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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Turnbullblau; Turnen

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Turnbullblau - Turnen

Iser und den Linien Bakow-T. (30 km) der Böhm. Nordbahn und Josefstadt-Reichenberg-Seidenberg der Südnorddeutschen Verbindungsbahn, hat (1890) 5904, als Gemeinde 5963 czech. E., in Garnison ein Bataillon des 94. böhm. Infanterieregiments, Dekanatkirche (1722), got. Marienkirche, Synagoge, Franziskanerkloster, Rathaus, Theater, Waisenhaus, Krankenhaus, eine k. k. Schule für Edelsteinbearbeitung; Edelsteinschleiferei, Fabrikation von unechten Steinen, Kompositionsglas, Silber- und Wachswaren, eine k. k. Seilerwarenfabrik, Brauerei, Kunstmühle, Dampfsäge, große Kunstgärtnerei und bedeutenden Handel mit Getreide, Obst, Edelsteinen, Gold- und Silberwaren.

Turnbullblau (spr. törn-), eine dem Berliner Blau (s. d.) sehr ähnliche Farbe, die beim Vermischen von Lösungen von Eisenvitriol mit rotem Blutlaugensalz als schöner feuriger dunkelblauer Niederschlag ausfällt. T. hat die Zusammensetzung Fe3[Fe(CN6)]2 = Fe5(CN)12 und ist als das Eisenoxydulsalz der Ferricyanwasserstoffsäure (s. Ferridcyan) aufzufassen.

Turnen, die Gesamtheit der zu zweckbewußter, geregelter, harmonischer Ausbildung des Körpers dienenden Leibesübungen. Die Turnkunst ist demnach wesentlich verschieden von dem Sportswesen, welchem die einseitige Ausbildung einzelner Bewegungsarten bis zu der höchsten Steigerung bezweckt, und von der Athletik, bei der dergleichen Bestrebungen berufs- und handwerksmäßige Arbeit sind.

Bei Einführung des T. in das Ganze der Erziehung lehnte man sich unter Benutzung der Überlieferungen aus den Fecht- und Voltigiersälen der Ritterakademien und Universitäten an das von den alten Griechen hierüber Bekannte an, und daher nannte man auch anfangs diesen neuen Unterrichtszweig Gymnastik. Fr. L. Jahn gebrauchte zuerst dafür das Wort T., indem er glaubte, daß es ein urdeutsches Wort sei, das von dem altdeutschen turnan (drehen) herkomme; es ist jedoch im Altdeutschen nicht nachzuweisen (dies kennt nur turnei [Turnier] und turnieren) und wahrscheinlich erst im Neuhochdeutschen aus franz. tourner entlehnt.

Wenn auch alle Kulturvölker des Altertums die Leibesübungen als förderlich für die Führung der Waffen schätzten, so wurden sie doch nur bei den alten Griechen als Volkserziehungsmittel gepflegt. (S. Gymnastik.)

Bei den alten Deutschen waren mancherlei Leibesübungen im Gebrauch. Im Mittelalter war die Erziehung der Ritterjugend eine vorwiegend turnerische. Ritterbuben und Knappen hatten eine schwere und harte Schule durchzumachen, um den Grad von Gewandtheit, Kraft und Ausdauer sich zu verschaffen, der für die in Ritt, Kampf und Turnier gipfelnde ritterliche Waffenkunst unentbehrlich war. Darauf aber trat eine Periode der Vernachlässigung ein; erst das Wiederaufblühen der klassischen Studien führte zu besserer Erkenntnis. Unter den Humanisten wiesen wiederholt Männer von Bedeutung auf die Wichtigkeit der von den Griechen eifrig gepflegten Gymnastik hin. Luther und Zwingli lobten und empfahlen die Leibesübungen. Der ital. Arzt Hieron. Mercurialis (gest. 1606) gab in seinem Kaiser Maximilian II. gewidmeten Werke "De arte gymnastica" (Vened. 1569 u. ö.; Amsterd. 1672) eine ausführliche Darstellung der antiken Gymnastik und wies auf die nützliche Wirkung der einzelnen Übungen hin. Comenius, der franz. Philosoph Montaigne, der engl. Arzt Locke, J. J. Rousseau in seiner Erziehungsschrift "Émile ou l'éducation" (1762) traten für die Wichtigkeit der Leibesübungen bei dem Werke der Erziehung ein. Schon 1758 hatte Basedow in der von ihm verfaßten "Praktischen Philosophie für alle Stände" bei der Besprechung der Erziehung und des Unterrichts die Leibesübungen nicht vergessen. Er fügte daher dieselben auch, als zum Ganzen der Erziehung gehörig, in den Unterrichtsplan seines 1774 in Dessau eröffneten Philanthropin ein. Die nach diesem Vorbild bald anderwärts begründeten Erziehungsanstalten thaten ein Gleiches. Unter diesen wurde besonders die von Salzmann 1784 in Schnepfenthal bei Gotha geschaffene für die Turngeschichte dadurch von Bedeutung, daß von 1786 an GutsMuths (s. d.) als Turnlehrer an ihr wirkte. Dessen praktische, vor allen Dingen aber seine schriftstellerische Thätigkeit gab weithin Anregung zur Aufnahme des T. in den Schulen. Seine "Gymnastik für die Jugend" (Schnepfenthal 1793; 2. Aufl. 1804) wurde in mehrere Sprachen übersetzt, und die ähnliche oder gleiche Ziele verfolgenden Bestrebungen von Nachtegall in Dänemark, Ling in Schweden, Clias in der Schweiz, Amoros in Frankreich sind auf GutsMuths zurückzuführen. Nicht ohne Bedeutung verblieb das von seinem Zeitgenossen Vieth in Dessau herausgegebene Werk "Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen" (2 Tle., Berl. 1794-95; 2. Aufl., 3 Tle., Lpz. 1818) und Pestalozzis Schrift "Über Körperbildung. Als Einleitung auf den Versuch einer Elementargymnastik" (Aarau 1807).

War man bisher meist bemüht gewesen, den Leibesübungen besonders in geschlossenen Erziehungsanstalten das Feld zu ebnen, so ging Fr. L. Jahns Bestreben dahin, das T. zur allgemeinen Volksangelegenheit zu machen. In seinem Werke "Deutsches Volkstum" (Lüb. 1810; neu hg. in Reclams "Universalbibliothek") hatte er den Plan zu einer volkstümlichen Erziehung entworfen. Geleitet von dem Gedanken, die Volkskraft zu stärken und den Volksgeist zur Befreiung Deutschlands vom Franzosenjoch zu heben, eröffnete er im Frühjahr 1811 in der Hasenheide bei Berlin den ersten öffentlichen Turnplatz. Das Vorgehen fand großen Anklang, und in andern Orten wurden nach diesem Muster gleiche Anstalten errichtet. Die Befreiungskriege entvölkerten die Turnstätten, indem die Turner zu den Waffen griffen. Neuen Aufschwung nahm die Turnsache nach den Feldzügen, zumal die preuß. Regierung derselben besondere Aufmerksamkeit widmete. Von wesentlicher Bedeutung für die Verbreitung und einheitlichere Gestaltung des T. wurde das von Jahn und E. Eiselen veröffentlichte, in seiner Art vorzügliche und epochemachende Werk "Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt" (Berl. 1816). Eigentümlich war dem Jahnschen T. die Einteilung der drei- bis vierstündigen Turnzeit in Turnschule, Turnkür und Turnspiel. Neben der streng systematischen Leibesübung legte Jahn großen Wert auf das Turnspiel, bei dem sich die Turner in größern Massen nach einfachen Gesetzen zu freier Thatäußerung vereinigten. Das Gerätturnen herrschte jedoch vor, und hier traten Reck und Barren als neu auf.

Die sich bald nach den Befreiungskriegen fühlbar machende Reaktion richtete ihr Augenmerk auch auf die Turnkunst, weil Jahn und seine Anhänger die Gewährleistung der vor den Kämpfen gegebenen Versprechungen auf freiheitliche Gestaltung Deutschlands