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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Tier

tierchen bilden in feste Hüllen eingeschlossene überwinternde Keime. Bei Würmern, See- und Schlangensternen kommt Teilung vor. Manche Polypen treiben seitliche Knospen, die wieder zu Polypen auswachsen und sich dann loslösen; thun sie dies nicht, so bilden sie (wie auch Schwämme und Moostierchen) zusammenhängende Stöcke, Kolonien oder Kormen, an denen die einzelnen Knospen sich verschiedenartig gestalten und funktionierend entwickeln können und dann wie Organe erscheinen. In andern Fällen pflanzen sich weibliche Individuen ohne vorhergegangene Befruchtung fort (s. Ammenzeugung). In der Regel ist die Fortpflanzung eine geschlechtliche und finden sich besondere, aus einem die Geschlechtsstoffe (Eier oder Samen) bildenden, meist auch aus einem dieselben ausführenden Abschnitte und sehr oft aus Begattungsapparaten bestehende männliche und weibliche Geschlechtsorgane entweder in einem Individuum (Zwitter, Hermaphrodit) vereinigt oder durch Arbeitsteilung auf zwei verteilt. Zwitter fehlen unter den mehrzelligen T. bei den Gliedertieren (mit Ausnahme der festsitzenden Rankenfüßer und der sehr langsam sich bewegenden Bärtierchen) und bei allen Wirbeltieren, werden indessen als häufige Ausnahmen bei einer Anzahl von Fischen beobachtet. Die Zwitter können verschiedenartig sein: entweder ein und dieselbe Drüse (Zwitterdrüse) produziert zugleich oder hintereinander die beiderartigen Geschlechtsprodukte (im Falle erst die männlichen, so ist das T. proterandrisch, oder erst die weiblichen, dann ist es proterogynetisch). Nur im ersten Falle tritt Selbstbefruchtung ein. Meist sind die beiderlei Geschlechtsdrüsen getrennt, haben wenigstens zum Teil getrennte Ausführungsapparate, oft auch eigene Begattungsorgane. Auch in diesen Fällen scheint Selbstbefruchtung sehr selten zu sein, meist verbinden sich zwei Individuen und jedes von ihnen funktioniert als Weib und Mann zugleich oder das eine als Weib, das andere als Mann. Vielfach finden sich bei Zwittern und getrenntgeschlechtlichen T., dann aber meistens bei den weiblichen, Vorrichtungen (Brutpflegeapparate), in denen die Jungen ihre Entwicklung durchlaufen oder durch die sie die erste Zeit ihres Lebens ernährt werden. Ebenfalls nicht selten verfertigen ihnen die Alten Schutzvorrichtungen (s. Nest). Die Jungen kommen entweder als Eier (s. Ei) oder auf einer höhern Stufe der Entwicklung, aber nie vollkommen ausgebildet auf die Welt, alle müssen noch eine postembryonale Entwicklung durchlaufen. Dieselbe kann sehr langsam und unmerklich oder ruckweise (Metamorphose) vor sich gehen und dabei eine zum Höhern fortschreitende oder eine zum Niederern rückschreitende (s. Schmarotzertum und Sessilität) sein. Die Geschlechter unterscheiden sich häufig nicht bloß durch die Verschiedenheit der Geschlechtsorgane (sog. primäre Geschlechtscharaktere), sondern auch noch durch sog. sekundäre, und meist ist dann das männliche das besonders ausgestattete, buntere, schnellere, größere, besser bewaffnete u. s. w. (S. Zuchtwahl.)

Unsere jetzige Tierwelt ist nicht ein für sich bestehendes Ganzes, sondern, wie Darwin (s. d.) zeigt, in steter Umwandlung begriffen und aus steter Umwandlung früherer Typen hervorgegangen, sodaß die Entwicklungsgeschichte des Tierreichs durch die Perioden der Erdgeschichte hindurch ebenfalls in das ^[richtig: den] Bereich der Studien über das Tierreich gezogen werden muß. Die Lehre von dem innern und äußern Bau der T. (Zootomie oder vergleichende Anatomie und Zoologie im engern Sinne), vergleichende Entwicklungsgeschichte (Ontogenie) und die histor. Entwicklung aus frühern Typen (Phylogenie) müssen demnach zusammenwirken, um die Klassifikation des Tierreichs herzustellen, über deren Grundsätze nebst Anwendung derselben vielfach gestritten worden ist und noch gestritten wird. Jetzt erkennt man ziemlich allgemein zwei ungleich große Gruppen an: nämlich die einzelligen Urtiere (Protozoa) und die weit zahlreichern vielzelligen T. (Metazoa), die in die großen Klassen oder Typen der Hohltiere (Coelenterata), Stachelhäuter (Echinodermata), Würmer (Vermes), Molluskoiden (Molluscoidea), Weichtiere oder Mollusken (Mollusca), Gliederfüßer (Arthropoda), die zusammen die Unterabteilung der wirbellosen Tiere (Evertebrata) ausmachen, und Wirbeltiere (Vertebrata) zerfallen (s. die betreffenden Artikel). Wenn bei niedern Lebewesen die Frage, ob dieselben dem Tier- oder Pflanzenreiche zuzuzählen sind, oft schwierig oder zweifelhaft ist, so daß für sie von Hogg unter dem Namen Protoktisten, später von Haeckel unter dem von Urtieren (s. d.) ein besonderes Reich aufgestellt wurde, so wurde die nahe Zusammengehörigkeit des gesamten Tier- und Pflanzenreichs neuerdings durch Beobachtungen von Bütschli, Straßburger u. a. dargethan, nach denen die Vorgänge der Befruchtung und ersten Entwicklung bei T. und Pflanzen wesentlich gleich sind. (S. Zoologie.) - Über Tierverbreitung s. Tiergeographie nebst Karte I und II. Über Schutzmittel der T. s. Schutzmittel nebst Tafel (Bd. 17).

Rechtliches. Wilde T. oder zahme T., welche vom Eigentümer derelinquiert sind, können von jedem eingefangen werden, soweit nicht das Jagdrecht (s. d.) und das Fischereirecht (s. d.) oder die zum Schutze der Vögel erlassenen Bestimmungen (Reichsgesetz vom 22. März 1888) Grenzen ziehen. Wilde T., welche eingefangen waren, hören nach bisherigem Recht auf im Eigentum zu stehen, wenn sie die natürliche Freiheit so wiedergewinnen, daß die T. die gewohnheitsmäßige Rückkehr aufgegeben haben; nach dem Deutschen Bürgerl. Gesetzbuch wird ein gefangenes wildes T., das die Freiheit wieder erlangt, herrenlos schon wieder, wenn es der Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt oder er die Verfolgung aufgiebt. Wer herrenlose T. ohne Verletzung des Jagd- oder Fischereirechts eines andern einfängt, um sie sich zuzueignen, wird Eigentümer. Über Haustauben s. d. (vgl. Einführungsgesetz zum Bürgerl. Gesetzb. Art. 130). Ausziehende Bienenschwärme dürfen vom Eigentümer auch über fremdes Eigentum (gegen Schadenersatz) verfolgt und auf fremdem Eigentum an einem, in Österreich in zwei Tagen von ihrem Eigentümer wieder eingefangen werden. Nachher, oder wenn der Bieneneigentümer die Verfolgung aufgegeben hat, darf sie der Grundeigentümer sich zueignen. Nach Deutschem Bürgerl. Gesetzbuch muß der Eigentümer den Schwarm unverzüglich verfolgen, sonst und ebenso, wenn er die Verfolgung aufgiebt, wird dieser herrenlos (§. 961). S. auch Bienenrecht.

Über die Haftung des Eigentümers eines schadenstiftenden T. zum Schadenersatz s. Gefährliche Tiere, Pfändung, Pauperies. Nach dem Deutschen Bürgerl. Gesetzb. §. 833 haftet der, welcher ein T. hält, wenn dasselbe einen Menschen tötet oder gesundheitlich verletzt oder eine Sache beschädigt, für den Schaden. Eine Haftung für den durch das T. zugefügten Schaden trifft nach §. 834 auch den, welcher die Führung der Aufsicht über das T. durch Vertrag übernimmt