Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

812

Wohnungsfrage

eine im got. Stil reicher entwickelte Anordnung, Fig. 7 Empfangzimmer der königlich bayr. Gesandtschaft in Berlin; Architekten: Kyllmann und Heyden) einen in üppigem Rokokostil ausgeführten herrschaftlichen Repräsentationsraum. (Fig. 5, 6 u. 7 nach Photographien von Ernst Wasmuth in Berlin.) - Vgl. die Litteratur zum Artikel Wohnhaus; ferner Hirth, Das deutsche Zimmer der Gotik und Renaissance, des Barock-, Rokoko- und Zopfstils (3. Aufl., Münch. 1886); Gurlitt, Im Bürgerhaus (Dresd. 1888).

Die Beschaffenheit der W. ist von höchster Bedeutung für den Gesundheitszustand der Bewohner. Einige der wichtigern Einrichtungen auf dem Gebiete der Wohnungshygieine sind auf der Tafel: Wohnung II dargestellt.

Das Fundament des Hauses muß gegen Eindringen von Bodenfeuchtigkeit abgedichtet sein, was sich durch Einlagerung einer Asphaltschicht (A, Fig. 1) in die Grundmauer und durch Anlage seitlicher Luftkanäle (L) erreichen läßt. (S. auch Isolierschichten.) Fig. 2 zeigt ein Fundament mit eiförmigem Luftkanal. Auch innerhalb der Mauern und Dielen hat man oft Systeme von Luftkanälen angelegt, die leichtere Bauart und größern Schutz gegen Abkühlung der Räume im Winter gewähren (Fig. 3, Betonmauer mit Luftisolierschichten; Fig. 6, Gipsdielen). Von sehr großer Bedeutung ist die richtige Konstruktion der Zwischenböden, der zwischen der Decke einer untern und der Diele einer obern Etage freibleibenden Räume, durch welche die Tragbalken hindurchlaufen. Am besten werden die Zwischenböden gänzlich gefüllt, was bei der Verwendung leichten Füllmaterials, wie Kieselgur oder insbesondere Kalttorf (mit Ätztalk versetzten Torfmulls) leicht angängig ist (Fig. 5), während früher bei Verwendung von Sand, Bauschutt u. s. w. des größern Gewichtes dieser Materialien wegen nur der halbe Zwischenboden gefüllt werden konnte (Fig. 4). Ferner ist unter der Diele des Fußbodens eine undurchlässige Schicht (Asphalt, Pappe) einzulegen, um Verunreinigungen des Zwischenbodens und damit der Verbreitung von Infektionserregern möglichst entgegenzuwirken. Unsaubere feuchte Füllmassen, wie Bauschutt, Asche u. s. w., sind auch deshalb zu beanstanden, weil sie die Entwicklung des Hausschwamms (s. d.) stark begünstigen. Fig. 7 zeigt ein Fußbodenbrett, bei dem die Hausschwammentwicklung nur auf der dem Füllmaterial zugewandten Seite stattgefunden hat, Fig. 8 die völlige Zerstörung des Holzes, in welchem Zustande es morsch und bröcklig wird und seine Tragfähigkeit einbüßt. Der Pilz entwickelt auf seinen Fruchtträgern (Fig. 10) zahllose kleine braungefärbte Sporen (bei 420facher Vergrößerung dargestellt in Fig. 11, dem Durchschnitt einer Hymenialschicht mit doppelter Basidien- und Sporenschicht), die gegen Austrrocknung widerstandsfähig sind, leicht verstäuben und so zu weiter Verbreitung des Pilzes Anlaß geben.

Von Wichtigkeit für die Anlage der W. ist ferner die Einordnung der Klosetteinrichtung. Näheres hierüber s. Abort. Das Eindringen von Fäulnisgasen aus der Grube oder dem Kanal in die Zimmer wird sowohl durch zweckmäßige Abortlüftung verhindert, wobei entweder der Auftrieb der durch den Schornstein erwärmten Luft oder, wie in Fig. 9, die saugende und drückende Wirkung des Windes benutzt wird, als auch durch passende Anlage von Wasserverschlüssen und Siphons (s. d.). Einen normal gefüllten Siphon veranschaulicht A in Fig. 12. Ungenügend ist dagegen der Wasserverschluß bei B und C: bei B ist die abschließende Wassersäule zu niedrig, um einem Überdruck von Gasen aus dem Fallrohr widerstehen zu können, bei C ist der Siphon soweit leer gezogen, daß überhaupt kein Abschluß mehr stattfindet. Ein Klosett ohne Wasserspülung mit automatischem Schieberverschluß zeigt Fig. 13. Bei demselben ist zwischen Fallrohr d und Trichter ein vertikaler Schieber e angebracht, der sich beim Öffnen des Deckels a automatisch schließt, sich nach Schluß des Deckels öffnet und die Fäkalien ins Fallrohr gelangen läßt. Solche Schieber werden weniger stark verunreinigt als horizontal gestellte. - Wichtige Kapitel der Wohnungshygieine sind auch Heizung (s. d.) und Lüftung (s. Ventilation); über die Systeme für Entfernung der Abfallstoffe s. Städtereinigung. - Vgl. Emmerich und Recknagel, Die W. (in Pettenkofer und Ziemssens "Handbuch der Hygieine", Tl. 1, Lpz. 1894); Grüner, Gesundheit und Behagen in unsern Wohnhäusern (Münch. und Lpz. 1895).

Wohnungsfrage. Das starke Anwachsen der großen, in neuester Zeit auch vieler mittlern Städte ruft zeitweise eine Wohnungsnot hervor, die sich in drückender Steigerung der Mietpreise oder in dem Mangel angemessener Wohnungen überhaupt äußert. Es tritt dann allerdings in der Regel bald ein lebhafter Aufschwung der Bauspekulation ein, die wenigstens einen Teil jenes Notstandes beseitigt, trotzdem wird aber das Wohnungsbedürfnis der großen Masse der Bevölkerung, der Arbeiterklasse, überall nur in unzureichender Weise befriedigt. Der Schwerpunkt der W. liegt in der Beschaffung einer genügenden Anzahl kleinerer Wohnungen. Über die Hälfte aller Wohnungen in Berlin, Breslau und Dresden bestehen aus nicht mehr als einem heizbaren Zimmer. In Chemnitz, Königsberg und Stettin betrug sogar der Anteil dieser niedrigsten Wohnungskategorie je über 60 Proz. Hinsichtlich der Bewohnerzahl pro Zimmer ist als normale Forderung aufgestellt worden, daß die Zimmerzahl der Einwohnerzahl gleichkommen soll. Indes findet sich diese nur in Frankfurt a. M., wo die Wohlstandsverhältnisse günstig sind, nahezu erfüllt, indem hier auf ein Zimmer 1,10 Bewohner gerechnet werden. Dagegen ist die entsprechende Verhältniszahl in Leipzig 1,27, in Dresden 1,29, in Berlin 1,86, in Breslau 2,09. Die "kleinen" Wohnungen, d. h. Wohnungen mit keinem, einem und zwei heizbaren Zimmern kommen in den einzelnen Städten in ganz verschiedener Zahl vor. Sie machen in Chemnitz 83,7 Proz. aller Wohnungen aus, in Breslau und Königsberg je 81,3, in Berlin 77,6, in Dresden 75,6, in Hamburg 68,7, in Leipzig 55,8 Proz. Ein verhältnismäßig nicht geringer Anteil der "kleinen" Wohnungen ist "übervölkert". Darunter werden solche Wohnungen verstanden, die in keinem oder einem heizbaren Zimmer sechs und mehr Bewohner oder in zwei heizbaren Zimmern zehn und mehr Bewohner aufnehmen. Derartige Wohnungen giebt es in Berlin 22 890, in Hamburg 6528, in Breslau 7082, in Dresden 4711, in Königsberg 3470, in Frankfurt a. M. nur 140.

Die sittlichen Nachteile der Zusammendrängung vieler Personen in einem Schlafraume ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht (s. Schlafstellenwesen) sowie der bei solchen Wohnungsverhältnissen unvermeidlichen Vernichtung jedes geordneten Familienlebens sind einleuchtend, ebenso die Gesundheitsschädlichkeit solcher Zustände. Eine Verbesserung kann auf dem Wege der Staats-, Kommunal- oder Selbst-^[folgende Seite]