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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Altchristliche Kunst

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Altchristliche Kunst.

In den Grundsätzen: daß alle Menschen vor der Gottheit gleich seien und die allgemeine Pflicht gegen diese auch solche gegenüber den gleichberechtigten Mitmenschen bedinge, daß durch ein sittliches Leben - die "Werke der Liebe" des Apostels Paulus - jeder die Vollkommenheit im Jenseits erlange, also der freie Wille und nicht ein unabänderliches Schicksalslos für das höchste Glück bestimmend sei, lagen die Kernpunkte der neuen Weltanschauung des Christentums.

Verhältnis des Christentums zur Kunst. Der Kunst stand diese daher auch keineswegs feindlich gegenüber; nur ein Punkt kam in Betracht, der auch weniger grundsätzlicher Natur als vielmehr eine Berücksichtigung menschlicher Schwäche war: alles, was an "Götzendienst" erinnerte, sollte ausgeschlossen werden. Die Verkörperung der Gottheit in Bildgestalt, genauer gesagt, die Vorstellung, daß jene in dem Bilde ihren Sitz nehme, war "heidnisch", und daher konnte das Christentum der ersten Zeit, um die Vorstellung von der Uebersinnlichkeit der Gottheit rein zu erhalten, die Bildnerei nur in sehr beschränktem Maße pflegen. Vor allem waren die Standbilder in dieser Beziehung gefährlich und mußten daher vermieden werden.

Es ist da zu beachten, daß überall - auch bei den Naturvölkern - die Verkörperung der Gottheit zu Zwecken der Verehrung stets in Form von Standbildern erfolgte, nicht in Gemälden oder Flachbildnerei. Götter und Halbgötter bildeten auch die Hauptgegenstände der Bildnereikunst, und da in der Kaiserzeit man dahin gekommen war, Bildnissen der Kaiser gleichfalls göttliche Ehren zu erweisen, so begreift man, daß, um gründlich aller Verführung zu begegnen, überhaupt alle Standbilder dem Volke aus den Augen geräumt werden sollten.

Christliches Kunstbedürfnis. Im übrigen konnte das Christentum die vorhandene Kunst seinen Zielen dienstbar machen, ja mußte dies thun. Es bedurfte für seine gottesdienstlichen Handlungen der Gotteshäuser, denn nicht minder gefährlich wie die Standbilder wäre ein Gottesdienst im Freien gewesen, der leicht wieder zu den uralten Anschauungen des Naturdienstes hätte zurückführen können.

Auch zur Versinnlichung und zur Verdeutlichung der Lehren konnte das Christentum der Kunst nicht entbehren in einer Zeit, welche noch keine Bücher für das Volk kannte. Wie anders konnte man beispielsweise die Vorgänge aus dem Leben des Heilands besser dem Gedächtnisse der Menge einprägen, als durch bildliche Darstellung. So sehen wir denn auch in Baukunst und Malerei, sowie in der mit letzterer verwandten Mosaikkunst und Flachbildnerei eine vom Christentum beeinflußte Thätigkeit sich entfalten.

Christliche Gotteshäuser. In den ersten Zeiten besaßen die christlichen Gemeinden keine Gotteshäuser, sie versammelten sich in den Häusern von Genossen, oder - namentlich während der Verfolgungen - in den Begräbnisstätten. Später, vom 3. Jahrhundert an, entstanden zwar eigene Bethäuser, die jedoch einfach und unscheinbar waren; von diesen ist nichts erhalten geblieben außer einigen Trümmerresten bei den Katakomben. Erst seit Kaiser Constantinus das Christentum förmlich anerkannt und volle Freiheit der Religionsübung gewährt hatte, konnte man an den Bau von eigentlichen Kirchen im großen Stile denken. Damals (nach 312 n. Chr.) hatte auch das Christentum schon eine solche Verbreitung gefunden, daß die Gemeinden stark und reich genug an Mitteln waren, um solche Bauten ausführen zu können.

Kirche und Tempel. Die christliche Kirche hatte eine ganz andere Aufgabe, als der heidnische Tempel. Dieser war wirklich eine Behausung des Gottes, der Hauptbestandteil also die Zelle, in welcher das Standbild sich befand, sonst diente der innere Raum nur

^[Abb.: Fig. 199. Grundriß der alten Peterskirche in Rom.

A, B. Vorhof mit Reinigungsbrunnen. C, Hauptschiff. D, Querschiff und Apsis.