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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

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Germanische Kunst

anschloß, und zwar nicht an die "klassische Antike", sondern an deren Ausläufer, die "altchristliche", da ja zunächst alle hohe Kunst hauptsächlich im Dienste der Religion stand. Karl der Große hatte seinen germanischen Völkern die nähere Bekanntschaft mit der altchristlichen Kunst, wie er sie vor allem in Italien gefunden hatte, vermittelt. Die Zeit-Verhältnisse unter seinen nächsten Nachfolgern waren nicht danach, um eine erhebliche Kunstthätigkeit aufkommen zu lassen. Die neugebildeten Staaten lagen untereinander im Kampfe und hatten die Angriffe fremder Völker abzuwehren, im Westen die Normannen, im Osten Slaven und Magyaren. Es fehlte auch vor allem an Wohlstand, und somit an Mitteln; der Boden mußte vielfach erst urbar gemacht werden, Gewerbe und Handel waren geringfügig. Die Bändigung der fremden Bedränger im 10. Jahrhundert, sowie die Begründung von Städten in Deutschland brachten einen erfreulichen Wandel, und nun war auch der Boden für die Kunst geebnet. Ueber die "irdischen Mittel" verfügte die Geistlichkeit, Bistümer und Klöster hatten ausgedehnte Ländereien erworben und waren "reich" geworden; aber auch die gesamte "geistige" Bildung der Zeit befand sich in ihrem Besitz.

Die Kunst erhielt daher auch eine vorwiegend kirchliche Eigenart; Malerei und Bildnerei dienten nahezu ausschließlich religiösen Zwecken, und für die Baukunst waren Kirchen und Klöster die Hauptgegenstände, neben welchen die weltlichen Bauten - Pfalzen und Burgen - keine bedeutende Rolle spielen. Die Kirchenbauten sind es daher, in welchen die Kunst des romanischen Zeitalters sich vornehmlich bethätigte.

Das Stilgefühl. Das romanische Zeitalter bekundet ein bewundernswert starkes "Gefühl für Stil", d. h. für die Gesetze, welche das Verhältnis zwischen Stoff und Form, zwischen Auffassung der Aufgabe und Behandlungsweise, zwischen dem gedanklichen Inhalt und dem äußerlichen Ausdruck betreffen. Das Wort "Gefühl" ist besonders zutreffend, denn man folgt jenen Gesetzen vielfach mehr unbewußt, als aus klarer Erkenntnis, die regsame schöpferische Einbildungskraft überwiegt noch den berechnenden Verstand, ohne dabei

^[Abb.: Fig. 244. Die Abteikirche zu Maria Laach.]