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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Strafprozeßstatistik; Strafrecht

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Strafprozeßstatistik - Strafrecht

am freiesten vor dem Einzelrichter. An die mit der Urteilverkündung schließende Hauptverhandlung der ersten Instanz kann sich, wenn die mit dem Urteil unzufriedenen Beteiligten ein Rechtsmittel einlegen, ein weiteres Verfahren in höherer Instanz anschließen. Dasselbe umfaßt entweder den ganzen Prozeßstoff (Appellation, Berufung) oder nur die Rechtsfrage (Nichtigkeitsbeschwerde, Revision). Letztere Beschränkung tritt insbesondere da ein, wo in erster Instanz Laien erkannt haben (s. Berufung). Ist gegen das verurteilende Erkenntnis kein Rechtsmittel eingelegt oder zulässig, so folgt der Strafvollzug (s. d.). In diesen Hauptzügen stimmen die Österr. Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 und die mit dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 am 1. Okt. 1879 ins Leben getretene Deutsche Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 überein. Während indes erstere neben strengerer Durchführung des Anklageprincips bei größerer Einheitlichkeit der Strafgerichtsverfassung ein gleichmäßigeres Rechtsmittelsystem hat, leidet die Deutsche Strafprozeßordnung vermöge der doppelten Gestalt der Laienbeteiligung (s. Schwurgericht und Schöffengericht) an einem verschieden ausgebildeten Rechtsmittelsystem: gegen Schöffenurteile Berufung und Revision, gegen Strafkammer- und Schwurgerichtsurteile nur Revision. Daran knüpfen sich fortdauernde Reformbestrebungen, welche teils nach Einführung der Berufung gegen Strafkammerurteile, teils nach Ersetzung der Schwurgerichte durch Schöffengerichte streben. Erstere sind der Verwirklichung näher. Die diesbezügliche Vorlage an den Reichstag, die auf eine Beschleunigung des S. abzielte, scheiterte im Dez. 1896 nur an der Frage der Richterzahl der Strafkammern in erster Instanz.

Litteratur, über den frühern gemein-deutschen S. vgl. Mittermaier, Deutsches Strafverfahren (2 Tle., Heidelb. 1840-45); über das Recht seit 1848: Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens (Gött. 1857); Zachariä, Handbuch des deutschen S. (2 Bde., ebd. 1861-68): über das deutsche Strafprozeßrecht seit 1877: von Holtzendorff, Handbuch des Strafprozeßrechts (2 Bde., Berl. 1877-79); Glaser, Handbuch des S. (Bd. 1 u. 2, Lpz. 1883 u. 1885); Geyer, Lehrbuch des gemeinen Strafprozeßrechts (ebd. 1880); Stenglein, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Stuttg. 1887); Hellweg, Der Reichsstrafprozeß (4. Aufl., Berl. 1890); John, Das deutsche Strafprozeßrecht in Holtzendorffs "Encyklopädie der Rechtswissenschaft)), Tl. 1 (5. Aufl. 1890); Binding, Grundriß des deutschen Strafprozeßrechts (3. Aufl., Lpz. 1892); Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Freib. i. Br. 1892); E. Ullmann, Lehrbuch des deutschen S. (Münch. 1893), und die Kommentare der Strafprozeßordnung, vornehmlich von Löwe (9. Aufl., Berl. 1897), Stenglein (3. Aufl., Münch. 1897) und John (Erlangen 1884 fg.); auf die Österr. Strafprozeßordnung von 1873: die Kommentare von Mayer (Wien 1878-84) und Riehl (ebd. 1884) und Ullmann, Lehrbuch des österr. Strafprozeßrechts (2. Aufl., Innsbr. 1882); Rulf, Österreichischer S. (2. Aufl., Lpz. 1888).

Strafprozeßstatistik, s. Kriminalstatistik.

Strafrecht, früher Kriminalrecht oder Peinliches Recht genannt, im objektiven Sinne der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, durch welche die Ausübung des staatlichen S. begrenzt und sein Bestand festgestellt wird; im subjektiven Sinne das Recht zu strafen. In letzterm Sinne kommt es an sich auch einzelnen Personen zu: dem Vater, Lehrer, Lehrherrn (Züchtigungsrecht), Beamten, der Geistlichkeit (Disciplinarstrafrecht). Aber wenn von S. ohne weiteres die Rede ist, so wird darunter das S. des Staates verstanden. Dies S. hat es, im Gegensatz zum bürgerlichen (Civil-)Recht, mit dem strafbaren Unrecht im Gegensatz zum Civilunrecht (s. Arglist und Delikt) zu thun. Der Gesetzgeber kann nicht jedes Unrecht strafen; Strafe tritt nur da ein, wo der Zwang des Civilgesetzes zur Niederhaltung des Unrechts nicht ausreicht. Die Grenzen des S. sind keine absoluten; sie sind andere bei andern Kulturverhältnissen und Volksanschauungen.

Die Untersuchung der Frage, woher dem Staate das Recht kommt, über seine Angehörigen bei gewissen Handlungen Strafen in Form von empfindlichen Übeln zu verhängen, hat zu der Aufstellung von sog. Strafrechtstheorien (s. d.) geführt. Ein staatliches S. existiert in den Anfängen menschlicher Kultur so wenig wie der Begriff "Staat" im heutigen Sinne. Das S. ruht bei den Blutsverbänden, welche dasselbe nicht nur ihren Angehörigen, sondern auch denjenigen gegenüber in Anspruch nehmen, welche an ihren Angehörigen gefrevelt haben. Dies Recht ist vielfach von theokratischen Anschauungen beeinflußt, von dem Gedanken, daß die Gottheit durch den Frevel beleidigt sei, daß der Getötete keine Ruhe habe, bis der auf ihm lastende Bann durch rächende Vergeltung gelöst ist. Aus dieser Anschauung wird das Recht zu strafen zu einer Pflicht (Blutrache, s. d.). Dieser Zustand enthielt den Keim zu ständiger Fehde zwischen den beteiligten Volksgemeinschaften. Die damit verbundenen Übelstände führten zu gewissen Vereinbarungen mit Einschränkungen des unbedingten Racherechts: Flucht, Asyl, Loskauf, Sühnegeld. An Stelle des vereinbarten Sühnegeldes trat, je intensiver die Gefährdung des öffentlichen Friedens durch die Übelthat war, die von den interessierten größern Volksgemeinschaften auferlegte Buße (Komposition), und damit sind die Anfänge gerichtlicher Intervention und staatlicher Strafe gegeben, die zwar anfangs noch die Bedeutung einer Privatstrafe zu Gunsten des Verletzten hat, allmählich aber durch die öffentliche Strafe verdrängt wird. In Deutschland war die Anschauung, daß das Deutsche Reich das röm. Kaisertum fortsetze, und die staatsrechtliche, unerträgliche Zersplitterung von erheblichem Einfluß einerseits auf die Behandlung des römischen, für die ethischen Anschauungen deutscher Nation wenig geeigneten S., andererseits auf die Ausbildung einer geordneten Strafgesetzgebung (s. d.). Über Internationales Strafrecht s. d. - Vgl. von Bar, Handbuch des S. (Bd. 1, Berl. 1882); Binding, Handbuch des S. (Bd. 1, Lpz. 1885); ders., Grundriß des gemeinen deutschen S. (Bd. 1, 5. Aufl., ebd. 1897); Merkel, Lehrbuch des deutschen S. (Stuttg. 1889); ders., Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des S. und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände (Straßb. 1889); Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts, und Geyer und Merkel, Strafrecht (in von Holtzendorffs "Encyklopädie der Rechtswissenschaft", Lpz. 1890); Berner, Lehrbuch des deutschen S. (17. Aufl., ebd. 1895); von Liszt, Lehrbuch des deutschen S. (8. Aufl., Berl. 1897); Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (Münch. und Lpz. 1880 u. 1884); J. Kohler, Das Wesen der Strafe (Würzb. 1888); Günther, Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des S. (3 Abteil.,