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Ungarn (Geschichte)
erst Joseph I. durch den Szathmárer Frieden 1711 dämpfen konnte. Karl VI., als König von U. Karl III., sicherte 1724 durch die Pragmatische Sanktion (s. d.) auch den weiblichen Descendenten des habsburg. Hauses die Thronfolge in U. und verbesserte die Verwaltung. Durch den Passarowitzer Frieden kam 1718 der Temeser Bezirk an U. zurück, und der nachteilige Belgrader Friede bestimmte 1739 die noch gegenwärtigen Grenzen U.s gegen die Türkei. Ungemeine Verdienste um U. erwarb sich die Kaiserin Maria Theresia durch die Regulierung der Gutsunterthanenverhältnisse, das sog. Urbarium, 1765, und durch die Reform des Schulwesens. Auch Joseph II. nahm wichtige Veränderungen vor. Da er jedoch die Reformen ohne Rücksicht auf die bestehende Verfassung durchführen wollte, fand er an den privilegierten Ständen den heftigsten Widerstand, so daß er sich genötigt sah, 28. Jan. 1790 in vielen Dingen das alte Wesen wiederherzustellen. Kaiser Leopold II., der seinem Bruder Joseph folgte, berief sofort den seit 25 Jahren nicht versammelten Reichstag und stellte die Verfassung wieder her. Unter Franz I. nahmen Industrie und Handel sowie der nationale Geist großen Aufschwung. Der herrschende Adel hatte sich mehr und mehr mit dem Habsburger Stamme ausgesöhnt und gab hiervon einen Beweis, als Napoleon I. 1809 die Ungarn zum Abfall von Österreich aufforderte.
Dennoch verkannte die Regierung des Kaisers Franz die wahre Lage des Landes. Man berief keine Reichstage mehr, versuchte aber Steuern- und Rekrutenerhebungen und stieß hier auf einen Widerstand, der die Berufung eines Reichstags (1825) unabwendbar machte. Nach Wiederherstellung eines leidlichen Einverständnisses zeigte sich die Regierung doch nicht gesonnen, die notwendigen Reformen zu veranlassen, und es wuchs die polit. und nationale Opposition, als deren Wortführer Männer wie Graf Stephan Széchenyi hervortraten. Der Reichstag von 1830 zeigte diese Wendung schon im siegreichen Fortschritt. Die Fragen über die Bewilligung der Rekruten, die Anstellung eingeborener Offiziere und den Gebrauch der magyar. Sprache waren die Anlässe, die Macht dieser nationalen Opposition zu bewähren und ihr, z. B. in der Sprachenfrage, unzweideutige Erfolge zu erringen. Inmitten der zunehmenden Bewegung starb 1835 Kaiser Franz.
Die Regierung machte unter seinem Sohne und Nachfolger Ferdinand mehrere Konzessionen. Die Urbarialverhältnisse kamen im Herbst 1835 zur definitiven Erledigung. Indem die bäuerlichen Verhältnisse dadurch besser geordnet, die unbedingte Steuerfreiheit des Adels beschränkt wurde, erwies sich diese Reform der freiheitlichen Entwicklung sehr günstig. Der folgende Reichstag schloß im Mai 1840 mit dem das Übergewicht des Magyarentums sanktionierenden Sprachengesetz. Auf dem Reichstage 1843-44 wurde den Nichtadligen Fähigkeit des Besitzes und der Beförderung zu jedem Amte eingeräumt und durch ein neues Sprachengesetz das volle Übergewicht des Magyarentums bestätigt. Als der Erzherzog Palatinus, Joseph, der diese Würde seit 1797 bekleidet hatte, 13. Jan. 1847 starb, wurde sein in U. geborener und erzogener Sohn Erzherzog Stephan sein Nachfolger. Die Regierung trat mit einer Reihe von Vorschlägen hervor, die teils Handels- und Verkehrsverhältnisse, teils polit. Fragen, wie die Stellung der Freistädte, die Roboten u. a. betrafen. Die Opposition, die gan; unter Kossuths Einfluß stand, verlangte Preßfreiheit, ein verantwortliches Ministerium, Vereinigung Siebenbürgens mit U. und andere Reformen; doch war eine Verständigung mit der Regierung schon angebahnt, als die franz. Februarrevolution und die Bewegung in Wien (März 1848) alles ins Rollen brachte.
Die Wünsche der liberalen Opposition fanden nun in Wien rasche Gewährung. Graf Ludwig Batthyányi, einer ihrer Führer, wurde mit der Bildung eines besondern Ministeriums für U. beauftragt, in das auch Széchenyi, Szemere, Kossuth, Deák, Mészáros eintraten. So war die magyar. Bewegung schnell zu vollem Siege gelangt. Allein die Magyaren hatten stets die andern Nationalitäten des Landes niederzuhalten gesucht, und dies rief jetzt eine Bewegung in Siebenbürgen unter den Walachen, in U. unter den Serben und Kroaten hervor. Die Kroaten wählten Jellachich zum Ban; sie strebten auf die Trennung von U. hin und rüsteten mit äußerster Anstrengung zum Kampfe. Jetzt nahm auch das kaiserl. Ministerium eine veränderte Haltung an. Man schlug in Wien Konferenzen zur Beilegung der Streitigkeiten vor und bezeichnete besonders die getrennten Ministerien des Krieges und der Finanzen als unverträglich mit der österr. Staatsordnung. Eine im September vom Reichstage abgesandte große Deputation der Ungarn hatte keinen Erfolg, und zu derselben Zeit überschritt Jellachich mit einem kroat. Heer die ungar. Grenze. Der Erzherzog-Palatinus Stephan, der zu vermitteln strebte, sah sich 24. Sept. endlich veranlaßt, seine Stelle niederzulegen und U. zu verlassen. Statt des aufgelösten Ministeriums ward unter Kossuths Vorsitz ein Landesverteidigungsausschuß gebildet. Der Kaiser übertrug darauf dem Baron Vay die Bildung eines neuen ungar. Ministeriums und sandte den Grafen Lamberg als königl. Kommissar nach U. ab. Dessen Ermordung auf der Pest-Ofener Brücke (28. Sept.) war das Signal zum offenen Auflodern der Revolution.
In diesem Augenblicke brach die Wiener Oktoberrevolution los, der man von U. aus durch ein Korps von 18000 Mann zu Hilfe zu kommen suchte, das jedoch 30. Okt. bei Schwechat zurückgeschlagen wurde. Die Überwältigung Wiens, die Bildung des Ministeriums Schwarzenberg-Stadion, die Abdankung Kaiser Ferdinands und die Thronbesteigung Franz Josephs I. (2. Dez. 1848) gaben der Lage der Dinge eine andere Gestalt. Noch bevor das Jahr zu Ende ging, rückte die kaiserl. Armee unter Fürst Windischgrätz nach U. ein. Rasch bemächtigten sich die Österreicher des rechten Donauufers, schlossen Komorn und Leopoldstadt ein und näherten sich der Stadt Ofen. Die ungar. Streitkräfte waren ungenügend und erst in der Bildung begriffen. Daher schickte der Reichstag eine Deputation an Windischgrätz nach Bicskse, um zu unterhandeln, ward aber mit der Forderung unbedingter Unterwerfung zurückgewiesen. Die Besetzung von Budapest (5. Jan. 1849) schien diese Zuversicht zu rechtfertigen. Bald aber gestaltete sich der Kampf infolge der Ungunst der Jahreszeit langwieriger und mühsamer. Görgey führte den Rückzug der Ungarn von der Donau nach den Bergstädten mit großem Geschick durch. Schon jetzt trat jedoch das Zerwürfnis zwischen ihm und Kossuth durch die Ernennung des Polen Dembinski zum Oberfeldherrn hervor, und die Niederlage, die Dembinski und Görgey 26. und 27. Febr. bei Kapolna erlitten, war die erste Rückwirkung dieser Uneinigkeit. Sie hatte die Entfernung Dembinskis und die Erhebung Vetters zur Folge.