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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Stein (Heinr. Friedr. Karl, Freiherr vom)

gestellt wurde. 1782 zum Bergrat ernannt, wurde er 1784 mit der Leitung der Bergwerke, bald auch der Fabriken in Westfalen beauftragt. Ein Jahr später erhielt er eine diplomat. Mission nach Mainz, um den Kurfürsten für den Anschluß an den Fürstenbund zu gewinnen, was ihm auch gelang. Nach der Rückkehr von einem längern Aufenthalt in England 1788 zum Kammerdirektor, 1793 zum Präsidenten der Kriegs- und Domänenkammern der Grafschaft Mark und des Herzogtums Cleve und 1796 zum Oberpräsidenten sämtlicher westfäl. Kammern mit dem Wohnsitz in Minden ernannt, erwarb er sich in dieser Stellung außerordentliche Verdienste um die Verwaltung und Landeskultur Westfalens: Wege und Wasserstraßen wurden angelegt, die Ruhr schiffbar gemacht, der Kohlenbau verbessert, das Steuer- und Accisewesen neu geregelt, Handel und Gewerbe gehoben. Nach dem 1802 mit Frankreich abgeschlossenen Vertrage über die preuß. Entschädigungen fiel S. die schwierige Aufgabe zu, die neu erworbenen katholischen westfäl. Länder, Münster und Paderborn, dem preuß. Staate anzugliedern. Durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) verlor S. auch seine eigenen reichsfreien Besitzungen an der Lahn, die von dem Herzog von Nassau eingezogen wurden. Im Okt. 1804 wurde S. zum Chef des Accise-, Zoll-, Fabriken- und Kommerziendepartements des Generaldirektoriums ernannt und mit der Leitung der Bank und Seehandlung beauftragt. Er reformierte das Salzwesen, setzte die Aufhebung aller binnenländischen Zölle durch, richtete das Statistische Bureau ein und verbesserte die Accisetarife in Ost- und Westpreußen. Bedeutungsvoller noch wurde sein Eingreifen in die allgemeinen Staatsangelegenheiten. Unzufrieden mit den Schwankungen der preuß. Politik 1805 und 1806, bekämpfte er in einer Denkschrift die bestehende Kabinettsregierung und deren Träger, namentlich Haugwitz und Lombard, und empfahl unmittelbare Verbindung des Königs mit den obersten Staatsbehörden (Mai 1806). Einige Monate später (September) beteiligte er sich an der von Joh. von Müller verfaßten, von den königl. Prinzen, sowie von Rüchel und Phull unterzeichneten Eingabe, in der König Friedrich Wilhelm zur Entlassung seiner Ratgeber aufgefordert wurde. Nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt rettete S. die Staatskassen aus Berlin; hierdurch allein ward die Fortsetzung des Krieges in Ostpreußen ermöglicht. Im Rate des Königs sprach sich S. entschieden gegen alle Unterhandlungen mit Napoleon aus. Friedrich Wilhelm wünschte ihn an die Spitze des auswärtigen Ministeriums zu stellen; doch da S. als Vorbedingung die Aufhebung des Kabinetts und die Entfernung des Kabinettsrats Beyme forderte, so erhielt er Anfang Jan. 1807 in ungnädigster Weise den Abschied. Er zog sich nach Nassau zurück und entwarf hier Juni 1807 die Denkschrift "über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-Finanz- und Polizeibehörden in der preuß. Monarchie", deren Grundgedanke die Einführung der Selbstverwaltung bildet. Als nach dem Frieden von Tilsit Hardenberg (s. d.) aus seinem Amte als leitender Minister scheiden mußte, riet er dem König, S. zu seinem Nachfolger zu ernennen. Dieser nahm ohne Zögern den Ruf an, kam 30. Sept. 1807 nach Memel und wurde nun mit der Leitung der gesamten Civilverwaltung des Staates betraut.

In Westfalen, dem alten Lande der Bauernfreiheit, hatte sich S. eine eigene Ansicht von dem Wesen polit. Freiheit gebildet. Im Gegensatz zu der mechan. Staatsauffassung des 18. Jahrh. sah er im Staate einen von sittlichen Kräften bewegten und hohen sittlichen Zwecken dienenden Organismus, der zur rechten Entfaltung seiner Kraft nur gelangen kann, wenn alle Klassen der Bevölkerung an der Arbeit und an den Opfern für den Staat teilnehmen. Daher wollte er die staatliche Bevormundung, die ausschließliche Beamtenherrschaft ersetzt wissen durch freiwillige Mitarbeit der besitzenden Bevölkerung, durch die Selbstverwaltung der Gemeinden und Städte, der Kreise und Provinzen und durch die Teilnahme des Volks an der Gesetzgebung des Staates. Die verloren gegangene Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft sollte wiederhergestellt werden und zwar durch die Schaffung eines freien Staatsbürgertums und Einführung ausgedehntester Selbstverwaltung innerhalb der neu zu organisierenden und fest zu konzentrierenden Staatsverwaltung. Zugleich trat S. den kosmopolit. Ideen des 18. Jahrh. und der Französischen Revolution durch eine ausgeprägt nationale Auffassung des Staatslebens entgegen. Allerdings ist unter S.s Ministerium nur ein Teil seiner Pläne verwirklicht worden; hauptsächlich die Befreiung des Landvolks von der Hörigkeit, die Selbstverwaltung der Städte, die Organisation der obersten und Provinzialbehörden (s. Preußen, Geschichte) konnten in der kurzen Zeit seiner Amtsverwaltung in Angriff genommen werden. Das Edikt vom 9. Okt. 1807, betreffend "den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner", beseitigte die Erbunterthänigkeit der noch zum größten Teil unfreien Bauern und hob die Frondienste auf; es vernichtete zugleich die ständische Gliederung des Fridericianischen Staates und ermöglichte den freien wirtschaftlichen Verkehr zwischen den drei Ständen, indem fortan Bürger und Bauern Rittergüter erwerben durften, ein Recht, das bisher allein dem Adel zugestanden hatte. Ein zweites Edikt vom 28. Okt. 1807 beseigte die Erbunterthänigkeit auf sämtlichen preuß. Domänen. Die im Anschluß an die Grundsätze der Nassauer Denkschrift ausgearbeitete Städteordnung vom 19. Nov. 1808, deren Grundlagen trotz mancher Änderungen noch heute in Kraft sind, gab den Städten die Verwaltung ihres Vermögens und ihrer sonstigen Angelegenheiten, Wahl der Magistrate und Teilnahme der Bürger an der Verwaltung durch selbstgewählte Vertreter. Durch die unter dem 24. Nov. 1808 vom König genehmigte, aber nicht publizierte Verordnung über "die veränderte Verfassung der obersten Verwaltungsbehörden in der preuß. Monarchie" wurden das Generaldirektorium, das Kabinettsministerium (das bisherige Auswärtige Amt) und das Justizdepartement aufgehoben und statt deren ein Staatsrat und fünf Fachministerien für Auswärtiges, Inneres, Finanzen, Justiz und Krieg eingesetzt. Bei den Provinzialbehörden wollte S. die frühern Kriegs- und Domänenkammern (s. d.) als "Regierungen" unter den Oberpräsidien fortbestehen lassen. Von andern Reformen sind zu erwähnen: Verbesserung der Zünfte, Hebung der Erziehung in christlich-deutschem Geiste, Vorbereitungen für die Errichtung einer neuen Universität u. a. Auch für die Durchführung der Militärreform war S.s Mitwirkung von Bedeutung. Als Krönung des ganzen Reformwerkes dachte er sich die Einführung von Reichsständen, so daß er nach Rankes Worten mit Recht als "der in-^[folgende Seite]