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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Wehrpflicht - Wehrsteuer

die Ausführungsbestimmungen zum Gesetz vom 9. Nov. 1867, betreffend Verpflichtung zum Kriegsdienste, zu den bezüglichen Abschnitten des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874 und zum Gesetz vom 15. Febr. 1875, betreffend militär. Kontrolle über die Personen des Beurlaubtenstandes. Zugleich wurden in dieselbe auch Bestimmungen anderer Gesetze, welche auf die Wehrpflicht Bezug hatten, z. B. des Gesetzes über den Landsturm vom 12. Febr. 1875, des Deutschen Reichs- und des Militärstrafgesetzbuchs zum Teil wörtlich aufgenommen. Da die frühere Gesetzgebung wesentliche Ergänzung und Umgestaltung durch die Novellen zum Kriegsdienstgesetz vom 11. Febr. 1888, zum Militärgesetz vom 6. Mai 1880, 31. März 1885, 11. März 1887 erfuhr, insbesondere das Landsturmgesetz vom 12. Febr. 1875 völlig außer Kraft trat, erfolgte auch eine Neugestaltung der W. unterm 22. Nov. 1888, die aber infolge der weitern Militärgesetze vom 27. Jan. und 8. Febr. 1890, 26. Mai und 3. Aug. 1893, 28. Juni 1896 schon wieder vielfach abgeändert wurde. Die W. hat zwei Teile, die Ersatzordnung und die Kontrollordnung; sie gilt für das gesamte Reich mit Ausnahme Bayerns, wo durch königl. Verordnung vom 19. Jan. 1889 eine inhaltlich gleiche erlassen ist.

Eine militär. Ergänzung der W. bildet die ebenfalls vom 22. Nov. 1888 datierende Heerordnung, die in die Rekrutierungsordnung und die Landwehrordnung zerfällt; ferner auch die jetzt vom 2. Nov. 1894 datierende Marineordnung.

Wehrpflicht, allgemeine, die durch Gesetz geregelte, für jeden Staatsangehörigen bestehende Verpflichtung zum Kriegsdienst. In dem durch die Katastrophe von 1806 niedergeworfenen Preußen wurde unter Friedrich Wilhelm III. durch Scharnhorst und Boyen ein auf allgemeine W. gegründetes, alle Stände, Glaubensgenossenschaften und Berufszweige umfassendes volkstümliches Heerwesen geschaffen. Dieses auf der Landwehrordnung vom Febr. 1813 und dem Gesetz der allgemeinen Militärpflicht vom Sept. 1814 beruhende Wehrsystem erklärte jeden körperlich tüchtigen und nicht mit einer entehrenden Strafe belegten Mann vom 20. bis 40. Lebensjahre für dienstpflichtig. Die allgemeine W. verpflanzte sich dann von Preußen nach dem Kriege von 1866 in alle deutschen Staaten (Bayern 1868) und fand, abgesehen von Großbritannien, in allen europ. Großstaaten Nachahmung. (S. Heerwesen Europas.) Über die W. im jetzigen Deutschen Reiche s. Deutsches Heerwesen.

Die Gliederung der W. im Deutschen Reich ist folgende:^[geschwungene Klammern: s. Faksimile]

Wehrpflicht (vom vollendeten 17. bis vollendeten 45. Lebensjahre) 1) Dienstpflicht (s. d.) a. Dienstpflicht im stehenden Heere 1) aktive Dienstpflicht

2) Reservepflicht

b. Landwehrpflicht (s. Landwehr) 1. Aufgebot: 5 Jahre (für Kavallerie u. reitende Artillerie 3 Jahre)

2. Aufgebot: bis 31. März des Jahres, in dem das 39. Lebensjahr vollendet wird; für die vor dem 20. Lebensjahre Eingetretenen 19 Jahre.

2) Landsturmpflicht (s. Landsturm).

Die W. für die Marine gliedert sich in aktive Dienstpflicht 3 Jahre, Marinereservepflicht 4 Jahre, Seewehrpflicht entsprechend der Landwehrpflicht. Nach Reichsgesetz vom 7. Juli 1896 können die in den deutschen Schutzgebieten wohnhaften Deutschen der W. auch durch Dienst bei den Schutztruppen genügen. - Vgl. Rott, Die W. im Deutschen Reich (2 Bde., Cass. 1890-96).

Wehrpflichtige. Nach §. 140 des Reichsstrafgesetzbuchs wird bestraft: 1) ein Wehrpflichtiger, welcher in der Absicht, sich dem Eintritt in den Dienst zu entziehen, ohne Erlaubnis das Reichsgebiet verläßt oder nach erreichtem militärpflichtigem Alter sich außerhalb des Reichsgebietes aufhält, mit 150-3000 M. Geldstrafe oder 1 Monat bis 1 Jahr Gefängnis; 2) ein Offizier des Beurlaubtenstandes, welcher ohne Erlaubnis auswandert, mit Geldstrafe bis zu 3000 M. oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten; 3) ein Wehrpflichtiger, welcher nach öffentlicher Bekanntmachung einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen besondern Anordnung in Widerspruch mit derselben auswandert, mit Gefängnis bis zu 2 Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu 3000 M. erkannt werden kann (zuständig: Strafkammer). Das Vermögen des Angeschuldigten kann bis zur Deckung der höchsten Geldstrafe und der Kosten mit Beschlag belegt werden. Nach §. 360, Nr. 3 des Reichsstrafgesetzbuchs werden beurlaubte Reservisten oder Wehrleute, die ohne Erlaubnis, und Ersatzreservisten erster Klasse, die ohne Anzeige an die Militärbehörde auswandern, mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bestraft (zuständig: Schöffengericht). Gegen diese abwesenden W. lassen §§. 470 fg. der Deutschen Strafprozeßordnung ausnahmsweise ein Ungehorsamsverfahren bei demjenigen Gerichte zu, in dessen Bezirk die Angeklagten ihren letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Deutschen Reich gehabt haben. Die Ladung der Angeklagten kann durch Aushang an der Gerichtstafel und Bekanntmachung in den Zeitungen mit mindestens einmonatiger Frist erfolgen. In der Hauptverhandlung kann der Angeklagte durch einen Verteidiger oder durch Angehörige auch ohne Vollmacht vertreten werden.

Wehrrücken, s. Wehr.

Wehrsdorf, Dorf in der sächs. Kreis- und der Amtshauptmannschaft Bautzen, 19 km südlich von Bautzen, in einem Thal des Lausitzer Gebirges, hat (1895) 2270 E., darunter 17 Katholiken, Post, Telegraph, Rittergut; Appreturanstalt mit Jacquardweberei, Leinweberei, Bleichereien und Steinbrüche.

Wehrsteuer, Militärsteuer, Militärtaxe, Wehrgeld, Militärdienststeuer, die den militärpflichtigen Männern, welche den Militärdienst aus irgend welchem Grunde nicht persönlich leisten, auferlegte besondere Steuer. Die W. soll einen Ausgleich bewirken bezüglich des materiellen Vorteils, der jenen Militärpflichtigen aus ihrer Nichtheranziehung zum Militärdienst erwächst. Erst in wenigen Staaten ist die W. gesetzlich zur Einführung gelangt. Im Deutschen Reich wurde 17. März 1881 seitens des Bundesrates eine Vorlage im Reichstage eingebracht, welche einen Einheitssatz von 4 M. und bei Einkommen über 6000 M. eine Steuer von 3 Proz. für höchstens 12 Jahre erheben wollte, aber nach den Verhandlungen 28. und 29. März und 7. Mai 1881 wieder zurückgezogen wurde. Die in Bayern seit 1869, in Württemberg seit 1868 bestehende W. fiel mit Begründung des Deutschen Reichs fort. In Österreich-Ungarn ist die W. durch Gesetz vom 13. Juni 1880 eingeführt worden; sie wird auch von den vor Ablauf ihrer Wehrpflicht auswandernden Militärpflichtigen erhoben, und die zur Erhaltung des Steuerpflichtigen verpflichteten Angehörigen