Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

307

Germanische Kunst.

zunächst im Anschluß an die einheimische Bauweise. Einzelne solcher Formen treten schon im Dome zu Magdeburg, in der St. Georgskirche zu Limburg, in der St. Gereonskirche zu Köln u. a. O. auf; eine durchgängige Anwendung der neuen Bauweise findet sich sodann in zwei Kirchen, welche ziemlich gleichzeitig entstanden, aber von ganz verschiedener Grundanlage sind, der Liebfrauenkirche zu Trier (1227-44) und der Elisabethkirche zu Marburg (1235-83). Jene ist ein sogenannter Zentralbau, bei dem alle Teile sich gleichmäßig um die Mitte anordnen - der Grundplan ist ein griechisches, d. h. gleicharmiges Kreuz, mit Einbauten in den Winkeln zwischen den Armen -, letztere eine Hallenkirche, also von einer Form, welche Deutschland eigentümlich ist.

Die Hallenkirchen treten schon im romanischen Zeitraum und zwar in Westfalen auf und finden in dem jetzigen eine ziemlich weite Verbreitung. Den Anlaß zu dieser Neuerung, welche die romanische Basilika-Form in Westfalen verdrängte, gab wohl das Bedürfnis, die Räume heller und luftiger zu gestalten, was eben durch die gleiche Höhe der Seitenschiffe mit dem Mittelschiffe - darin und in dem gemeinschaftlichen Dache aller Schiffe besteht das Wesen der Hallenkirche - erzielt wurde. (Die Strebebogen wurden bei diesen überflüssig und entfielen daher.) Die Form der Hallenkirchen wurde namentlich bei den Backsteinbauten im nördlichen Deutschland beliebt. Diese zeigen eine besondere abweichende Gestaltung des Stiles, welche durch den Baustoff bedingt ist. Die Mauern sind massiger, weniger mit Oeffnungen durchbrochen, die Pfeiler achteckig, der Chor schließt meist flach ab, die Türme sind viereckig. Die ganze Erscheinung ist einfacher, wie dies auch bei den gotischen Kirchen Südfrankreichs der Fall ist, wo gleichfalls mit Ziegeln gebaut wurde. Diese norddeutschen Backsteinbauten sind daher als eine besondere Gruppe innerhalb der Gotik zu betrachten.

Mit den beiden obengenannten Meisterwerken war der neuen Bauweise der Weg zur siegreichen Herrschaft eröffnet. Noch während ihres Entstehens hatten auch anderwärts schon sich Ansätze dazu gezeigt, die nun unter dem Einflusse jener Schöpfungen rasch sich entwickelten. Man nahm keinen Anstand, sie ohne weiteres auch bei Bauten anzuwenden, die im "älteren Stile" begonnen worden waren. Damals galten eben noch nicht die schulmäßigen Lehren von "Stileinheit", die Meister nahmen frischweg alle Neuerungen und Erfahrungen auf, verarbeiteten sie selbständig und schufen damit jene lebensvollen Werke von persönlicher Eigenart, die trotz des Mangels an regelrechter Einheitlichkeit doch jenen schönen Einklang zeigen, der allem natürlich Gewonnenen eigen ist.

Ein glänzendes Beispiel dieser kühnen Verbindung alter und neuer Richtung ist das Straßburger Münster, ein zweites der Dom zu Freiburg im Breisgau. In Straßburg ist das um 1240 vollendete Querschiff noch romanisch, das Langhaus (1275 vollendet, nach einem Brande 1298 in seinem oberen Teile umgestaltet und erhöht) wurde in der neuen Weise errichtet,

^[Abb.: Fig. 296. Chor der Kirche zu Leon.]