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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei im 14. und 15. Jahrhundert

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Die Malerei im 14. und 15. Jahrhundert.

bewegung weit lebhafter, die Zahl der starken, selbständig hervortretenden Persönlichkeiten größer erscheine. Wenn man jedoch hier wie dort den Durchschnitt der Menge betrachtet, so wird man finden, daß die Deutschen nicht hinter den Italienern zurückstehen, ja sie in Gedanken- und Empfindungstiefe übertreffen. Wohlgemerkt, dies gilt vom Durchschnitt, oder sagen wir vielleicht verständlicher: die mehr handwerksmäßigen Maler - zweiten und dritten Ranges - sind in Deutschland besser als in Italien, weil sie meist gewissenhafter arbeiteten. Der deutschen Malerei fehlen die einzelnpersönlichen Züge, sie erscheint als Erzeugnis einer Gesamtheit, sozusagen als Niederschlag der malerischen Empfindung des ganzen Volkes. Dies erklärt sich zumeist aus dem zünftigen Wesen, welches ein allzustarkes Heraustreten aus dem Rahmen des Gemeinsamen nicht zuließ. In Italien vollzog sich der Fortschritt "stoßweise", indem bald hier, bald dort einzelne Künstlernaturen emporschossen und ihre Umgebung dann mithoben; in Deutschland hob sich der ganze Kunstboden langsam und gleichmäßig, von der ganzen Volkskraft getragen. So erklärt sich, daß im 16. Jahrhundert die deutsche Kunst in Dürer und Holbein auf einer Höhe erscheint, welche jener der italienischen gleich ist, ohne daß man darauf durch aufsehenerregende Vorläufer jener Meister vorbereitet worden wäre.

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Die Niederlande. Zur selben Zeit, da in Italien Masaccio Kraft und Schönheit in naturwahrer Erscheinung auszudrücken sucht, die deutschen Schulen in bedächtiger Ruhe auf dem Wege zur Stimmungsmalerei und zur richtigen Farbenkunst fortschreiten, wurde in den Niederlanden der folgenreiche Schritt zur vollen Naturwahrheit und Wirklichkeits-Treue gethan. Der Bruch mit der überlieferten Kunstweise erfolgt so gründlich, daß er fast unvermittelt erscheint, obwohl er einigermaßen vorbereitet war. Wohl begreiflich ist das Aufsehen und der nachhaltige Erfolg dieser neuen Kunstweise, welche darin bestand, daß man malte, was und wie man es sieht. Sie trat auch in Verbindung mit einer Arbeitsweise auf, welche zwar nicht neu und unbekannt war, aber hier eine verständnisvolle Anwendung und

^[Abb.: Fig. 387. Holbein der Aeltere: Die hl. Barbara und die hl. Elisabeth.

München. Pinakothek. (Photographie B.-A. Bruckmann.)]

^[Abb.: Fig. 388. Holbein der Aeltere: Der hl. Sebastian.

München. Pinakothek.]