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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ungarn (Geschichte)

Indessen hatte auch in Siebenbürgen, wo nur die Magyaren und die Szekler für die Umgestaltung Partei nahmen, Rumänen und Sachsen gegen sie standen, der Kampf begonnen. Der Pole Bem hatte dort Jan. 1849 den Feldzug gegen den kaiserl. Feldherrn Puchner eröffnet und den Norden Siebenbürgens besetzt. Er wurde zwar bei Großscheuern (21. Jan.) und Vizakna (4. Febr.) geschlagen, brachte aber gleich darauf (9. Febr.) bei Piski den Kaiserlichen eine Niederlage bei und eroberte 11. März Hermannstadt. Die Österreicher hatten zudem seit der Einnahme von Ofen keinen nennenswerten Erfolg mehr gehabt. Nach Vetters Erkranken übernahm Görgey im April wieder den Oberbefehl. Nun ergriffen die Magyaren die Offensive. Ein Heer unter Perczel drang siegreich nach der Bácska und dem Banat vor, die Festung Arad ward schwer bedrängt und mußte später kapitulieren; Karlsburg und Temesvár, fast die letzten Punkte, die im ganzen Südosten sich noch in den Händen der Kaiserlichen befanden, wurden belagert. Ebenso erfolgreich erwiesen sich die Operationen Görgeys im Norden, wo er seine Truppen nach einer Reihe von Erfolgen vor Ofen-Pest führte. Fürst Windischgrätz ward unter solchen Verhältnissen abgerufen und Welden an seine Stelle gesetzt. Unaufhaltsam drangen nun die Magyaren vor, schlugen bei Nagy-Sarló (19. April) abermals die Österreicher, entsetzten Komorn und griffen Ofen an, das nach einer tapfern Verteidigung durch Hentzy 21. Mai den Ungarn erlag. Die Revolution hatte somit ihre Höhe, aber auch ihren Wendepunkt erreicht, denn die polit. Verhältnisse des Landes waren allmählich in eine immer tiefere Verwirrung geraten. Gegenüber den von Kossuth vertretenen Tendenzen revolutionärer Umgestaltung wollte Görgey eine Aussöhnung mit dem Kaiserhause. Kossuth wagte endlich einen entscheidenden Schritt. Er riß den nach Debreczin verlegten Reichstag 14. April zu dem Beschluss fort: U. für unabhängig zu erklären, das Haus Habsburg-Lothringen vom Thron auszuschließen und die Regierung einem Präsidenten mit verantwortlichen Ministern zu übertragen. Nachdem er hierauf selbst die Präsidentschaft übernommen hatte, berief er ein Ministerium unter Szemeres Vorsitz, das sich zum Grundsatze der Volkssouveränität in allen seinen Konsequenzen bekannte.

Inzwischen hatte Österreich die Intervention Rußlands nachgesucht und erhalten. Eine russ. Division unter Paniutine sollte sich der Donauarmee unter Haynau, dem neuen kaiserl. Oberfeldherrn, anschließen, ein anderes Korps unter Lüders Siebenbürgen wiedererobern, die russ. Hauptmacht unter Paskewitsch dagegen, ungefähr 130000 Mann stark, durch Galizien nach U. einbrechen. Am 19. Juni drang das russ. Korps unter Lüders durch den Roteturmpaß in Siebenbürgen ein, schlug die Magyaren und besetzte Hermannstadt, während die Österreicher im Süden vordrangen und sich (Juli) Kronstadts bemächtigten. Zugleich rückten die Verbündeten aus der Bukowina in das nördl. Siebenbürgen ein, drängten Bein nach mehrern unglücklichen Gefechten zurück und schlugen ihn 31. Juli bei Schäßburg, worauf er Siebenbürgen räumen mußte. Weniger glücklich operierte Jellachich in der Bácska. Zwar schlug er 7. Juni die Magyaren unter Perczel und schloß Peterwardein ein; aber bald nachher kapitulierte Arad, und ein unglückliches Treffen bei Hegyes (14. Juli) nötigte ihn, die Bácska zu räumen. Gleichwohl konnte die Entscheidung des Kampfes bei ungleichen Kräften nicht lange ausbleiben. Während das russ. Hauptheer sich über Eperies und Kaschau der großen Ebene U.s näherte, begann Haynau seine Operationen an beiden Ufern der Donau. In diesem Augenblick befand sich zudem Görgey in offenem Zerwürfnis mit Kossuth. Ersterer beschloß den Kampf bei Komorn fortzusetzen, in dessen Nähe 2. und 11. Juli heftig gefochten wurde; aber es gelang Görgey nicht, die Linien der Österreicher zu durchbrechen, und er mußte den Rückzug an die Theiß und gegen Szegedin, wohin sich die Regierung geflüchtet hatte, antreten. So geschickt er auch diesen Rückzug leitete, die Katastrophe war jetzt unabwendbar. Die kaiserl. Hauptarmee hatte Raab erstürmt, Ofen und Pest besetzt. Hierauf nahm Haynau Szegedin, den Sitz der Regierung und des Reichstags, schlug Dembinski bei Szöreg (3. Aug.) und brachte bei Temesvár (9. Aug.) den Magyaren unter Bem eine entscheidende Niederlage bei. Nach diesen Schlägen war Görgey, an der Spitze von etwas mehr als 20000 Mann, nicht mehr in der Lage, den Widerstand fortzusetzen. Die Trümmer der revolutionären Regierung und des Reichstags hatten sich nach Arad geflüchtet, wohin auch Görgey mit seinen Truppen zog. Hier legte Kossuth, von der Unmöglichkeit weitern Widerstands endlich überzeugt, seine Stelle nieder und übertrug Görgey die Diktatur (11. Aug.). Der Kriegsrat Görgeys entschied sich für unbedingte Unterwerfung, die 13. Aug. durch die Kapitulation bei Világos an den russ. General Rüdiger erfolgte. Die übrigen Trümmer der magyar. Truppen wurden teils zersprengt, teils flüchteten sie auf türk. Gebiet. Die Festungen ergaben sich allmählich.

Haynau, der mit diktatorischer Gewalt über U. ausgestattet war, ließ zunächst der Wiedervergeltung freien Lauf und handhabte das Kriegsgesetz mit blutiger Strenge. Anfang Oktober wurden zu Pest und Arad eine Reihe von Hinrichtungen vollzogen, denen viele der Führer zum Opfer fielen. U. sollte sein Staatsrecht verlieren und ward zu einem Kronland des neuen Gesamtstaates umgestaltet. Eine gewisse Milderung trat ein, als (Herbst 1851) Erzherzog Albrecht zum kaiserl. Gouverneur ernannt wurde. Doch erst im folgenden Jahre, als der Kaiser selbst nach U. kam, hörten die kriegsgerichtlichen Prozesse auf, und eine teilweise Amnestie trat ein. Indessen fuhr die Regierung planmäßig fort, die Inkorporierung des Landes durchzuführen. Das Institut der Grund- und Hypothekenbücher sowie ein neuer Kataster wurden eingeführt, die Verwaltung und Justiz nach den Grundsätzen des Gesamtstaates reorganisiert, das österr. Gesetzbuch in Wirksamkeit gesetzt. Die Versuche der Altkonservativen zur Aufhebung des absolutistischen Systems waren wiederholt (1854 und 1857) vergeblich gewesen. Nach dem Italienischen Kriege von 1859 ließ sich indes das System eines militär. Polizeistaates nicht mehr fortsetzen. Der Minister Bach wurde 21. Aug. 1859 entlassen und die Einführung eines neuen Systems angekündigt; das den Protestanten in U. mißliebige kaiserl. Patent vom 1. Sept. 1859 wurde zurückgezogen, und 5. März 1860 erschien das Patent, das den verstärkten Reichsrat konstituierte, dessen Verhandlungen sodann zum Oktoberdiplom führten. (S. Österreichisch-Ungarische Monarchie, Geschichte.)

Dieses Diplom stellte in den zur ungar. Krone gehörenden Königreichen und Ländern die Verfassungen vor 1848 wieder her für alle Gegenstände, die sich nicht auf die allgemeinen Angelegenheiten