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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

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Die Zeit der "Renaissance".

wickelt hatte. Der "Wirkung" zuliebe wird die innere Wahrheit geopfert, und zuletzt kommt wieder der "malerische Zug" allenthalben zur Geltung, welcher übrigens in den Flachbildern auch der besten Zeit sich forterhalten hatte.

Dies ist in großen Zügen der Gang der Entwicklung, den die Bildnerei nimmt, seit die Schule Donatellos ihren beherrschenden Einfluß verloren hatte.

Auf denselben wirkte bestimmend der Geist eines vielseitigen Meisters ein, der auf allen Gebieten bahnbrechend auftrat, obwohl die Zahl seiner eigenen Werke gering ist. Dies war Lionardo da Vinci. Seine großartige Schöpfung, das Modell des Reiterstandbildes des Franz Sforza ist freilich zerstört worden, und wir kennen es nur aus Zeichnungen; auch sonst ist kein Bildnereiwerk erhalten geblieben, dennoch ist sein Einfluß auf die Künstler zu Beginn des 16. Jahrhunderts unverkennbar.

Florentinische Meister. Zu diesen zählen auch die zwei hervorragendsten Künstler der Uebergangszeit in Florenz, das noch immer die Hauptpflegestätte der Bildnerei blieb: der Mitschüler Lionardos: Giovanni Francesco Rustici (1474-1554) und Andrea Contucci genannt Sansovino (1460-1529). Neben diesen sind noch Andrea Ferucci (1465-1526), Benedetto da Roverrano (1476-1556) und Baccio da Montelupo (1469-1533) als tüchtige, doch für die Kunstentwicklung weniger bedeutsame Meister zu nennen.

Rustici zeigt in seinen Formen noch die meiste Abhängigkeit von der Art des 15. Jahrhunderts, so daß seine Bronzegruppe, der predigende Johannes zwischen zwei Zuhörern (Pharisäer und Levit), noch ebenso gut zu den Ausläufern der alten florentiner Schule, wie durch die Versuche, den Gestalten mehr inneres Leben zu geben, zu der neuen Richtung gerechnet werden kann. Die Gewandbehandlung ist sehr malerisch, der Ausdruck der Köpfe nähert sich schon dem Großartigen (Fig. 457).

Sansovino. Viel tiefer hatte sich Contucci Sansovino in die neue Ausdrucks- und Empfindungsweise hineingelebt, so daß seine Bronzegruppe: die Taufe Christi durch Johannes schon vollkommen der Hochrenaissance angehört (Fig. 458). Der Unterschied zwischen dem Kunstempfinden der Früh- und Hochrenaissance ist an diesem Werk sehr leicht zu verstehen, wenn man es mit jenem Gemälde Verrocchios vergleicht, das denselben Vorgang darstellt. Die Aehnlichkeit ist wohl keine zufällige, sondern beruht auf bewußter Nachbildung mit der Absicht, den Vorwurf großartiger und freier zu behandeln. Verrocchio sucht ein möglichst getreues Bild des Vorganges zu geben, Sansovino ein möglichst schönes. Dadurch bekommt das Werk Sansovinos etwas Weihevolles und Erhabenes, es giebt nicht nur einfach die Handlung wieder, sondern sucht auch die Stimmung, die seelische Erregung auszudrücken. Die Neigung zum Idealisieren, die Betonung des "Schönen" giebt sich hier in der Haltung der Gestalten, der Gewandbehandlung, vor allem aber in der Durchbildung des nackten Körpers kund.

Auf Sansovino wirken hier die guten Vorbilder der Frührenaissance noch stärker ein, als jene der Antike; diese lernte er erst genauer kennen, als er 1505 nach Rom kam. Die Grabmäler der Basso della Rovere und Ascanio Sforza (Fig. 459) in S Maria del Popolo, die während seines römischen Aufenthaltes entstanden, lassen

^[Abb.: Fig. 462. Sansovino (Tatti): Bacchus.

Florenz. Nationalmuseum.]