Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

643

Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Man kann die Lage ungefähr dahin kennzeichnen: was an Gutem noch vor dem Kriege entstand, gehört der Renaissance an, während des Krieges verlernte man alles, und nach demselben entstand zunächst - nichts Gutes.

Der Umschwung zum Besseren begann, als auch in der protestantischen Kirche eine Vertiefung der religiösen Empfindung, mehr Innerlichkeit an Stelle theologischer Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien trat, mit welchen die Eiferer ihrer Sache nur geschadet hatten, weil dabei das Volk keine Befriedigung des Bedürfnisses nach stimmungsvoller Erbauung fand. Mit der Wendung zur innerlichen, milden Frömmigkeit kamen auch die Künste wieder zu Ehren, denn jene bedurfte auch des Ausdruckes und diesen fand sie zunächst in Dichtung und Musik, dann auch in den bildenden Künsten. Damals entstanden jene ergreifenden Kirchenlieder, bei denen Wort und Weise wahrhaft Erbauung erzeugen konnten. - Die Baukunst zeigt freilich sich vorerst noch unbeholfen, um dem neuen Geiste gerecht zu werden, und man greift daher zu dem Auskunftsmittel, die spätgotischen, zum Teil sogar romanischen Formen der Grundanlage mit den Schmuckformen der Renaissance und von Italien her übernommenen Zügen zu verbinden. Das Bestreben "deutsch" zu bleiben, paart sich mit jenem nach heiterer Gefälligkeit und sinniger Schönheit, wenn auch letztere Absicht nicht immer erkannt wird.

Der norddeutsche Barockstil. In den thüringischen Landen, welche durch den Krieg so hart mitgenommen worden waren, regte sich der neue Geist am stärksten. Vielleicht trug gerade der Druck, unter dem man hier so lange gelitten, dazu bei, die Spannkraft zu neuem Aufschwung zu erhöhen. Eine Reihe von fürstlichen Schloß- und Kirchenbauten gab Gelegenheit, die künstlerischen Kräfte wieder zu schulen und die Formensprache auszubilden. Hier finden wir daher die Anfänge des norddeutschen Barockstiles, die sich hauptsächlich an das Auftreten der Baumeisterfamilie Richter knüpfen. Der Vater, Moritz Richter, vermochte zwar seinen Gedanken noch keinen entsprechenden Ausdruck zu geben und ist in der Behandlung der Formen noch von großer Unbeholfenheit, aber seine Söhne (Johann, Moritz und Christian) und Enkel zeigen schon eine größere Sicherheit und Freiheit und verstehen bereits, eine malerische Wirkung zu erzielen. Neben ihnen erscheint auch der Braunschweiger Hermann Korb als ein beachtenswerter Vertreter der neuen Richtung, der sich redlich bemüht, selbständig eigene Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Wenn auch die Leistungen dieser und anderer Meister in unseren Augen nicht bedeutend erscheinen, so verdient doch das Streben derselben um so mehr Anerkennung, als sie "Praktiker" waren und meist keine "theoretische" Vorbildung genossen hatten. Sie mußten also die Gesetze des Bauwesens erst selbst finden; daß sie dabei manchmal fehl griffen, ist nicht zu verwundern. Diese Freiheit von Lehrmeinungen und die Unbefangenheit,

^[Abb.: Fig. 628. Die Hedwigskirche in Berlin.]