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Abhandlung von der Stadt Ulm

Bruder Felix Fabris, Druck der Buchdruckerei von Heinrich Frey, Ulm, 1909

Nach der Ausgabe des litterarischen Vereins in Stuttgart verdeutscht von Professor K. D. Haßler.

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nachgerühmt; so habe ich von einem alten Mann gehört, daß einst einer gegen einen andern einen Prozeß halte, der durch die Ulmer Richter und den Gemeinen Rat nach Anhörung der Parteien entschieden werden sollte. Am Tage vor dem Urteil aber führte der eine von diesen bei mehreren Häusern der Ratsherren, Richter und Zunftmeister ein gemästetes Schwein herum, indem er es jedem anbot, damit er beim Urteil auf seiner Seite wäre, aber alle wiesen ihn mit seinem Schwein ab. Und so führte dieser das Schwein nach Ursperg 1) zurück, wo er her war, und erhielt ohne diese Bestechung sein Urteil. Wegen dieser berühmten Gerechtigkeit fanden auch einst Reichstage, Versammlungen und Verhandlungen der Fürsten, Adeligen und Städter vor den Ulmern statt, und ihrem Urteil und Spruch (pag. 147) gehorchten sie. So soll das Rottweiler Gericht in Ulm stattgefunden haben, worüber man im Kloster Herwartingen 2) Schriftliches hat. - Das Dritte, warum Ulm so viele Einwohner hat, ist die Freiheit. Denn es gibt hier keine schweren Lasten, sondern leicht kann jeder Arme hier bestehen. - Das Vierte ist die Allgemeinheit der Geschäfte; denn alle Geschäfte werden hier getrieben. Deswegen können nicht nur Erwachsene, sondern Kinder von Armen täglich einen Denar oder zwei verdienen. - Das Fünfte ist die Ergötzlichkeit und das Vergnügen; denn wenn ein Mensch sich am Gottesdienst, an Religion und am Anhören des Wortes Gottes ergötzt, an Orgelspiel und Zierat, am füßen Gesang der Scholaren oder der lieblichen Melodie, an langem oder kurzem Gottesdienst, so wird er alles täglich in Ulm in der Nähe finden. Wenn aber jemand an irdischen und weltlichen Dingen sich ergötzt, so wird er es in Ulm in jeder Art im weitesten Maße finden. Hier gibt es Spiele, hier Schaustellungen, hier Gesellschaften, hier kann man einen Rausch trinken, hier gibts schöne und geschmückte Frauen, hier übermäßigen Luxus, hier irdische und weltliche Vortrefflichkeit, hier Müßiggang, hier emsige Arbeit, hier vernimmt man die Tagesneuigkeiten von Osten und von Westen mehr als in irgend einer andern Stadt Schwabens; hier herrscht Freude und Trauer, hier Leben und Tod, hier Tugend und Laster, was Ulm mit andern gemein hat.

Aus diesem allem erhellt eine Zunahme der Stadt Ulm, worin sie bis zu dieser Stunde fortfährt, und man braucht es nicht als eine Abnahme zu rechnen, daß die Ulmer in neuerer Zeit durch allerlei Übermut der Bayern geplagt werden, die vom Jahr des Herrn 1478 bis zur Gegenwart, wo sie können, Ulm quälen und tribulieren; denn wenn sie auch hiedurch unmerklich geschädigt zu werden scheinen, so nehmen sie dagegen zu an Kraft, Erfahrung, Tüchtigkeit und innerem Frieden. Klüglich aber haben die Ulmer dies bis jetzt zum Schein mit Geduld hingenommen und die gewaltsame und ganz ungerechte Plünderung des Ihrigen ertragen, um größeren Schäden zu begegnen und später mit um so kühnerem Mute das Ihrige mit Gewinn zurückzunehmen. Wie denn Augustinus de civitate dei lib. 3, cap. 5, sagt, Rom sei mehr zur Zeit des Friedens als der Kriege zugrunde gerichtet worden. Denn zur Zeit des Friedens gaben sie sich der Sinnenlust und den Lastern hin (pag. 148), erregten innere Kämpfe und gerieten so in den äußersten Verfall. Dies alles verhindern die Kriege. Denn obwohl die Ulmer schon mehrere Jahre durch die Bayern geplagt worden sind und einen ziemlichen Verlust ihrer Macht ausgehalten und viele Beeinträchtigungen ertragen haben, so ist doch niemals das Ulmer Gemeinwesen höher an Reichtum, stärker an Bevölkerung, kühner an Mut, mächtiger an Waffen,

1) Veesenm.: Ursberg, Abtei südlich von Burgau, an der Mindel, westl. von Tannhausen.

2) Veesenm.: Herbrechtingen, Augustinerkloster an der Brenz, zwischen Heidenheim und Giengen.