Stanley (spr. stännlĕ), Henry Morton, eigentlich
James Rowland, Afrikareisender, geb. 28. Jan. 1841 bei Denbigh in Wales, Sohn des Farmers John Rowland, wurde
im Armenhaus bis zu seinem 13. Jahre erzogen, ging dann als Schiffsjunge nach Neuorleans, wo ihn ein Kaufmann Namens S. zu sich nahm, in den
Handelsgeschäften unterrichten ließ und schließlich adoptierte. Später diente S. als Freiwilliger in der Armee der Nordstaaten. Nach dem Friedensschluß
bereiste er als Zeitungskorrespondent die Türkei und Kleinasien und nahm 1867 als Berichterstatter für die Zeitung
«New York Herald» am Feldzuge der Engländer gegen Theodor von Abessinien teil. 1869 gab ihm der Eigentümer
jenes Blattes, Gordon Bennett jun., den Auftrag, den verschollenen Livingstone in Afrika aufzusuchen; zuvor sollte er der Einweihung des Sueskanals
beiwohnen, Ägypten bereisen, dann Konstantinopel, die Krim, das Kaspische Meer, Bagdad, Persien und Indien besuchen. Im Jan. 1871 kam S. in
Sansibar an. Nach längerm Aufenthalt an der Küste trat er mit einer sehr großen Eskorte von Eingeborenen die Reise nach dem Innern an, erreichte auf
unbetretener Route unter außerordentlichen Schwierigkeiten 3. Nov. Ujiji am Tanganikasee und fand hier Livingstone, der kurz zuvor aus Manjema
eingetroffen war. Im Dezember trat er mit Livingstone eine Reise um das nördl. Ende des Tanganika an. Am 18. Febr. 1872 erreichten die Reisenden
Unjanjembe, wo Livingstone blieb, um Mittel zur Fortsetzung seiner Forschungen zu erwarten, während S. zurückkehrte. Im Mai 1872 erreichte er wieder die
Küste. Über seine Reise, die etwa 10000 Pfd. St. gekostet hatte, berichtete er in der Aufsehen erregenden Schrift
«How I found Livingstone» (Lond. 1872; deutsch, 2 Bde., Lpz. 1879; 3. Aufl. 1891; auch in Reclams
«Universalbibliothek»); außer seinen eigenen Beobachtungen brachte er überaus wertvolle Berichte Livingstones über das von letzterm erforschte See- und
Flußsystem im Südwesten und Westen des Tanganika. 1873–74 wohnte S. dem brit. Feldzug gegen den König der Aschanti, Koffi Kalkalli, bei. Eine
Schilderung dieses Feldzugs findet sich in dem Buch «Coomassie and Magdala» (Lond. 1874).
Im J. 1874 vereinigten sich die Eigentümer des «New York Herald» und des Londoner
«Daily Telegraph», um auf gemeinschaftliche Kosten S. eine neue Afrikareise machen zu lassen. Im November verließ
er mit 300 Soldaten und Trägern Bagamojo und erreichte Febr. 1875 den Ukerewesee (Victoria-Njansa). Im Jan. 1876 zog er nach der Residenz des Königs
Mtesa von Uganda am Nordufer des Sees, der ihm 2000 Speerträger für eine Reise durch das feindliche Land Unjoro zum Albertsee, dem andern großen
Quellsee des Nils, zur Verfügung stellte. S. erreichte 11. Jan. einen mächtigen See, den er für eine große Bucht am südl. Albertsee hielt und Beatricebai
nannte; nach spätern Aufnahmen durch den ägypt. Oberst Mason-Bei und durch seine eigene ↔ Reise 1889 ist jedoch festgestellt worden,
daß S. nicht den Albertsee (Mwutan), sondern den Albert-Eduard-See fand. S. konnte ihn wegen Ungehorsams der Begleitung nicht befahren und kehrte
nach Uganda zurück. Von hier wandte er sich südwärts nach dem Lande Karagwe am Westufer des Ukerewe und versuchte vergebens, zum Albertsee
vorzudringen. Dagegen erforschte er den Fluß Kagera (auch Alexandranil genannt). Dann wandte sich S. zum Tanganikasee, den er ebenfalls (Juni und
Juli 1876) vollständig umfuhr und dessen Karte er verbesserte. Den von Cameron entdeckten Ausfluß des Tanganika nach Westen, den Lukuga, hielt S. für
einen verschlammten Zufluß des Sees. Auf seiner weitern westwärts gerichteten Reise gelangte S. zunächst nach Njangwe in Manjema, brachte hier seine
sehr zusammengeschmolzene Begleitung wieder auf 210 Mann, schiffte sich dann 5. Nov. 1876 auf dem Lualaba ein und langte nach einer gefahrvollen
Stromfahrt, zahlreiche Katarakte und Schnellen überwindend, und unter aufreibenden Kämpfen mit den Eingeborenen 8. Aug. 1877 in Boma am untern
Kongo an, so die Identität des Lualaba mit dem Kongo feststellend. Dadurch wurden über 5000 km Wasserstraßen, schiffbar bis in das Innerste von Afrika,
dem Verkehr erschlossen, welche nur durch einige größere Strecken von Katarakten und Stromschnellen unterbrochen werden. Schon vier Monate nach
seiner Rückkehr veröffentlichte S. ein Werk über diese Reise u.d.T. «Through the dark Continent» (Lond. 1878;
deutsch von Böttger, 2 Bde., Lpz. 1878; 3. Aufl. 1891).
Als 1878 unter den Auspizien des Königs Leopold II. von Belgien das Comité d'etudes du Haut Congo gegründet war,
welches es sich zur Aufgabe stellte, die Möglichkeit des Handelsverkehrs mit Centralafrika nachzuweisen und dauernde Niederlassungen längs des Kongo
zu errichten, wurde S. mit der Leitung einer Expedition betraut. Am 3. Dez. 1881 hatte die Expedition mit dem ersten Dampfer den Stanley Pool erreicht,
nachdem längs des untern Kongo seit 1879 ein Transportweg mühselig angelegt und eine Reihe von Stationen errichtet und umfangreiche Strecken Landes
angekauft worden waren. S. gründete dann an der Mündung des Kwa (Kassai) die Station Kwamouth, fuhr den Kwa aufwärts und entdeckte einen ungefähr
2000 qkm großen See, dem er den Namen Leopolds II. gab. Seit Nov. 1882, während des J. 1883 und der ersten Hälfte von 1884 wieder am Kongo thätig,
errichtete er Stationen im Thal des Kuilu, erwarb neue Landstrecken und begründete Niederlassungen bis zu den Stanleyfällen. Im Aug. 1884 nach Europa
zurückgekehrt, nahm er als technischer Kommissar des amerik. Bevollmächtigten an der in Berlin tagenden Westafrikanischen Konferenz teil. Die Gründung
des Kongostaates schilderte S. in dem Werke «The Congo and the founding of its free state« (deutsch von H. von
Wobeser, 2 Bde., Lpz. 1885; 2. Aufl. 1887).
Ende 1886 übernahm S. die Organisation einer auf Kosten der ägypt. Regierung und einiger engl. Privatleute auszurüstenden Expedition angeblich zum
Entsatz Emin Paschas. Im Jan. 1887 verließ S. England, warb in Sansibar Eingeborene für die Expedition an und traf 18. März am Kongo ein. Seine
Begleitung bestand aus 9 Europäern, 620 Sansibarleuten und 407 Trägern aus Manjema, welche ihm der arab. Sklaven- und Elfenbeinhändler Tippo-Tip
stellte. Am 30. April dampfte die Expedition von
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 253.