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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

der Schönbornkapelle, die als eine Familiengrabstätte gedacht war, und in der Residenz, mit deren Ausführung Neumann betraut wurde, welcher allem Anscheine nach die Wiener Bauten Fischers und Hildebrandts gründlich studiert hatte. Während an der Schönbornkapelle fast ein Uebermaß von Prunk (namentlich durch Verwendung farbigen Marmors) bei sehr feiner und glatter Behandlung der Formen auftritt, zeichnet sich die Residenz durch eine maßvollere Verwertung des immerhin noch ungemein reichen Schmuckwerkes und eine dadurch erzielte vornehme Großartigkeit aus. Schon die Ausdehnung des Baues, er ist 167 m lang, ist bedeutend; das Hauptstück, der Mittelbau, zeigt im Untergeschoß sechs Säulenpaare toskanischer Ordnung, welche den Balkon tragen, die Fläche des Obergeschosses ist durch sechs Säulen mit romanischen Kapitälen gegliedert und enthält drei Rundbogenfenster, über den Säulen erhebt sich ein geschweifter Prunkgiebel. Die Wandflächen der Flügelbauten gliedern Wandpfeiler und Halbsäulen, im Erdgeschoß sind sie gequadert. Gurtgesimse und Hauptgesimse weisen eine vollendet schöne Profilierung auf. Besonders sorgfältig sind die Fenster behandelt, deren Schmuckformen eine edle, von Uebertreibung sich fernhaltende Durchbildung erkennen lassen. Ein Prachtstück des Baues ist der Treppenraum (mit Wandgemälden Tiepolos), der in vornehmer Schmuckhaftigkeit und malerischer Wirkung kaum übertroffen werden könnte. An das Treppenhaus schließt sich der große Festsaal an, dessen Fülle von Zierwerk bereits jene unruhig bewegten Formen aufweist, welche man "Rokoko" zu nennen pflegt. Noch mehr ist dies der Fall bei den Prunkgemächern der Flügelbauten; alles biegt, schweift, krümmt sich, die Linien werden zerhackt und gekerbt, kurz, es herrscht eine wildstürmische Bewegung. Die Kapelle ist in gleichem Sinne schwungvoll in den Formen und farbenlustig ausgeführt, ein malerisches Gebilde, mehr von einer gewissen sinnlichen Glut durchhaucht als fromm empfunden. Tiepolo hat auch hier die Gemälde geliefert, zu deren leuchtenden Farben jene des kostbaren Marmors, der roten Säulen mit Bronzekapitälen, der schwarzen Galeriebrüstungen, der bunten Altäre wirksam stimmen (Fig. 617 bis 621).

An einer weiteren Reihe von Kirchen, Klosterbauten und Schlössern erscheint Neumann beteiligt; auch auf den Wohnhausbau in Würzburg hatte er Einfluß, da dort seit 1722 eine Baukommission eingesetzt worden war, der alle Pläne vorgelegt werden mußten und welche die früher beliebten Ueberbauten, Giebel und Ecken nicht mehr duldete. Eine ansehnliche Schule schloß sich ihm an und sicherte die Fortdauer seiner Kunstweise in Franken und am Rhein für längere Zeit. Neumann ist eine künstlerische Erscheinung von hochbedeutender Eigenart. Man hat ihn auch den Hauptmeister der Rokoko-Bauweise genannt, obwohl man im Grunde genommen von einer solchen nicht sprechen kann, da das Wesen des Rokoko doch nur in den Zierformen zum Ausdruck kommt. Daß die "Symmetrie"

^[Abb.: Fig. 627. Der Zwinger in Dresden.]