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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

blendendes Licht, während der Vorgang unten in einem köstlichen Halbdunkel sich abspielt, welches die glühende Farbenpracht der Gewandung nur noch stärker hervortreten läßt. Die Madonna ist als wahrhaft königliche Frau voll gütiger Freundlichkeit und vornehmer Würde aufgefaßt, menschlich zwar, aber als solche von höchster Schönheit.

Unter den sonstigen biblischen Darstellungen sind hervorzuheben das "jüngste Gericht" - ein Vorwurf, den er mehrfach behandelte - und der "Bethlehemitische Kindermord". Diese Stoffe gaben dem Meister Gelegenheit, seine vollendete Kunst in der Anordnung großer Gruppen und in der Veranschaulichung des Gefühlsausdrucks, wie er nach der persönlichen Eigenart verschieden sich darstellt, zu bekunden. Man beachte, wie mannigfach in dem letztgenannten Bilde der Schmerz und die Verzweiflung der Mutter sich äußert, von wortlos dumpfem Brüten bis zur rasenden Wut ist die ganze Tonleiter der Leidenschaftlichkeit dargestellt (Fig. 681).

Ungemein zahlreich sind die Darstellungen aus der antiken Götter- und Heldensage und die mit diesen verwandten "Allegorien", welche damals besonders beliebt waren. Diese Art, Begriffe und Gedanken durch Persönlichkeiten zu verkörpern, gestattet dem Künstler, seine Einbildungskraft frei walten zu lassen und dabei alle Seiten seines Könnens zu entfalten. In der "Amazonenschlacht" fesselt nicht nur die lebendige Bewegung in den Gruppen und die Mannigfaltigkeit in der Körperhaltung, sondern auch das Landschaftliche das Auge, während in dem "Raub der Töchter des Leukippos" die Behandlung des Fleisches ebenso wie jene der Tiere meisterlich ist (Fig. 682). Rein geschichtliche Vorgänge hat Rubens seltener gemalt; auch die für das Luxembourgpalais im Auftrage der Maria v. Medici hergestellten Geschichtsbilder sind eigentlich mehr "Allegorien" als eine wirklichkeitstreue Wiedergabe von Ereignissen. Der ausschließliche Zweck der geschichtlichen Gemälde war nach damaligen Anschauungen, den Auftraggeber zu verherrlichen und Räume zu schmücken; dazu konnte man "geschichtliche Wahrheit" nicht brauchen. Für den Künstler war dies freilich eine angenehme Erleichterung, er wurde durch den Stoff nicht gebunden, sondern konnte ihn unter rein malerischem Gesichtspunkte behandeln.

Der Wahrheit im besten Sinne des Wortes huldigte Rubens in seinen Ebenbildnissen und in den Landschaften. Von ersteren ist eine große Zahl vorhanden, durchwegs mit gleicher gewissenhafter Meisterschaft behandelt. Flüchtigkeiten, die sich in den Allegorien manchmal finden, gestattete er sich nicht, wo es sich nicht um Einfälle der Einbildungskraft, sondern um Wiedergabe des Lebens, um Wahrheit handelte. Die Ebenbildnisse zeichnen sich nicht nur durch die sichere Behandlung der äußerlichen Formen und durch die sorgfältige Verwertung der Farbentöne, sondern auch durch das eindringliche Erfassen der inneren Persönlichkeit aus; sie geben die ganze Erscheinung des Menschen in vollster Lebendigkeit. Mit besonderer Liebe sind die Bilder seiner Frauen gemalt; hier entwickelt er seine ganze blendende Farbenkunst, um den höchsten Reiz weiblicher Anmut zu schildern.

Nicht minder wahr empfunden und wiedergegeben erscheint die Natur in seinen Landschaften, in denen die "Stimmung" den Grundton abgiebt; das wechselnde Spiel des Lichtes und der Schatten, die Lufttönungen und der Glast des Bodens wird in einer Art behandelt, welche das innere Leben der Natur in wirkungsvollem Reiz zum Ausdruck bringt. Die scharfe Beobachtung alles Natürlichen zeigt sich vielleicht noch deutlicher in den Tierstücken, in denen Rubens an Richtigkeit und Lebenstreue alle seine Vorgänger übertrifft. Wenn ich noch erwähne, daß er auch prächtige Sittenbilder - wie die Bauernkirmes und den Bauerntanz - geschaffen hat, so ist damit wohl zur Genüge erhärtet, daß Rubens alles, was malerisch darstellbar ist, beherrschte. Daß er auch auf die Baukunst einen Einfluß nahm, davon wurde bereits an früherer Stelle gesprochen; aber auch die Bildhauer schulten sich an seinen Werken, und die Kunst des Holzschnitts wie Kupferstichs der Niederlande verdankt ihm ihre Entwicklung zur Vollkommenheit in der Sicherheit der Zeichnung und der malerischen Wirkung. - Das Bild "Spaziergang im Garten" (Fig. 683) läßt die Vielseitigkeit des Meisters erkennen, es ist nicht nur eine Probe seiner Landschafts- und Ebenbildnismalerei, sondern auch seiner baukünstlerischen Gedanken.