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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

durch den "Rhythmus", das Ebenmäßige durch das Wechselmäßige, überall ersetzt wird, darin liegt das Grundgesetz des Rokoko, aus dem sich alle weiteren Eigenheiten ergeben: die Verflüchtigung aller festen Formen, das überschwänglich Gewundene und Geschwungene aller Linien, die Muschelbildung der Flächen, die Gestaltung des Rahmenwerkes zu einem lebendigen, pflanzenhaften oder tierhaften Organismus. In dem Zierwerk der Neumannschen Schöpfungen findet sich all dies wohl vor, doch überwuchert und erdrückt es noch nicht in dem Maße das eigentlich Bauliche, wie in gewissen französischen Werken. In der Erfindung von Zierformen war der Geist Neumanns (er entwarf stets alle Einzelheiten, auch der Einrichtung, selbst) unerschöpflich, und man muß wahrhaftig diese unermüdliche Phantasie bewundern, die immer Neues bieten konnte. Auch hat Neumann jene gewisse Neigung für geheimnisvoll seltsame Grundanlage-Gestaltungen, wie sie Guarini besaß, dagegen aber finden wir bei ihm auch den Sinn für regelrechte Anordnung und für großzügige Kraft der Formen ausgeprägt, also Eigenschaften, welche nicht rokokomäßig sind.

Von Bauten, welche der von Neumann angebahnten Kunstrichtung angehören, sind insbesondere zu nennen Schloß Brühl am Rhein, die Schlösser zu Münster in Westfalen und in Trier.

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Die Baukunst in den protestantischen Gebieten. Im Vorstehenden habe ich die Entwicklung des süddeutsch-katholischen Barockstiles zu schildern versucht und wende mich nun der Betrachtung des Bauwesens in den protestantischen und norddeutschen Gebieten zu. Im Süden läßt sich der Herrschaftsbereich der Bekenntnisse dahin kennzeichnen, daß in den Landen der Fürsten der Katholizismus vorherrschte, während die freien Reichsstädte Stützpunkte des Protestantismus waren. Nun hätte man nach der künstlerischen Vergangenheit derselben allerdings erwarten können, daß auch in diesem Zeitraume das Kunstleben fortdauern würde, dies war jedoch nicht der Fall. Die Lage der Städte und der Bürgerschaft war schon zu Ende des 16. Jahrhunderts nicht danach angethan, um die Baulust zu fördern, und der Protestantismus verschmähte es, die Kunst zu Werbezwecken zu benutzen. Während die Jesuiten die alten Kirchen umbauten, um sie - wenigstens im Innern - dem Geiste der neuen Zeit anzupassen, das heißt, sie "stimmungsvoll" zu gestalten, begnügten sich die Protestanten, um den Erfordernissen ihres Gottesdienstes zu entsprechen, mit zwar praktischen, aber wenig künstlerischen Einrichtungen, wie beispielsweise der Anlage beweglicher Rücklehnen der Bänke, welche umgeklappt werden konnten, damit während der Predigt alle nach der seitlich im Langhause befindlichen Kanzel gewendet sitzen, nach derselben sich dann wieder dem Altare zukehren konnten.

Dies war selbst in Augsburg der Fall, wo immerhin noch die Kunst wenigstens auf weltlichem Boden Pflege fand. Dabei hielt man jedoch im wesentlichen an dem Stile der Renaissance fest, und zwar nicht an der eigentlich deutschen Richtung derselben, sondern an der oberitalienischen, wie sie Alessi und dessen Schule ausgebildet hatte. In diesem Sinne schuf der Augsburger Meister Elias Holl seine Bauten, bei denen er, wie Sandrart sagt, "die prächtige Ueppigkeit der italienischen Gebäude mit der in Deutschland hochnötigen Sparsamkeit überaus wohl zu temperieren" verstand. Das Rathaus und das Zeughaus in Augsburg lassen diese Anlehnung an Italien deutlich erkennen; abweichend von den Eigenschaften der deutschen Renaissance wird die Einheitlichkeit, das heißt die Abhängigkeit der Einzelteile vom Ganzen, sowie wagerechte Gliederung der Massen und deren Geschlossenheit stärker betont (Fig. 622).

Ebenso verfuhr Nürnberg, wo man gleichfalls die schmuckhafte heimische Bauweise mit einer strengeren und einfacheren, nach oberitalienischen Vorbildern auf Größenwirkung abzielenden vertauschte, wie dies an dem Rathause (1613-19) ersichtlich ist, bei dem der Baumeister auf die übliche Fülle des Zierwerkes verzichtete und durch großzügige Linien, klare Verhältnisse und kraftvolle Formen die Wirkung hervorbringt.