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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Uhren

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Uhren - Uhren

den Taschenuhren. Mit Hilfe des Pendels wurde es bald möglich, richtig gehende Gewichtuhren herzustellen, die selbst den Ansprüchen der Astronomen genügen konnten. Weit schwieriger war die Aufgabe, auch die tragbaren Federuhren so weit zu vervollkommnen, daß sie im Gange annähernd so richtig würden, wie die Pendeluhren. Dies konnte hauptsächlich nur erreicht werden durch verbesserte Hemmung (Echappements), der Vorrichtung, welche die Uhr im Gange anhält und wieder ausläßt. Das übrige Räderwerk bleibt sich im wesentlichen immer gleich. Es sind denn auch eine große Anzahl Hemmungen erdacht worden, meist schon im vorigen Jahrhundert.

Auch die jetzt gebräuchlichen Cylinder- und Ankeruhren sind nichts Neues, und indem die heutige Fabrikation sie einführte, hatte sie hauptsächlich nur für wohlfeile Herstellung zu sorgen. Hilfsmaschinen zur leichten und exakten Herstellung der einzelnen Teile haben dazu wesentlich beigetragen und es sind deren immer mehr und bis in die jüngste Zeit erfunden worden. Die alten Spindeluhren sind jetzt so gut wie abgethan, obschon sie bereits verbessert waren durch den sinnreichen Zugregulator, die Schnecke, welche den älteren Werken noch abging. Die Cylinder- und Ankerhemmung sind um so viel besser, als der Spindelgang, daß sie die Schnecke so ziemlich entbehrlich machen, obschon zugegeben werden muß, daß sie durch Hinzufügung derselben noch verbessert werden würden. Das Weglassen dieses Stückes ist aber geboten, wenn es sich um flach gebaute Uhren handelt, und andre als solche will jetzt Niemand mehr tragen. Die Ankeruhren sind den Cylinderuhren vorzuziehen, aber nur, wenn sie gut sind, in welchem Falle sie dann auch teuer sein müssen. Wohlfeile Ankeruhren zu kaufen ist äußerst unzweckmäßig. -

Daß die Wanduhren sich bis in die geringsten Wohnungen und fernsten Erdwinkel verbreiten konnten, ist den betriebsamen Bewohnern des Schwarzwaldes zu danken. Die Versendung sehr wohlfeiler hölzerner U. von dort begann etwa um 1700. Anfangs wurden selbst die Räderwerke von Holz gemacht, statt dessen jetzt schon lange Messing dient. Überhaupt ist das anstellige Volk des Schwarzwaldes (badischen und würtembergischen Anteils) in seinem Fache stets rüstig fortgeschritten und bringt auf den öffentlichen Ausstellungen immer ein reiches Sortiment von Wand-, Stand-, Gewicht- und Federuhren zur Anschauung, vermehrt noch durch allerlei Spieluhren und Musikwerke. Die Uhrmacherei ist dort noch größtenteils reine Hausindustrie, von Familien in den kleinen Städten und Dörfern betrieben. Meister, Gesellen, selbst Frauen arbeiten jede in ihrem speziellen Fache. Der eine schnitzt Gehäuse, der andre macht Räder, ein dritter Zifferblätter, wieder ein andrer setzt die Werke zusammen etc.

Die Städtchen Triburg und Furtwangen bilden jetzt die Mittelpunkte der Industrie und des Handels mit U. Alljährlich gehen an 200000 Stück U. aller Art vom Schwarzwald in alle Teile der Welt hinaus, teils auf dem Wege des Großhandels, teils, wie von jeher, durch die bekannten hausierenden Uhrenmänner. Die schwarzwälder Waren sind kaum einer Konkurrenz ausgesetzt, da sie erstaunlich wohlfeil sind. Man kauft schon für 3 Mk. eine kleine brauchbare Wanduhr, für 18-21 Mk. eine vortreffliche, acht Tage gehende Standuhr. Die Verpflanzung der Uhrenindustrie nach dem sächsischen Erzgebirge zum Besten der armen Bevölkerung ist nur insoweit gelungen, daß zu Karlsfeld eine Fabrik besteht, welche jährlich für 15-18000 Mk. Geschäfte macht. Es werden dort außer Wanduhren und Regulateuren auch Turm-, Stations- und Hofuhren, Zugfederuhren, Metronome und Fournituren gefertigt. -

In den bürgerlichen Kreisen haben sich an Stelle der gewöhnlichen Gewichtuhren zunehmend Standuhren und neuerdings die sog. Regulateure eingebürgert, was lediglich Geschmackssache ist, da sie nicht mehr leisten wie jene und öfter reparaturbedürftig sind. -

Gegenstände der höhern Uhrmacherkunst und nicht der Fabrikation sind die Pendeluhren, welche auf Sternwarten gebraucht werden und das Möglichste in Richtigkeit des Ganges leisten müssen. Auch die Normaluhren der Uhrmacher können schon dazu gerechnet werden. Bei solchen Werken findet sich außer andern subtilen Einrichtungen auch immer eine Kompensation, welche den Einfluß aufhebt, den die Pendelstange dadurch auf den Gang ausüben würde, daß sie in warmer Temperatur sich verlängert, in kalter sich verkürzt. Diese Kompensationen beruhen auf der ungleichmäßigen Ausdehnung verschiedner Metalle und bestehen entweder aus einer Kombination von Stahl- und Zinkstäbchen (Rostpendel) oder die Stange hat eine Röhre mit Quecksilber, das bei zunehmender Temperatur steigt, und damit den Schwerpunkt des Pendels um eben so viel hebt, als er durch die Verlängerung der Stange gesenkt wird. -

Die größte Menge der U. und den Hauptgegenstand des Handels bilden die Taschenuhren. An der Produktion dieses wichtigen Artikels beteiligen sich hauptsächlich Deutschland, die Schweiz, Frankreich, England und Amerika, jedes in seiner besondern Art. Die englischen und amerikanischen U. sind sehr solid und äußerst genau im Gange, aber im Verhältnis teuer und wenig im Handel des Kontinents anzutreffen; die französischen sind viel leichter gebaut und wollen hauptsächlich durch Geschmack und Zierlichkeit bestechen, während die Schweizer, sonst den Franzosen ebenbürtig, doch mehr die Rücksicht auf Wohlfeilheit vorherrschen lassen, die ihnen den großen Markt sichert, und sich bemühen, für jedes Land den besondern Geschmack der Abnehmer zu treffen.

Die Sitze der schweizer Fabrikation sind in den Kantonen Neuenburg und Genf. Die Städte Genf, La-Chaux-de-Fonds, Locle, St. Imier kann man fast nicht nennen, ohne an U. zu denken. In Genf erkennt man sogleich an der durchgängigen Verglasung vieler Häuser in den obersten Stockwerken, daß dort in dem vollen Lichte Uhrmacherarbeiten betrieben werden. Der erste schweizer Uhrmacher, ein junger erfinderischer Mann, Richard, wurde es aus sich selbst, nachdem ihm um 1679 als damals viel bewunderter Neuigkeit eine Nürnberger U. zu Gesicht gekommen war.