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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Sprachverein; Sprachvergleichung; Sprachverwandtschaft; Sprachwissenschaft

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Sprachverein - Sprachwissenschaft

und vermehrt wird. Freilich liegt hier die Gefahr nahe, daß infolge mangels eines übersichtlichen, auch für die Schüler leicht erkennbaren Plans sowie infolge der Zerstückelung und Buntheit des Stoffs, die auch in den besten Lehrbüchern meist nicht vermieden sind, die Klarheit und Gründlichkeit beeinträchtigt werden; auch giebt vielfach (z. B. bei Ahn) der Inhalt der Muster- und Übungssätze gegründeten Anlaß zu Ausstellungen. Diese Methode ist auf den Rektor Seidenstücker zu Soest (gest. 1817) zurückzuführen; sie ist dann namentlich durch die Ahnschen Lehrbücher außerordentlich verbreitet worden und hat besonders in Plötz einen geschickten Bearbeiter für die höhern Schulen gefunden. In neuerer Zeit hat sich eine Strömung geltend gemacht, die den Sprachstoff mehr nach gewissen Anschauungskreisen gruppieren (Lehmann, Bohm), zusammenhängenden Text in den Mittelpunkt stellen (Kühn, Trautmann, Bierbaum), die freie Konversation im Anschluß daran reichlich geübt (Otto, Sauer), den grammatischen Stoff auf das notwendigste beschränkt wissen will und eine systematische Behandlung der Lautlehre verlangt (Vietor, Trautmann).

Im Kampfe gegen die Einseitigkeit der synthetischen Methode hat dieser analytische oder direkte S. einen stark polemischen Ton anschlagen müssen, der wohl hier und da über das Ziel hinausschoß; jetzt hat er entschieden das Feld erobert und entweder eine Umgestaltung der bisher gebräuchlichsten Lehrbücher (z. B. der von Plötz) herbeigeführt, oder auf Grund seiner Lehrpläne einen naturgemäßern, von Anschauung belebten und von Anfang an den mündlichen Gebrauch der Fremdsprache pflegenden Weg eingeschlagen, der gerade jetzt eine fast überreiche Produktion von Lehrmitteln hervorgerufen hat.

Als für den Selbst- und Privatunterricht bestimmt sind unter den hierher gehörigen Sprach- und Lehrbüchern noch die nach der Ollendorfschen Methode zu erwähnen. Ihre Eigentümlichkeit besteht darin, daß in jeder Lektion zuerst eine Anzahl Wörter und Sätze fremdsprachlich und deutsch vorgeführt werden, danach die darin veranschaulichte Regel in einer "Bemerkung" präcis formuliert und endlich in einer Anzahl von Aufgaben, die in Übersetzung deutscher Sätze, Fragen, Geschichten u. s. w. in die fremde Sprache bestehen, reichlicher Stoff zur Übung geboten wird. Am Schlusse ist eine Übersicht über die wichtigsten Teile der Grammatik, besonders der Formenlehre, und ein analytisches Inhaltsverzeichnis beigegeben. Durch besondere Rücksichtnahme auf die Konversation zeichnen sich die von Booch-Arkossy in Leipzig herausgegebenen Lehrbücher sowie die "Konversations-Grammatiken" von Gaspey, Otto und Sauer aus.

Sprachverein, Allgemeiner Deutscher, s. Deutscher Sprachverein.

Sprachvergleichung, s. Sprachwissenschaft.

Sprachverwandtschaft, s. Sprachstamm.

Sprachwissenschaft, Linguistik, Glottik, hat zur Aufgabe die Erforschung der menschlichen Sprache. In ihrem allgemeinen Teile, als Sprachphilosophie oder allgemeine S., hat sie die Natur der Kräfte zu untersuchen, die bei allen Sprachen thätig sind, und die Wirksamkeit dieser Kräfte nach Art und Umfang zu bestimmen. (S. Sprache.) In ihrem besondern Teile dagegen, als historische Grammatik, ist ihr Untersuchungsobjekt die geschichtliche Entwicklung der einzelnen Sprachstämme und Sprachen. Da die Gesetze der Sprachentwicklung eine große Ähnlichkeit mit den Naturgesetzen haben (s. Lautgesetze); da ferner die Sprache eines jeden Individuums als der Vertreter einer Art oder Gattung erscheint und die Mundarten, Sprachen, Sprachfamilien u. s. w. sich den Spielarten, Arten, Gattungen u. s. w. des Tierreichs vergleichen; da auch die Methode der S. mit der Methode der Naturwissenschaften Ähnlichkeiten hat, so rechneten einige Sprachforscher (Schleicher, Max Müller) die S. zu den Naturwissenschaften. Diese Ansicht ist aber heute mit Recht von allen Sprachforschern verworfen. Denn die Sprache ist ein Produkt der Geistesthätigkeit des Menschen, und wenn sie auch zum größten Teil durch unbewußtes Schaffen zu stande kommt, so bleibt sie darum doch unter allen Umständen ein Werk des Menschen. Ihre Erforschung gehört also in den Bereich der sogenannten histor. Wissenschaften. Am nächsten ist die S. der Philologie verwandt. Die Philologie hat die Kulturentwicklung (d. h. die geschichtliche Bethätigung des Geistes) der Völker zu erforschen und darzustellen. Die Sprache ist eine der verschiedenen Seiten des Kulturlebens (wie Glaube und Religion, Recht und Sitte, Kunst, Litteratur u. s. w.), und so erscheint die S. als ein Teil der philol. Wissenschaft. In der That hat sich auch in der neuern Zeit immer klarer herausgestellt, daß ein innerer, sachlicher Gegensatz zwischen "philologischer" und "linguistischer" Behandlung einer Sprache nicht besteht. Was als solcher angesehen wird, läuft lediglich auf eine aus Zweckmäßigkeitsgründen gebotene Arbeitsteilung hinaus.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache ist sehr alt. Unter den nicht-indogerman. Völkern sind als solche, die sich Sprachstudien schon früher zuwandten, hervorzuheben die Chinesen, die schon in vorchristl. Zeit Lexikographie trieben, die Assyrer, die durch die Eigentümlichkeit ihrer Schrift früh veranlaßt wurden, Wortsilbenverzeichnisse mit grammatischen Erläuterungen anzulegen. Unter den Völkern indogerman. Zunge leisteten die alten Inder bereits mehrere Jahrhunderte v. Chr. sehr Bedeutendes, und ihren sprachwissenschaftlichen Werken verdankt die europäische S. des 19. Jahrh. die wichtigsten Anregungen. Sie schufen eine exakte Lautlehre im Zusammenhang mit den feinsten lautphysiol. Beobachtungen, sie analysierten die Wortformen ihrer Sprache und erkannten dabei deren Zusammensetzung aus Wurzel, stammbildenden und Casus- bez. Personalsuffixen, begründeten die wissenschaftliche Etymologie und waren Meister in der deskriptiv-statist. Darstellung der Sprache. Ihr bedeutendster Grammatiker war Pânini (s. d.). Bei den Griechen fallen die. Anfänge der S. in die Zeit des Aufschwungs der philos. Studien. Sie bestimmten die sog. Redeteile und kamen dabei zu denselben Resultaten wie die Inder. Im übrigen blieben ihre Leistungen weit hinter denen der Inder zurück. Das Wichtigste ist, daß durch die Griechen eine sprachwissenschaftliche Terminologie geschaffen wurde, die sich bei allen abendländ. Kulturvölkern einbürgerte und deren sich, mit geringfügigen Linderungen, auch noch die heutige S. bedient. (S. Griechische Sprache.) Die römischen Grammatiker haben zur Weiterentwicklung der S. nur wenig beigetragen, da sie sich ziemlich sklavisch an die Griechen anschlossen. Sie übersetzten die griech. Kunstausdrücke in ihre Sprache, zum Teil ganz falsch, z. B. αίτιατιχή (aitiatike) durch accusativus, und dieser lat. Namen bedienen wir uns jetzt statt der griechischen. Im Mittelalter blie-^[folgende Seite]