl. Puymaigre, La Cour littéraire de Don Juan II, 2 Bde., Par. 1873.) Auf der Höhe der Bewegung treten zwei Persönlichkeiten besonders hervor, der Marques de Santillana und Juan de Mena. Jener, der gebildetste Mann seiner Zeit, ist graziös natürlich in seinen leichten Serranillas, gehaltvoll in mehrern seiner größern Dichtungen, der erste Spanier, der den poet. Dialog ausgebildet und, wenn auch ohne Nachwirkung, das ital. Sonett und Horaz nachgeahmt hat; Mena, von Dante und Lucan bestimmt, gelehrt und überladen, verfolgt hochgesteckte Ziele mit verkehrten Mitteln. Unter den jüngern sind die namhaftesten zwei Verwandte Santillanas, Gomez Manrique ("Cancionero de G. M.", 2 Bde., Madr. 1885), der über den zierlichen wie den ernsten Ton verfügt, und der formreine Jorge Manrique. Während der aragonesische Hof die Schule nach Neapel verpflanzte, übernahmen auch die Portugiesen die Modedichtung zurück in etwas veränderten Formen zugleich mit der castilischen Sprache. Außerhalb der Hauptrichtungen stehen des Fernan Perez de Guzman gesund histor. "Loores de los Claros Varones de Castilla", seine, Santillanas und anderer Spruchdichtung, einzelne didaktisch-populäre Dichtungen mit Motiven der ältern Zeit, wie die anonyme "Danza de la muerte", zum Teil auch die polit. Satire, die seit Juan II. gehässig aufwächst. In vollem Gegensatz aber zu den Interessen des Hofes blühte in den niedern Schichten die Romanzendichtung; ihrem Ton verstand sich Rodriguez del Padron (um 1440) überraschend glücklich anzupassen (vgl. Zeitschrift für roman. Philologie, XVII, 544), und trotz der Verachtung Santillanas für diese Gattung war ihre Beliebtheit so stark, daß sie eine Anzahl der spätern Dichter höfisch travestierte oder glossierte. Mit der Hofpoesie berühren sich die Anfänge des Dramas.

Bedeutender als die Lyrik der vornehmen Kreise ist ihre Geschichtschreibung. Lopez de Ayalas "Cronica de Don Pedro I" verbindet mit den äußerlichen Darstellungskünsten des Livius vertiefte Anschauung und abgestufte Sprache, und die Porträte, die Perez de Guzman in seinen "Generaciones y semblanças" zeichnet, sind nach Form und Gehalt meisterhaft. Neben den Reichschroniken, unter welchen die von Juan II. noch besonders hervorzuheben ist, stehen die Geschichten einzelner Persönlichkeiten und Ereignisse und vergegenwärtigen eine glänzende, ziellose, adelsherrliche Kraftfülle, wie die "Cronica" von Don Alvaro de Luna, von Pero Niño, der "Passo honroso" des Suero de Quiñones. Das Bildungsbedürfnis der höhern Schichten bethätigt sich in einer großen Anzahl von Übersetzungen: Seneca, Livius, Sallust, Virgil, Ovid, Lucan, Dante, die lat. Werke Boccaccios und Petrarcas und vieles andere, zum Teil nach ital. Zwischengliedern, in der Auswahl noch teilweise mittelalterlich gerichtet. Als Übersetzer oder Auftraggeber stehen die ersten Namen der Zeit voran, Ayala, Santillana, der Großmeister Heredia, der Bischof Alonso de Cartagena, der unglückliche Prinz Carlos de Viana. Dabei entwickelte sich, ähnlich wie in Frankreich, eine unerfreuliche Neigung zu Fremdwörtern und latinistischer Wortstellung, welche noch so ausgezeichnete Schöpfungen wie die "Celestina" beherrscht, oft ganz unerträglich wirkt, wie in der "Arte Cisoria" (Madr. 1879) und den "Trabajos de Hercules" des unrechtmäßig berühmten Enrique de Villena. Der "Amadis" fand in dieser Zeit, soweit wir wissen, keine Nachfolge, wohl aber stammen sicher noch daraus manche der populär gehaltenen Rittergeschichten (Volksbücher), die das folgende Jahrhundert druckte, zum Teil in Italien umgestaltete franz. Stoffe. Eigene Versuche in der Novelle, höfisch, empfindsam, doch nicht ohne Reiz, schließen sich an Boccaccios "Fiametta" an, so des Rodriguez del Padron "Siervo libre de Amor" ("Obras de R. d. P.", Madr. 1884) und des Diego de San Pedro "Cárcel de Amor". Auch philosophische, moralische und selbst technische Themata werden allegorisch oder novellistisch eingekleidet, so in der "Vision delectable" des Alfonso de la Torre, in Juan de Lucenas "Vita Beata", in Juan de Flores' "Grisel y Mirabella". Die originellste Behandlung aber erfuhr ein oft erörtertes Thema unter Don Juan II. in dem Buch des Erzpriesters von Talavera, Alfonso Martinez, "De los vicios de las malas mujeres", dessen ergötzliche Satire das Bindeglied zwischen dem Erzpriester von Hita und der "Celestina" darstellt. Die früher viel genannte Briefsammlung des angeblichen Cibdareal ist eine Fälschung des 17. Jahrh.; wie diese Stilart beschaffen war, zeigen einerseits die Einlagen des Tristan und Amadis, andererseits die kleine Sammlung des Chronisten Fernando del Pulgar. - Über die ganze Zeit vgl. Amador de los Rios, Historia critica de la literatura española, Bd. 4-7, und Menendez y Pelayo, Antologia de poetas liricos castellanos, Bd. 2-5.

Als dritte Periode ist die Hochblüte der castilischen Litteratur im 16. und 17. Jahrh. anzusetzen,