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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Stein (Heinr. Friedr. Karl, Freiherr vom)

tellektuelle Urheber des Repräsentativsystems in Preußen" gelten kann. Wenn bei dieser ganzen unter S.s Namen gehenden Reformgesetzgebung nur ein Teil von ihm selbst veranlaßt oder unmittelbar bearbeitet ist, so muß um so stärker betont werden, daß die Durchführung des ganzen Reformwerkes nur durch S.s Ansehen, Thatkraft und Entschlossenheit ermöglicht wurde, wie denn nach seinem Rücktritt sogleich eine völlige Stockung eintrat. Überdies wurde S. noch durch die Sorge für die Herstellung der preuß. Finanzen und die Aufbringung der Kontributionen an Frankreich, über die er selbst in Berlin mit Daru längere Zeit verhandeln mußte, vielfach in Anspruch genommen. Bei diesem ganzen unermüdlichen Wirken blieb S.s Hauptziel immer die Befreiung Preußens und Deutschlands von der franz. Fremdherrschaft. Schon 1808, als Österreich sich infolge der span. Ereignisse zu einem neuen Kriege mit Napoleon rüstete, glaubte S. die Zeit zu einer Erhebung gekommen und knüpfte mit Österreich wie mit England geheime Verhandlungen an. In diesen Zusammenhang gehört das Schreiben S.s an Wittgenstein vom 15. Aug. 1808, worin von der Verbindung mit den Unzufriedenen in Hessen und Westfalen die Rede war, das den Franzosen in die Hände fiel und 8. Sept. unter den heftigsten Ausfällen gegen S. im "Moniteur" veröffentlicht wurde. S. bat sofort um seine Entlassung, die der König ihm erst infolge wiederholter franz. Drohungen 24. Nov. 1808 erteilte. An demselben Tage erließ S. an seine Mitarbeiter ein Rundschreiben, ein Reformprogramm, das als "S.s Testament" bekannt ist, jedoch mehr die Gesinnungen seines Verfassers Schön (s. d.) wiedergiebt. Nach kurzem Aufenthalt in Berlin, wo er Nachricht von der Achtserklärung Napoleons (Madrid, 16. Dez. 1808) gegen "le nommé S." erhielt, ging er nach Prag, dann nach Brünn, bis ihm Metternich 1810 wieder in Prag zu leben gestattete. Dem Fortgang der Dinge in Preußen widmete er nach wie vor die größte Aufmerksamkeit und Teilnahme; mit Hardenberg, der 1810 als Staatskanzler S.s Reformwerk wieder aufnahm, hatte er in Hermsdorf (Schlesien) eine geheime Zusammenkunft. Als der Krieg zwischen Rußland und Frankreich ausbrach, ging S. auf Einladung des Kaisers Alexander nach Wilna (Juni 1812). Während des Feldzugs stand er dem Zaren ermutigend zur Seite; ein deutsches Komitee wurde errichtet, dessen Seele er selbst wurde, ein Aufruf an die deutschen Truppen erlassen, die Bildung einer deutschen Legion eingeleitet und durch E. M. Arndt u. a. Verbindungen angeknüpft, um eine Erhebung in Deutschland vorzubereiten. Nach dem Abschluß der Konvention von Tauroggen erhielt S. von Alexander Vollmacht, mit Yorck und den preuß. Behörden zu verhandeln, um "die Kriegs- und Geldmittel zur Unterstützung der Unternehmungen gegen die franz. Heere in Thätigkeit zu setzen". Am 22. Jan. 1813 in Königsberg angelangt, ließ er durch den Landhofmeister Auerswald den Landtag für Ostpreußen einberufen, hob die Kontinentalsperre auf, öffnete die Häfen, sorgte für Verpflegung der Yorckschen Truppen und gab unter manchen Streitigkeiten und Schwierigkeiten den ersten Anstoß zur Erhebung Preußens. Ebenso unterstützte er den Abschluß der Allianz zwischen Preußen und Rußland (Breslau-Kalisch, Febr. 1813). In der Umgebung des Zaren machte S. den Befreiungskrieg mit. Er trat an die Spitze des nach einer preuß.-russ. Konvention vom 19. März errichteten Centralverwaltungsrats für die zu erobernden deutschen Gebiete, dem hauptsächlich die Aufbringung von Geldmitteln für die Bewaffnung und Verpflegung der verbündeten Heere oblag. Nach der Schlacht von Leipzig wurde durch einen Vertrag zwischen Preußen, Rußland und Österreich diese Verwaltung in der Weise neu organisiert, daß unter S.s Oberleitung Generalgouvernements zunächst für Sachsen, dann für Frankfurt und Berg gebildet wurden. S. vereinigte mit der Verwaltung der eroberten deutschen Länder, bald auch der franz. und belg. Gebiete links vom Rhein, die Sorge für Lieferungen und Kriegssteuern, Verpflegung, Bewaffnung und Lazarettwesen der verbündeten Heere. Er leistete Bedeutendes in dieser Stellung trotz der großen Schwierigkeiten, die ihm die Rheinbundsfürsten und Metternich dabei in den Weg legten. Bei Kaiser Alexander wirkte S. für die nachdrückliche Fortsetzung des Krieges bis zum Sturze Napoleons, doch gelang es ihm nicht, in Paris bei den Friedensverhandlungen die Abtretung Straßburgs, die Auferlegung einer Kriegskontribution und die vertragsmäßige Festsetzung der preuß. Entschädigungen durchzusetzen. Auf dem Wiener Kongreß, an dem er ohne amtliche Vollmacht, als Vertrauensmann Kaiser Alexanders und Freund der preuß. Vertreter teilnahm, befürwortete er vergeblich die Vereinigung ganz Sachsens mit Preußen. Für Deutschland wünschte er nach seinen eigenen Worten "ein Bundeshaupt, das sich nicht auf papierne Verträge, sondern auf Geld, Soldaten und jede Art des Regierungseinflusses stützen sollte"; dabei aber erstrebte er zugleich die Wiederherstellung des Kaisertums im Hause Habsburg. Der Deutsche Bund mißfiel ihm in den wichtigsten Punkten. 1815 von Alexander und Hardenberg nach Paris berufen, wo er für eine erheblichere Schwächung Frankreichs eintrat, kehrte er unzufrieden im September nach Deutschland zurück, um sich fortan ganz der Bewirtschaftung seiner Güter in Nassau und in Westfalen, wo er die Domäne Kappenberg besaß, und seiner Familie zu widmen. Jede polit. Stellung ablehnend, beteiligte er sich nur seit 1826 regelmäßig an den Verhandlungen des westfäl. Provinziallandtags als Landtagsmarschall. 1818 ging er auf Einladung Alexanders zum Kongreß nach Aachen, 1820/21 unternahm er eine Reise nach der Schweiz und Italien, 1822 und 1828 nach Schlesien. Trotz seiner polit. Zurückhaltung nahm er dabei doch lebhaften Anteil an der Entwicklung der Dinge in Deutschland; als liberaler Aristokrat verfolgte er mit besonderm Interesse das junge Verfassungsleben in Baden und Württemberg, wie er auch die Einführung einer repräsentativen Verfassung in Preußen gern gesehen Hütte. Mit Genugthuung begrüßte er die Anfänge des Zollvereins und die Erhebung der Griechen, die er auch durch Geld unterstützte. Die meiste Befriedigung aber fand S. in der Förderung von Kunst und Wissenschaft. Er wirkte für die Restauration der Marienburg, die Erhaltung schöner kirchlicher Gebäude in den Rheinlanden, die Bildung eines rhein.-westfäl. Kunstvereins und gründete 1819 mit bedeutenden Geldopfern die "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde", von deren großer und epochemachender Veröffentlichung, den "Monumenta Germaniae historica" (s. d.), noch bei seinem Leben zwei Bände erschienen. Ebenso wirkte S., in dessen Charakter eine lautere Frömmigkeit den Grundzug bildete, segensreich und gemeinnützig im Sinne praktischer christl. Liebesthätigkeit. S. starb 29. Juni 1831 zu Kappenberg. Auf der